Society | nebenwirkung

Die wahre Gefahr

Wie funktioniert Desinformation rund um das Impfen? Wem dient sie? Ein Report gibt Auskunft – und eine journalistische Recherche unerwartete Einblicke.
Great Reset Plakat, Australien
Foto: DJ Paine on Unsplash

Damit hatte Andreas Rausch nicht gerechnet. Als ihn sein Schwiegervater auf die Anzeigenseite der ostsächsischen Lokalzeitung aufmerksam macht, denkt er zunächst “Das ist ja krass!”. Vor dem rbb-Redakteur liegen ganze 126 Stellengesuche von Personen aus dem Gesundheitsbereich: Kranken- und Altenpfleger, Physiotherapeuten und Rettungssanitäter, die ab 16. März auf Arbeitssuche sind – weil nicht geimpft. Am 16. März tritt in Deutschland nämlich die Covid-19-Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in Kraft. “Wird eine Impfflucht das System lahmlegen?”, fragt sich der Journalist, und beschließt, mit den Betroffenen zu sprechen, will sie nach ihren Sorgen und Ängsten fragen. 18 der 126 Annoncen telefoniert er ab – ohne Erfolg. Einige Nummern existieren nicht, andere sind nicht erreichbar. Seine Recherche, über die Rausch auf rbb24.de berichtet, scheint zu bestätigten, worauf er auf Twitter hingewiesen wurde: Solche Fake-Anzeigen seien gezielte Aktionen aus speziellen Telegram-Gruppen, gesteuert, um die Menschen weiter zu verunsichern. Ähnliches wird aus Bayern berichtet.

In Deutschland wird es, wie in Italien, zu Suspendierungen von nicht geimpftem ärztlichen und Pflege-Personal kommen und sich die Situation in Spitälern und Heimen ab Mitte März verschärfen. Aber: Mit den massenhaft geschalteten Stellengesuche wird suggeriert, dass wegen der nahenden Impfpflicht ein wahrer Exodus aus dem Sanitäts- und Pflegewesen stattfindet. Wie perfide und manipulativ Desinformation im Zusammenhang mit dem Coronavirus und der Impfung dagegen mittlerweile verbreitet wird, das zeigt die Amadeu Antonio Stiftung in einer hochaktuellen Broschüre auf. “Immun gegen Fakten. Organisierte Impfgegnerschaft als Demokratiegefährdung”, so der Titel des 32-seitigen Reports.

Die Amadeu Antonio Stiftung gibt es seit 1998. Ihr Sitz ist in Berlin, ihr Auftrag: “eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet”. In “Immun gegen Fakten” erklären die Autoren, warum organisierte Impfgegnerschaft eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Zwei der vier Argumente, die angeführt werden:

  • Wer glaubt, Impfungen seien ein Werkzeug der Eliten mit dem Zweck, die Weltbevölkerung zu kontrollieren oder ihr zu schaden, reproduziert antisemitische Narrative. Das begünstigt die Ablehnung oder gar Gewalt gegen die Menschen, die als Stellvertreter des Systems betrachtet werden.
  • Verschwörungsideologische Impfgegnerschaft propagiert Angriffe gegen vermeintlich Schuldige, gegen Wissenschaftler, Ärzte und den Staat und kommt Rechtsextremen, die aktiv daran arbeiten, die Demokratie abzuschaffen, sehr gelegen.

Viele lassen sich nicht impfen, weil sie Verschwörungserzählungen glauben, die sie auf dubiosen ‘Alternativmedien’ im Internet oder in Telegram-Chatgruppen gefunden haben. Viele dieser Verschwörungserzählungen existieren nicht, weil jemand ‘selbst gedacht’ hat, sondern sie dienen manipulierenden Absichten. (aus: “Immun gegen Fakten”)

