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Wer ist hier Täter, wer Opfer?

Vergewaltigungsmythen in einer patriarchalen Gesellschaft.
  • Die Kommentare unter dieser Rubrik zeigen immer wieder allgemein verbreitete Denkmuster auf, die festgefahren sind und nach dringender Dekonstruktion verlangen. So beispielsweise die Reaktion auf 50 ganz normale Männer: Wieso hat die Frau nicht angezeigt? In unserer Gesellschaft sind Frauenrechte garantiert, für sexuelle Übergriffe sind immer "die Anderen" verantwortlich und schuld. 

    Und genau mit dieser Haltung beginnt die gesamtgesellschaftliche Mitverantwortung: Statt die Vergewaltigungen klar zu verurteilen und die "Normalität" der Täter zu analysieren, wird das Opfer unter die Lupe genommen, hat die Frau mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen zu kämpfen. Es ist ja nicht so, als wäre dies ein neues Phänomen! Vielmehr ist es ein Muster, das sich quer durch alle Bereiche der männlichen Gewalt an Frauen zieht. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass es da auch zu Fragen an das Opfer kommt, wie die folgenden aus einem Prozess zu einer Gruppenvergewaltigung vor knapp zehn Monaten: "Wie hat man Ihnen das Höschen ausgezogen? Welche Hose hatten Sie an? Warum haben Sie nicht geschrien? Warum haben Sie nicht Ihre Zähne benutzt? Warum haben Sie sich nicht losgerissen? Haben Sie Ihr Becken angehoben?"

    Vergewaltigungsmythen, welche die Aktionen und Reaktionen des Opfers durchleuchten, anstatt das Verhalten des Täters (oder der Täter) zu be- und verurteilen: So wird die Verantwortung für das Verbrechen vom Täter zum Opfer verschoben. Die Frau muss ihre Gegenreaktion beweisen und ein Standardverhalten als "ideales Opfer" aufweisen: Das ist Victim Blaming. Es handelt sich um Vergewaltigungsmythen, die sich über die Jahrzehnte hinweg hartnäckig halten, auch in den italienischen Gerichtssälen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat Italien wiederholt verurteilt wegen der Verletzung der Rechte "mutmaßlicher Vergewaltigungsopfer". 

    Diese Vergewaltigungsmythen, liebe Leser und Leserinnen, sind Teil der gängigen und allgegenwärtigen Vergewaltigungskultur einer patriarchalen Gesellschaft, der wir alle angehören, unabhängig von unserem Geschlecht. Wie wäre es damit, den eigenen, ganz individuellen und persönlichen Anteil daran zu hinterfragen, statt moralisierend in die Kerbe der Täter-Opfer-Umkehr zu schlagen?

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Oliver Hopfgartner Tue, 10/29/2024 - 05:52

Ein Bekannter von mir hat früher in einer Bar gearbeitet und mal nach der Schicht mit einer Touristin geschlafen. Weil ER nicht der Schönste war und SIE sich vor ihren Freundinnen schämte, behauptete sie, er hätte ihr KO-Tropfen gegeben und sie vergewaltigt. Eine ihrer Freundinnen rief die Carabinieri. Mit der Polizei klärte sich die Situation dann auf.

Was will ich damit sagen?

Ich stimme dir zu, dass bei einer Vergewaltigung der Täter der Täter ist.

Allerdings ist die Situation leider nicht immer klar schwarz-weiß, sondern es gibt auch grenzwertige, nicht 100% eindeutige Situationen.
Daher gehört es gerade bei so schwerwiegenden Anklagen einfach dazu, die Situation sorgfältig zu klären, da in einem Rechtsstaat immer noch die Unschuldsvermutung gilt.

Würde die Behauptung einer Frau ausreichen, um einen Mann wegen Vergewaltigung zu verurteilen ohne die Beweislage zu prüfen, wären wir nicht besser als Gesellschaften, die Frauen steinigen, wenn sie freiwillig mit einem anderen Mann schlafen und dem Ehemann das nicht gefällt.

