Zeitenwende
Als neutrales Land war die Schweiz nicht in die militärischen Auseinandersetzungen der Jahre 1914–1918 involviert und kultivierte eine Insel- und Igelmetaphorik. Gleichzeitig partizipierte sie aber wirtschaftlich, nachrichtentechnisch, diplomatisch, geheimdienstlich und propagandistisch teilweise intensiver als kriegsführende Länder an diesem sich in verschiedener Hinsicht entgrenzenden „Großen Krieg“. Dabei ließen sich die schweizerischen Behörden und die exportorientierten Unternehmen von einem Nützlichkeitskriterium leiten, das zusammen mit der Pufferfunktion der Neutralität den staatspolitisch den wirksamsten Garanten für nationale Sicherheit darstellte.
War in den ersten Kriegsjahren eine markante Ausrichtung an den Mittelmächten erkennbar, machte sich ab Frühjahr 1917 mit dem Kriegseintritt der Amerikaner und der Wende auf den Kriegsschauplätzen eine Absetzbewegung gegenüber Deutschland bemerkbar. Erstmals in ihrer Geschichte begann die Schweiz auf eine außereuropäische Macht zu setzen.
Der Vortrag schildert diese komplexen und widersprüchlichen transnationalen Verflechtungen und Entwicklungen, die auch aus der Perspektive eines neutralen Kleinstaates als großes weltgeschichtliches Drama wahrgenommen wurden.
Im Sommer 1917 brach eine personell hochkarätig besetzte „Swiss Mission“ in die USA auf; Ende des Jahres wurde die schweizerische Öffentlichkeit durch die hoffnungsvolle Botschaft elektrisiert, dass die Getreideversorgung fortan über den Atlantik erfolgen würde. Auch wenn das Transportproblem erheblich war, erreichten im Jahr darauf substanzielle Lieferungen die Schweiz, wodurch eine drohende Hungersnot abgewendet werden konnte.
Im Gegenzug sorgte das deutsche Kaiserreich mit Spionageskandalen und den Zürcher Bombenprozessen von 1918 für öffentliche Irritation; die deutsche Propaganda stieß zunehmend auf Grenzen und die Grundstimmung in der Bevölkerung kippte ins Lager der Alliierten. Mit dem Zusammenbruch der Imperien und monarchistischen Ordnungen bei Kriegsende geriet die Schweiz ins Kraftfeld von sozialen Konflikten, die im Landesstreik vom November 1918 kulminierten. 1920 beschlossen die Schweizer Stimmbürger den Beitritt zum Völkerbund und den Übergang zu einer so genannten „differenziellen Neutralität“. Allerdings wurde die wirtschaftlich-rüstungsindustrielle Kooperation mit den Verlierermächten des Ersten Weltkrieges rasch wiederaufgenommen. Der Vortrag schildert diese komplexen und widersprüchlichen transnationalen Verflechtungen und Entwicklungen, die auch aus der Perspektive eines neutralen Kleinstaates als großes weltgeschichtliches Drama wahrgenommen wurden.
Der nützliche Pufferstaat. Zur Rolle der Schweiz im machtpolitischen Umbruch der Jahre 1917–1919
Ort: Freie Universität Bozen, Universitätsplatz 1, Campus Bozen
Hörsaal: D1.02
29.03.2018, 17:30 Uhr
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