Society | Impfdekret

“Moderne Hexenjagd”

Impfkritiker laufen Sturm. Zahlreiche Protestbriefe gehen bei den drei Südtiroler Senatoren ein, die sich in Rom gerade mit dem neuen Impfdekret beschäftigen.
Impfung
Foto: upi

“Skandal”, “moderne Hexenjagd” – ja sogar von einer neuen “Option” ist die Rede. Seit bekannt geworden ist, dass die drei Südtiroler Senatoren in Rom am Dienstag (20. Juni) für die Verfassungsmäßigkeit des neuen Impfdekrets gestimmt haben, ergießt sich eine regelrechte Flut an Wutbriefen über die E-Mail-Postfächer von Karl Zeller, Hans Berger und Francesco Palermo. Zahlreiche Bürger sind empört: Die Senatoren hätten trotz des einstimmigen Nein des Landtages zu den Zwangsmaßnahmen das Impfdekret für verfassungskonform befunden.
Viele Impfzwang-Gegner fühlen sich nicht gehört, nicht ernst genommen und von den Medien “als dumm und verantwortungslos” dargestellt. In erster Linie fühlen sich viele Eltern ihrer Freiheit beraubt, selbst zu entscheiden, was sie ihren Kindern zumuten wollen.

“Wir leben im Jahr 2017 und es sterben immer noch Menschen an Hungersnot, an Krieg, an Terrorismus und während der Flucht. Und Italien hat keine anderen Probleme, als 12 Pflichtimpfungen einzuführen und uns bei Nichteinhaltung die Kinder weg zu nehmen! Ich habe mich noch nie so für mein Land geschämt wie gerade im Moment.”
(aus einem Protestbrief)

Ein Vater aus Sterzing hat nicht nur an Zeller, Berger und Palermo geschrieben, sondern auch an Landeshauptmann Arno Kompatscher, Gesundheitslandesrätin Martha Stocker und SVP-Parteiobmann und Bildungslandesrat Philipp Achammer: “Ich appelliere an Sie, dass Sie in jedem Fall gegen jede Zwangsmaßnahme wie Einschaltung des Jugendgerichts, Ausschluss aus Kindergärten stimmen und dass Sie sich für die Streichung der Strafen einsetzen. Des weiteren halte ich es für sinnvoll, eine umfassende objektive Informationskampagne in der Bevölkerung zu starten. Ich weise Sie auch darauf hin, dass auch vor dem Erlass des Dekrets in Italien bereits eine sehr hohe Impfpflicht bestand im Vergleich zu anderen EU-Staaten. Tatsächlich werde ich vom italienischen Staat zu dieser Zwölffachimpfung gezwungen. Das bedeutet, dass mir das Grundrecht, medizinischen Eingriffen an meiner Tochter zuzustimmen oder abzulehnen, von vornherein entzogen wird. Doch genau dieses Recht, wird mir in der italienischen Verfassung, als auch von den Menschenrechtskonventionen zugesichert. Ebenso wird mir das Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung entzogen. Diese Diskriminierung findet statt durch Ausschluss von Kindergärten, durch mediale Dämonisierung der kritisch hinterfragenden Eltern und durch den Vorwurf, fehlinformiert zu sein.”

“Die soziale Diskreditierung und Hexenjagd gegen Impfkritiker ist nichts anderes als ein strategisch geschickter Zug der Pharmalobby und skrupellosen Verfechter dieses Gesetzes, zu denen Sie offensichtlich auch gehören”
(aus einem Protestbrief an die Senatoren)

Wie aus mehreren Schreiben hervorgeht, fehlt es vielen Eltern an Aufklärung. Das zeigt auch ein Blogeintrag, der am Donnerstag Vormittag auf salto.bz erscheint: “Ich habe angefangen, an Ärzte und an die Sanitätsbehörden Fragen zu stellen, und ich habe keine oder nur unbefriedigende Antworten erhalten. Die Südtiroler Sanitätsbehörden haben mich erst zum starken Impf-Zweifler gemacht und sind mir heute noch Antworten schuldig.”

“Gerade die Südtiroler Geschichte beweist, wie sehr dieses Land für seine Unabhängigkeit und Freiheit gekämpft hat, und sich gegen die Unterdrückung durch die 'große Übermacht' zur Wehr gesetzt hat. Diese hart erkämpfte Freiheit werfen Sie jetzt einfach über Bord und treten sie mit Füßen? Wie können Sie nur? Wie können Sie es vor sich selbst verantworten, dass Ihre Senatoren für die Verfassungsgültigkeit eines Gesetzes stimmen, welches unser Volk unterdrückt und versklavt? Sie schaffen wissentlich Zustände wie damals zu Zeiten der Option.”
(aus einem Protestschreiben an SVP-Obmann Philipp Achammer)

In Rom hat indes die Debatte über das Impfdekret im Senat begonnen. Bis 18 Uhr hatten die Senatoren Zeit, Abänderungsanträge einzureichen. Einen davon haben die Südtiroler Senatoren deponiert: die Geldstrafen – bis zu 7.500 Euro für Eltern, die sich weigern, alle 12 neuen Pflichtimpfungen durchzuführen – sollen gesenkt werden; die Möglichkeit, über das Jugendgericht die Aussetzung der elterlichen Gewalt zu erwirken, soll gestrichen werden; das Dekret soll erst zu einem späteren Zeitpunkt – vorgesehen ist das kommende Schuljahr 2017/18 –in Kraft treten. Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin, die das Dekret entworfen hat, hat bereits verkündet, dass der Passus zum Jugendgericht und Entzug der elterlichen Gewalt möglicherweise abgeändert oder gestrichen werden könnte. Bei der Anzahl der Pflichtimpfungen bleibt Lorenzin hart: “Non si cambia. Il loro numero e il loro elenco è stato stilato su indicazione delle autorità scientifiche e solo su basi scientifiche si potranno prendere in considerazione modifiche su questo punto.”

À propos wissenschaftliche Basis. Inmitten der heißen Diskussionen in Italien lässt ein Urteil aus Luxemburg aufhorchen. Dort hat der Europäische Gerichtshof am Mittwoch (21. Juni) befunden, dass klare Indizien ausreichen, um einen Impfschaden zu belegen. Auch wenn kein wissenschaftlicher Konsens über den Zusammenhang zwischen Impfstoffen und Impfschäden bestehe, können auch “klare und übereinstimmende Indizien” ausreichen, um den Hersteller haftbar zu machen. Das Urteil bezieht sich auf den Fall eines Franzosen, der gegen Hepatits B geimpft wurde, bald darauf an Multipler Sklerose erkrankte und schließlich starb. Die Klage der Familienangehörigen gegen den Pharmahersteller Sanofi Pasteur war vor dem Europäischen Gerichtshof gelandet.