Weder Freitod noch aktive Sterbehilfe
In den vergangenen Tagen und Wochen gab es auffallend viele Beiträge in den Medien zur Suizidprävention. Seit einer Woche wird auch über den vermeintlichen Freitodes eines jungen Bayrischen Künstlers berichtet und diskutiert, der bei einer Kreuzfahrt über Bord gegangen ist. In einer deutschen Zeitschrift habe ich folgende Passage gefunden: “Eine Studie einer Uni in Maryland stellte 2017 fest, dass Transgenderpersonen, und andere sexuelle Minderheiten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, öfter an Depressionen leiden, häufiger Angstzustände haben und einen Suizid begehen” Dabei wird ein Tabu angesprochen, das bei den hießigen Präventionsprojekten anscheinend noch tabuisiert wird!. Der Psychiater Michael Szukaj aus Münster sagt: „Man empfindet eine Verfremdung im Körper , die wir als nicht Betroffene nicht nachempfinden können. Im falschen Körper zu leben, da ist für viele die Verzweiflung sehr groß, das erklärt, warum viele versuchen, sich das Leben zu nehmen.“ Soviel vorweg um zu einem anderen Aspekt des Suzids zu kommen.
In der Tageszeitung vom 22. September wird der Vorarlberger Psychiater und Psychtherapeut Reinhard Haller zu diesem Thema interviewt. Bezüglich Freitod im Alter spricht er sich gegen eine mögliche aktive Sterbehilfe aus. Dazu möchte ich einen Witz erzählen:
Herr Doktor, was muss ich tun, damit ich hundert Jahre alt werde? Rauchen Sie? Nein. Trinken Sie? Ne, auch nicht. Feiern Sie die Nächte durch? Nein. Sicher nicht? Nein. Haben Sie häufigen Geschlechtsverkehr? Eigentlich auch nicht. Warum um Himmels Willen wollen Sie dann hundert Jahre alt werden?!
Das ist ein Witz gegen den Zeitgeist! Ja warum sollen wir immer so gesund und oft freudlos leben, damit wir möglichst viele Jahre alt werden? Dabei kosten wir durch die lange Rente und die vielen Krankheiten und teuren Therapien der Allgemeinheit zunehmend viel Geld. Die Pflege kann nicht mehr garantiert werden. Unsere osteuropäischen und lateinamerikanischen – in Zukunft vielleicht auch afrikanischen – Pflegerinnen können wir sprachlich und kulturell nicht gut verstehen und sie uns nicht. Warum um Himmels Willen sollen wir dann so alt werden? Warum kann einem alten Menschen, der nach reichlicher Überlegung einen Bilanzsuizid plant und dabei ärztliche Hilfe bräuchte, nicht geholfen werden?
In einer Talkshow im ZDF oder ARD im Zusammenhang mit Pflege im Alter und ob man diese von den Kindern erwarten kann, antwortet eine fast achtzigjährige Schauspielerin: Sie habe mit ihrer Tochter das schon alles besprochen. Im Falle einer schweren Krankheit oder Pflegebedürftigkeit wisse diese schon was tun. Sie deutete an, dass sie dann schon wisse, wie selbstentschieden aus dem Leben scheiden kann. Die Moderatorin unterband eine Diskussion darüber. Diese ist aber zu führen! Warum sollten nur prominente und reiche Menschen sich einen ärztlich betreuten Freitod evtl. im Ausland leisten können und erhalten?
Es ist bizarr, dass man wegen
Es ist bizarr, dass man wegen Selbstmordabsichten eine Zwangseinlieferung in die Psychiatrie erleben kann und der Aufenthalt dort einen erst recht dazu bringt, das Leben als nicht mehr lebenswert zu betrachten.
Ich stimme dem Autor zu, dass der wohlüberlegte Wunsch, das Leben zu beenden, respektiert werden sollte.
Ich bin ein bisschen spät
Ich bin ein bisschen spät dran - gemessen am Verfallstempo der digitalen Realität. Ja, erstaunlich, nur ein Kommentar!
Eine gute Frage stellt der Autor und sie ist gut abgeleitet aus aktuellen Geschehnissen. Es ist ja schon viel, dass jetzt das biologische Testament gesetzlich bindend ist. Für ein katholisches Land, mit einer gewaltigen hierarchischen Kirche im Hintergrund schon ein grosser Fortschritt. Für Fragen wie assistierter Suizid oder gar Euthanasie sind vorerst wohl nur die Protestanten gerüstet.