Das Erfragen der Umstände ist also keineswegs eine Täter-Opfer-Umkehr, sondern notwendig, um Fehlurteile zu vermeiden.

Tue, 10/29/2024 - 05:52 Permalink
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Oliver Hopfgartner Tue, 10/29/2024 - 12:24

In reply to by Stefan S

Rechtsstaatliche Prinzipien sind kein Whataboutismus.

Sicher ist es nicht angenehm für eine Frau, wenn sie zig mal zu ihrer Vergewaltigung befragt wird, da es retraumatisierend sein kann. In einem Rechtsstaat ist das notwendig und deswegen ist es so, dass Betroffene immer öfter psychologische bzw. psychotherapeutische Unterstützung erhalten.

Eine angemessene Forensik und Beweiserhebung zu fordern, ist alles andere als Whataboutismus und auch keine Täter-Opfer-Umkehr.

Tue, 10/29/2024 - 12:24 Permalink
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Oliver Hopfgartner Tue, 10/29/2024 - 19:30

In reply to by Stefan S

Es ist kein Whataboutism, denn im Voraus kann man nicht beurteilen, ob eine Gewalttat passiert ist oder es sich um falsche Vorwürfe handelt. Daher ist es auch keine Täter-Opfer-Umkehr, wenn das Opfer detailliert über die Vorfälle aussagen muss.
Daher kritisiere ich auch die Kolumne, denn sie macht es sich zu einfach.

Was man allerdings in der Tat verbessern könnte, wäre die Betreuung von Opfern, um eben Retraumatisierungen im Zuge des Prozesses zu minimieren oder bestenfalls zu vermeiden. Ich weiß übrigens wovon ich spreche, da wir allgemeinmedizinisch relativ viele Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen betreuen, u.a. Vergewaltigungsopfer, Kriegsopfer und Schlimmeres. Die Aussagen vor Gericht sind aber essenziell, weil sonst nichts weitergeht. Betroffene sollten meiner Ansicht nach in solchen Fällen immer eine psychotherapeutische Begleitung in ausreichenden Umfang in Anspruch nehmen können. Ich bin also keinesfalls jemand, der die Situation von Opfern bagatellisiert.

Die Autorin hier macht aber etwas Anderes: sie bezeichnet die ernsthafte Auseinandersetzung mit derartigen Anklagen als "Täter-Opfer-Umkehr". Das ist weder konstruktiv, noch hat es etwas mit der Realität zu tun.

Tue, 10/29/2024 - 19:30 Permalink
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Manfred Gasser Tue, 10/29/2024 - 20:33

In reply to by Oliver Hopfgartner

Ein Beispiel.
Frankfurt 2018, Prozess wegen versuchter Vergewaltigung, Opfer meine Cousine.
Nachdem meine Cousine den Tathergang so gut es ihr möglich war erzählt hat, bekam der Verteidiger das Wort. Ich war anwesend, kann mich aber an den ganz genauen Wortlaut leider nicht mehr erinnern.
Verteidiger: "Sie haben gerade ausgesagt, dass Sie mit dem Gesicht zur Wand gedrückt wurden, und versuchten, sich mit voller Kraft davon wegzudrücken, indem Sie sich mit dem ganzen Körper gegen meinen Mandanten stemmten. Könnte das mein Mandant als Aufforderung zur Penetration empfunden haben,..." Der Verteidiger wurde sofort vom vorsitzenden Richter unterbrochen, verwarnt, aber es war schon zu spät, das Unsagbare war schon gesagt. Meine Cousine ist unter Weinkrämpfen zusammengebrochen, und wurde von zwei Sanitätern aus dem Saal gebracht.
Soviel zu Aussagen vor Gericht, und was daraus gemacht werden kann.