Die Amadeu Antonio Stiftung unterscheidet drei Typen von Impflügen – medizinische, verschwörungsideologische sowie das Natürlichkeits-Argument – und wie sie als Einfallstor für radikalisiertes, antisemitisches und rassistisches Gedankengut funktionieren: “In rechtsextremen Kreisen kursiert etwa die antisemitische Verschwörungslüge vom ‘Großen Austausch’, in die das Pandemiegeschehen eingeflochten wird: ‘Die Juden’ oder ‘die volksfeindlichen demokratischen Regierungen’ würden die Pandemie nutzen, um ihren Plan vom ‘Großen Austausch’ voranzutreiben. Dieser Plan würde beinhalten, das ‘deutsche Volk’ gegen angeblich leichter zu regierende Migrant:innen auszutauschen. In Bezug auf Gesundheitsthemen ist derzeit die an den ‘Großen Austausch’ anknüpfende antisemitische Verschwörungserzählung vom ‘Great Reset’ beliebt: Die besagt, eine ‘globale Finanzelite’ plane ein Zurücksetzen der derzeitigen Weltwirtschaftsordnung, bezeichne dies als ‘The Great Reset’ und nutze als Begründung die Covid-19-Pandemie, um darüber eine ‘digitale Gesundheitsdiktatur’ zu errichten und die eigenen Einkünfte zu mehren. Als Gegenstrategie wird die Impfverweigerung und das Verbreiten von ‘alternativen Wahrheiten’, also Lügen, im Internet empfohlen.”

 

Dort, also im Netz, und vor allem in Sozialen Netzwerken fällt es vielen nicht leicht, Unwahrheiten und Falschinformationen zu erkennen. Umso weniger, wenn sie gezielt und strategisch gestreut werden. Die Amadeu Antonio Stiftung gibt einige Hinweise bzw. Elemente, mit denen Impf-Desinformationen oft arbeiten:

  • Sie präsentieren Pseudo-Experten in der Hoffnung, dass niemand Zeit hat, zu überprüfen, ob die Person wirklich relevantes Wissen oder Expertise hat.
  • Sie arbeiten mit logischen Trugschlüssen, setzen also Dinge in Zusammenhang, bei denen es keinen belegbaren Zusammenhang gibt (z. B. Todesfälle und Impfungen).
  • Sie arbeiten mit unerfüllbaren Erwartungen: “Die Ärzte sind sich da nicht zu 100 Prozent sicher”. So ist Medizin allerdings: Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht.
  • Sie erklären Einzelfälle – etwa allergische Reaktionen – zur Regel, auch wenn ein wissenschaftlicher Konsens darüber besteht, dass es nur Einzelfälle sind.
  • Sie arbeiten mit Verschwörungsmythen, die ein politisches Ziel verfolgen, das über die Impf-Thematik hinausreicht, etwa indem sie suggerieren, dass demokratische Politiker mit der Situation überfordert und autoritäre Systeme effizienter wären.

Einige dieser Pseudo-Experten, die über Deutschland hinaus als Corona-Fachleute auftreten, sind in “Immun gegen Fakten” dann auch namentlich angeführt – und es wird erklärt, warum man ihnen zum Coronavirus nicht trauen sollte: Dr. Bodo Schiffmann, Prof. Dr. Sucharit Bhakdi, Wolfgang Wodarg, Dr. Walter Weber und die “Ärzte für Aufklärung”.

In der Regel entwerfen Verschwörungsmythen keine sinnvollen Alternativen und tragen somit nicht zur Lösung gesellschaftlicher Probleme bei. (aus: “Immun gegen Fakten”)

Schließlich liefert der Report noch fünf Ansätze, wie mit Impfgegnern umgegangen bzw. Verschwörungsmythen zum Thema Impfen gekontert werden kann: Das Ziel der Diskussion festlegen – Argumente am Weltbild des Gegenübers anknüpfen – Fragen stellen – Nicht pauschal diffamieren, sondern sachlich argumentieren – Betonen, was richtig ist.

Am Ende sind eine lange Reihe an Quellen für glaubwürdige und wissenschaftlich abgesicherte Informationen rund um das Impfen aufgelistet.