Die Frage bleibt trotzdem berechtigt und soll immer wieder gestellt werden. Vielleicht gerade weil sie Ratlosigkeit und Nicht-Wissen hervorruft - unangenehme Gefühlszustände, aber wichtige und produktive, gerade heutzutage.
In reply to Ich bin ein bisschen spät by Erwin Demichiel
Ein interessanter Aspekt,
Ein interessanter Aspekt, Erwin Demichiel. Also darf sich jemand in Italien keine Hoffnung machen. Bleibt also nur das Geschäft der ausländischen Anbieter, denn protestantisch wird Italien sicher nicht bald. Und falls uns die Südtiroler Freiheit unabhängig macht, ist das auch nicht anzunehmen!
Oliver, du hast eine ähnliche
Oliver, du hast eine ähnliche Position bezüglich passiver Sterbehilfe schon einmal an anderer Stelle geäußert. An die Frage „ Warum kann einem alten Menschen, der nach reichlicher Überlegung einen Bilanzsuizid plant und dabei ärztliche Hilfe bräuchte, nicht geholfen werden?“ getraust du dich anscheinend auch nicht recht dran.
Vielleicht müsste man die Frage schlussendlich nicht nur auf die alten Menschen begrenzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es – wie du schreibst – wirklich ein Umdenken bei den meisten Ärzten gibt. So habe ich Personen gekannt, die eine lebensverlängernde Therapie z. B. Chemotherapie erfolgreich verweigert haben und sterben wollten. Was ist aber mit denen, denen die Natur (Krankheit) nicht entgegen kommt. Anscheinend ist es schwierig bis unmöglich, einen Arzt zu fragen, ob er/man z. B. die Medikamente gegen Herzinfarkt einfach weglassen kann, in der Hoffnung nach einem früheren Tod. Ebenso kann ich wahrscheinlich auch nicht verfügen, dass ich im Falle eines Herzinfarktes keinen Defibrillator und keine Wiederbelebung möchte.
Bezüglich aktiver Sterbehilfe ist mir schon klar, dass es da viele Bedenken gibt. Man müsste dann aber so eine ähnliche fachliche Beratungsinstanz und Begleitung wie bei der Abreibung vorsehen!
Was sagst du zu diesen Fragen?
Oliver danke, dein Beispiel
Oliver danke, dein Beispiel mit der Wassersucht: solche Fälle meine ich nicht. Deswegen spreche ich auch von "reichlicher Überlegung beim Bilanzsuizid" und von "fachliche Beratung und Begleitung".
Ich habe mich einmal für eine alte Frau beim Landes-Ethik-Komitee erkundigt, ob es ethisch für einen Arzt vertretbar wäre, lebenserhaltende Medikamente abzubauen? Ich erhielt eine Antwort von einer Ärztin, die das als grundsätzlich möglich erklärte, der Hausarzt müsse das aber verantworten. Außerdem erwähnte sie, dass z. B. das Absetzen eines Medikaments gegen Herzinfarkt nicht unbedingt dann einen solche zur Folge hat, sondern dass die Frau dann evtl. einen Schlaganfall bekommen könnte und zum Pflegefall würde, was sie erst recht nicht möchte. Außerdem ist sie überzeugt, dass sie diesbezüglich mit ihrem Hausarzt gar nicht zureden brauche.
Das mit dem Wissen, was man einnimmt, ist so eine Sache: Genannte greise Frau könnte so auf Anhieb bei keinem Medikament sagen, wofür das ist. Sie nimmt jene, die ihr der Hausarzt verschreibt. Und sogar ich, der ich erst knapp 70 bin, muss oft selbst erst wieder nachlesen – da kommt auch die Altersvergesslichkeit dazu!
Zum Schluss noch etwas zu deinem folgenden Satz: „Meine persönliche Meinung ist, dass ein Mensch ohne psychiatrische oder sonstige geistige Erkrankung das Recht hat, frei (….) zu entscheiden.“
Meines Wissens gehört Depression – auch chronische – zu den psychiatrischen Leiden. Warum soll ein Mensch mit einer chronischen Depression – er ist deswegen ja nicht unzurechnungsfähig – im Falle nicht auch einen gut überlegten und begleiteten Bilanz-Freitod machen dürfen?