Maria Walcher
BAU im Gespräch mit der Künstlerin Maria Walcher.
salto.bz Artstore: Beschreibe bitte den Arbeitsplatz wo dieses Kunstwerk entstanden ist.
„Tempo“ ist wohl die letzte Arbeit, die in meinem Atelier im Künstlerhaus Büchsenhausen entstanden ist, denn in einer Woche ziehe ich um. Ich hatte das Atelier nun für 5 Jahre und habe es genossen, hier zu arbeiten und einen großen Raum ganz für mich und meine Kunst zu haben, aber trotzdem eingebettet in ein Künstlerhaus zu sein, umgeben von internationalen wie regionalen Künstler*innen. Wir befinden uns vielleicht in einer Zeit des Umbruchs oder so … und so passt auch der Umzug ganz gut rein. Während des letzten Jahres habe ich mir das Atelier mit Katharina Cibulka geteilt und den Austausch und das Nebeneinander-Arbeiten sehr genossen, wobei uns jetzt im Laufe der Ateliersuche auch wieder klar geworden ist, dass es in bestimmten Phasen der künstlerischen Arbeit gut tut, einen Raum für sich zu haben. In diesem Sinne halte ich es ganz mit Virginia Woolf, dass man zum kreativen Arbeiten „A Room of One’s Own“, einen eigenen Raum braucht und bin davon überzeugt, dass es wichtig ist einen Arbeitsplatz fernab der eigenen Wohnung zu haben. Zuhause bin ich Mutter von drei Kindern und verrichte eine andere Art der Arbeit. Im Atelier bin ich ganz bei mir und meiner Kunst.
Wie würdest du den kreativen Prozess, der diesem Kunstwerk zugrunde liegt beschreiben? Beginnt alles mit einer Idee, die du im Kopf hast und die sich dann in Form einer Arbeit materialisiert oder entsteht der Inhalt beim Arbeiten?
Dieses Kunstwerk ist aus mehreren Bildern/Ideen/Vorhaben, die mich schon länger begleiten, herausgewachsen. Die Ideen und Skizzen sind im Laufe des Umzugs, des Auf- und Umräumens wieder auf meinem Tisch gelandet und haben in der derzeitigen Situation einen guten Moment gefunden, um umgesetzt zu werden und ein Bild vom Kopf auf den Tisch, auf die Wand zu bringen. Ich habe eine Box mit Dateikarten, in die Skizzen hineinwandern und darauf warten, dass der richtige Zeitpunkt kommt, wo ich sage, so und jetzt mache ich mich dran. Häufig ist meine Arbeit ortspezifisch und die Ideen und Arbeiten entstehen in Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema oder Kontext, wobei es über die Recherche erst zum Medium und zur Materialität kommt. Und dann gibt es zwischendurch immer wieder diese Einschübe, Ideen, Bilder, die ich vielleicht nicht im Zuge der aktuellen Arbeit realisiere, sie aber in Form von Skizzen festhalte, um sie zu einem späteren, passenden Zeitpunkt wieder herauszunehmen und umzusetzen. So war es bei diesen zwei Taschentüchern. Wobei das Bild, das ich im Kopf hatte, eher eine Zeichnung bzw. ein Kopierbild eines Taschentuchs war. Dass es nun diese zwei textilen Objekte wurden, hat wohl noch anderes beeinflusst.
Für salto.bz Artstore hast du ein Projekt entwickelt, das wie ein ready-made gelesen werden kann. Ein Alltagsgebrauchsgegenstand - ein Papiertaschentuch einer bekannten Marke - wird in einem anderen Material präsentiert und damit veredelt. Dimension und Aufschrift entsprechen dem vergänglichen Originalobjekt. Der Schriftzug „Tempo“, den die meisten sofort wiedererkennen ist nicht nur der Name einer Marke, sondern lässt uns auch über das Konzept von Zeit nachdenken. Der Begriff Zeit hat während der COVID-19-Quarantäne, in der auch das Werk entstanden ist, eine neue Bedeutung bekommen. Welchen Wert hat „Tempo“ für dich?