Tue, 10/29/2024 - 20:33 Permalink
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Urban Von Kleb… Tue, 10/29/2024 - 08:18

Ein Grund für die Täter Opfer Unkehr ist oft reine Komodität. Denn wie aufwändig und kompliziert ist es denn, wenn man erkennen und zulassen muss, dass ein Bekannter/Verwandter/Freund/Arbeitskollege/Mitarbeiter u.ä. (ich bleibe hier männlich, weil das Bezugsdelikt sexueller Missbrauch ist) etwas getan hat, was unausweichlich eine Distanzierung und ein Abwenden von ihm erfordert.
Ich muss eine bekannte, vielleicht auch vertraute Person umbewerten, ich muss dies wahrscheinlich auch vor anderen tun, ich muss mich distanzieren, er könnte mir fehlen (…Wir haben so viel Spass miteinander - die Kartenrunde ohne ihn geht gar nicht. Er ist immer hilfsbereit - muss ich jetzt meine Tante alleine pflegen? Er ist einer der besten Mitarbeiter, ich kann nicht auf ihn verzichten. Ich kann mir ein Leben ohne ihm nicht vorstellen, was soll ich jetzt tun? …. usw).
Sich distanzieren ist nicht einfach, bedeutet raus aus der gewohnten Situation, sich mit der Sache befassen, hinterfragen, „unter die Decke schauen“, wahrscheinlich Gleichgewichte stören/verlieren, anecken, neu ordnen usw. Das braucht Mut, Kraft, Zeit und einige Scherben werden unvermeidbar sein. Alles recht aufwändig und kompliziert also.
Viel einfacher - auf guat Tirolerisch: komotter - ist es, sich hinter einer Haltung des „kann ich nicht glauben“, „das wollen sie ihm nur anhängen“, „die hat es ja provoziert“ , „so schlimm ist es nun auch nicht“ usw. zu verschanzen und somit vorerst einmal gar nichts in sich und um sich verändern zu müssen. Dann schau mr amal…und „die Dinge geschehen weiter, weil wir sie geschehen lassen“.

Tue, 10/29/2024 - 08:18 Permalink
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Milo Tschurtsch Tue, 10/29/2024 - 08:46

Dass sexuelle Gewalttaten häufig im engeren Familienkreis stattfinden und das oft jahrelang ist bekannt.
Daher wird es wohl unerlässlich sein dass Frauen diese anzeigen und das sobald als möglich. Dass dafür die Hemmschwelle groß ist ( da es sich oft um Familienmitglieder handelt) ist klar. Trotzdem führt an der Anzeige kein Weg vorbei um die Täter einer Strafe zuzuführen und was auch wichtig ist, abschreckend zu wirken.
Was das jetzt mit Schuldzuweisung an die Opfer zu tun hat erschließt sich wohl niemandem. Wie gesagt, dieser Schritt ist unumgänglich, denn werden diese Taten (oft jahrelang) gedeckt wird alles verschlimmert. Das Problem ist bekannt.
Frauen , wo dahingehende Vermutungen auftauchen sollten daraufhin angesprochen und ermutigt werden.

Tue, 10/29/2024 - 08:46 Permalink
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Hanna Obletter Sun, 11/03/2024 - 13:13

In reply to by Milo Tschurtsch

Einem Opfer wird alle Selbstbestimmung genommen. Daher ist das mindeste, was wir einem Opfer zusprechen können, selbst über einen weiteren Anzeigeweg entscheiden zu können. Gerade wenn die Gewalt im familiren Umfeld ausübt wird, finden wir eine Vielzahl an Verstrickungen, und es ist alles weitere als gesagt, dass eine Strafanzeige die Situation des Opfers verbessert.
Ein vielgebrachtes Argument ist, dass Täter angezeigt gehören, um zu verhindern, dass anderen Frauen/Kindern/Männern geschadet wird. Das mag valide klingen, jedoch liegt es nicht in der Verantwortung des Opfers, verhindern zu müssen und können, dass der Täter weiterhin schädigt.

Sun, 11/03/2024 - 13:13 Permalink
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Peter Gasser Tue, 10/29/2024 - 08:53

Zitat: "...denn werden diese Taten (oft jahrelang) gedeckt wird alles verschlimmert":

... und WER "deckt diese Taten (oft jahrelang)", muss man sich bei diesem Satz fragen?

Tue, 10/29/2024 - 08:53 Permalink