Culture | Auszeichnung

„Nachdenken und Auskunft geben“

Der Schriftstellerin Francesca Melandri wird im Mai für ihr publizistisches Gesamtwerk der Bruno-Kreisky-Preis verliehen. Einige Stimmen über Erinnerungskultur im Vorfeld
Francesca Melandri
Foto: Facebook
  • „Die in den Familiengeschichten überlieferten Erinnerungen ragen aus der Vergangenheit heraus wie schwarze Felszacken aus einer Schneelandschaft“, heißt es im jüngsten Werk der Schriftstellerin Francesca Melandri Kalte Füße (Piedi freddi). „Nur die in Erzählung verwandelten Erinnerungen formen später den Zustand des So ist das damals gewesen, heißt es unmittelbar darauf und die Autorin beschreibt weiter: „Alles andere bleibt darunter verborgen wie die unter den Eisschichten oder noch tiefer im Permafrost eingelagerten Gneise.“ 
     

    In keinem Buch der Gegenwart wird die westeuropäische Blindheit und die daraus resultierenden verheerenden Konsequenzen so präzise untersucht
    (Katja Gasser)

  • International gefeierte Schriftstellerin: "Bereitschaft, eigene politische Positionen und Präferenzen kritisch infrage zu stellen" Foto: Wagenbach

    Erinnerungen und fein skizzierte Bilder die eine daraufhin überarbeitete Gegenwart heraufbeschwören, ziehen sich durch die Literatur von Francesca Melandri. Im Mai 2025 wird ihr für ihr publizistisches Gesamtwerk der Bruno-Kreisky-Preis verliehen. Seit dem Jahr 1993 wird dieser vom Karl-Renner-Institut in Zusammenarbeit mit dem SPÖ-Parlamentsklub und der sozialdemokratischen Bildungsorganisation jährlich für das politische Buch des Jahres verliehen. „Ihre Bereitschaft, eigene politische Positionen und Präferenzen kritisch infrage zu stellen, ist eine zusätzliche Quelle Melandris literarischer Größe“, heißt es in der Aussendung zum Preis über die in Rom geborene Autorin, die auch viele Jahre in Südtirol lebte. 
    Sie habe einmal über ihr Schreiben gesagt heißt es weiter, „dass sie sich dafür immer auf die Suche nach persönlichen, privaten Erzählungen, nach Momenten lebendigen oder gelebten Lebens mache“, dabei vielen Menschen zuhöre, um daraufhin, „das Vergangene im Gegenwärtigen und das Große im Kleinen erfahrbar zu machen“
    In Bezug auf Geschichte und Literatur ist Melandri seit Jahren im internationalen Literaturbetrieb eine fixe Größe, „eine Art literarisches Gewissen Italiens“ Sie zählt zu den bedeutendsten Stimmen der zeitgenössischen europäischen Literatur.

  • Menasse über Melandri: "So müssen wir nachdenken und Auskunft geben." Foto: Bruno
  •  „Ich finde, dass alle, die die über den Krieg gegen die Ukraine reden, Kalte Füße von Francesca Melandri lesen sollten. Was heißt sollten, müssen!“, schreibt der Schriftsteller Robert Menasse, dessen Stück Die Hauptstadt (Achtung Einnerung!) 2019 bei den VBB in Bozen zu sehen war. Und noch eine Erinnerung: Mitte April 2011 hatte Francesca Melandri ihren sensationellen Erstling Eva schläft in der deutschen Übersetzung erstmals in Bozen vorgestellt. Seitdem geht es für die ebenfalls als Filmemacherin tätige Autorin auf internationaler Ebene Schlag auf Schlag. Ihre Bücher sind inzwischen in unterschiedlichen Sprachen greifbar und begeistern das nationale wie internationale Publikum.

  • Eva schläft-Erinnerungen: Erstpräsentation der deutschen Übersetzung von "Eva dorme" 2011 in Bozen. Foto: SALTO

    Der Dialog mit ihrem verstorbenen Vater im aktuellen Buch lese sich laut Menasse als Dialog mit den Leser*innen als „wunderbar erzählte Selbstreflexion, die historisch einbettet, was wir wissen, nicht zu wissen, nachfragen, nachfragen sollten.“ Mit der Mischung aus Essay und Roman habe sie das „wohl gewichtigste literarische Werk des Jahres 2024 vorgelegt“, lobt die Kulturjournalistin und Literaturkritikerin Katja Gasser. „In keinem Buch der Gegenwart wird die westeuropäische Blindheit und die daraus resultierenden verheerenden Konsequenzen so präzise untersucht“, meint Gasser weiter und adelt Melandri mit dem Hinweis, dass diese bereits längst „mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet“ werden müsse. Das kann ja noch kommen.