Ich würde die Arbeit „Tempo“ nicht unbedingt als ein Readymade bezeichnen, da ich ja nicht ein original Tempo Taschentuch ausstelle. Ich sehe sie eher als ein Zitat, das nicht zuletzt durch seine Materialität und Ausführung Fragen aufwirft. Es sind zwei Objekte, die neben einander stehen und ein Bild ergeben, eine Geschichte anreißen. Dabei wird das Thema der Zeit auf verschiedenen Ebenen verhandelt. Das Tempo-Taschentuch, ein Wegwerfprodukt, das dem einstigem Stofftaschentuch mit Randmuster und eingestickten Namen nachempfunden ist, wird wiederum zum Taschentuch aus Stoff mit Stickerei, wie in früheren Zeiten. Anstelle des Namens steht jetzt aber die Marke. Das Randmuster kopiert das industriell eingeprägte Muster und ist im Hohlsaum ausgearbeitet. Eine zeitaufwendige textile Handfertigkeit die vielfach von Frauen zur Veredelung von Stoffen ausgeführt wurde. Dabei geht es weniger um ein Plädoyer an die guten alten Zeiten, als vielmehr um die Frage, wie wir mit diesem Bruch im Rhythmus unserer Gesellschaft umgehen wollen. Der Ursprung des Markennamens "Tempo" stammt aus den 1920er Jahren, die als schnelllebige Zeit empfunden wurden. Ein ähnliches Zeitempfinden haben wohl auch viele von uns in den letzten Jahren gehabt. Doch nun werden Rhythmen über den Haufen geworfen. Zeit ist auf einmal da, die eigentlich anders verplant war. Zeit wird anders wahrgenommen. Ich lese "tempo" sowohl als "Zeit", als auch als "Wetter": ... wie ist das "Wetter" heute? Gibt es Vorhersagen? Weiß man schon, wie es sich entwickeln wird, wie es in 10 Tagen ist?
Um es wirtschaftlich auszudrücken würde ich sagen meine Zeit-Aktien stehen sehr hoch und sind stark umworben und immer wieder im Ausverhandeln von mir selbst. Einerseits möchte ich viel Zeit mit meiner Familie verbringen, andererseits möchte ich auch viel Zeit der Kunst widmen, dann gibt es die Arbeit an der Uni und einiges anderes, das läuft meist von halb sieben morgens bis Mitternacht. Freizeit oder Momente des Alles-Liegen-Lassens und einfach Nichtstun sind sehr sehr rar, auch jetzt in der Corona-Zeit. Trotzdem erlebe ich die Zeit gerade als sehr spannend, die Wege eröffnet, die im alltäglichen Rhythmus wahrscheinlich so nicht entstanden wären. Dabei ist und bleibt aber alles unsicher und recht vage. Als dreifache Mutter ist es keine entspannende Zeit, es entstehen nicht Momente der Langeweile, aber trotzdem ist der Rhythmus ein anderer und verändert die Wahrnehmung von Zeit, den Ablauf der Tage oder das Ausfüllen von Zei. Dies ist wohl ein Ausnahmezustand, der uns für kurze Zeit erlaubt, ganz im Moment zu leben. Plötzlich gibt es mehr Raum fürs Bauchgefühl und Träume. Ich hoffe, wir schaffen es, das aus dieser Zeit mitzunehmen.
MARIA WALCHER
Tempo
2 Stofftaschentücher mit Hohlsaum & Stickerei, jeweils 20,5x21,5cm
30x40cm
gerahmt, hinter Glas
2020
780 €
(inkl. Steuern / exkl. Versand)
Maria Walcher (*1984, lebt und arbeitet in Innsbruck) hat im MFA: Public Art and New Artistic Strategies an der Bauhaus-Universität Weimar sowie an der Universität für angewandte Kunst Wien studiert und unterrichtet als Senior Artist an der Universität Mozarteum Salzburg. Ihre Arbeiten wurden u.a. im Charlama Depot, Sarajevo (2011), SOMA, Mexiko Stadt (2013), Kunstfest Weimar (2014), Quartaire Contemporary Art Initiatives, Den Haag (2014), im Maxim Gorki Theater, Berlin (2015), am Domplatz Innsbruck (2017) und in der Hofburg Brixen (2019) gezeigt. Neben Publikationen mit anderen Künstler*innen, widmen sich „Trasite“, „Lethe“ und „unterwegs // on the move“ einzelnen ihrer Projekte und Arbeiten.