Society | Tagebuch aus Alpbach

Der Alpbach-Spirit

Alpbach werde ich sicher nie vergessen und gewonnene Freundschaften werden mich hoffentlich mein Leben begleiten. Daniel Mayr über seine Eindrücke.
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Foto: EFA
Ich sitze gerade hier im Cafe im Kongresszentrum in Alpbach, denn ich wurde gebeten darüber zu schreiben, was ich hier heute erlebt habe. So vieles in so wenige Worte zu fassen, wird eine große Herausforderung.
Am selben Tisch zu meiner Linken sitzt der brillante Mathematiker, Physiker und Politiker Cédric Villani in einer Runde mit zwei Mädels aus meinem Seminar und drei älteren Herren in Anzug. Innerhalb der letzten halben Stunde ging es um die Auswirkungen der russischen Invasion der Ukraine, um Einsteins Weltbild und um die Rolle von Emotionen in politischen Entscheiden – wie man in so kurzer Zeit zwischen so unterschiedlichen Themen wechseln kann, habe ich jetzt leider nicht verstehen können.
Zu meiner Rechten unterhaltet sich eine Gruppe von Stipendiat:innen. Sie lachen, zeigen sich Videos und sprechen mit den unterschiedlichsten Akzenten. Es ist eine große Herausforderung hier an diesem Ort konzentriert an etwas zu arbeiten, so viele geniale Ideen schwirren durch den Raum und so viele lustige Konversationen finden statt – man möchte einfach überall teilhaben, man möchte jeden Menschen und seine Geschichte kennenlernen. Dieser Spirit, diese Offenheit – zwischen Stipendiaten aber auch zwischen Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Unternehmer:innen – ist in Worten nur schwer zu fassen und ich glaube, dass es genau dieser Spirit ist, der so viele Menschen und Ideen aus aller Welt nach Alpbach zieht.
 
 
 
Nun will ich aber von meinem Tag berichten. Begonnen habe ich meinen Tag mit meinem Seminar. Als Stipendiat besucht man neben all den Diskussionen und Vorträgen nämlich auch Seminare. In meinem Seminar „politician for a week“ habe ich in den letzten Tagen gelernt, wie man Reden schreibt und vorträgt, wie man Verhandlungen führt und wie man achtsam in Diskussionen zu Lösungen kommt, die alle Beteiligten zufriedenstellt. Heute findet zum Abschluss des Seminars die Simulation eines Klimagipfels statt. Dabei nimmt jeder in meiner Gruppe, die aus 36 Menschen aus 27 verschiedenen Ländern besteht, eine besondere Rolle ein. Ich war beispielsweise ein Wissenschaftler, der sich mit erneuerbaren Energien beschäftigt. Diese Simulation war extrem interessant, da vor allem Stipendiaten aus anderen Kontinenten Argumente in Diskussionen einbringen, an die man selbst nie gedacht hätte.
 
 
Danach habe ich eine Podiumsdiskussion über RNA-basierte Medizin der Zukunft angehört, bei der unter anderem ein Gründer von BioNTech und der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts teilnahmen. Dabei hatte ich auch die Gelegenheit mehrere Fragen an das Plenum zu stellen. Danach nahm ich an einer Diskussion mit einigen österreichischen Wissenschaftler:innen über fake news und die Rolle der Wissenschaft in einer Gesellschaft teil. Im Anschluss fand in der Kirche eine Meditation statt. Diese war inspiriert von verschiedenen philosophischen Traditionen aus der ganzen Welt und Menschen mit verschiedensten Religionen nahmen daran teil.
Während all diesen Aktivitäten hatte ich unter anderem die Chance Monir kennenzulernen, einen Afghanen, der vor einigen Jahren allein aus seiner Heimat floh und heute internationales Recht studiert.
Während all diesen Aktivitäten hatte ich unter anderem die Chance Monir kennenzulernen, einen Afghanen, der vor einigen Jahren allein aus seiner Heimat floh und heute internationales Recht studiert. In einem langen Gespräch konnte ich seine interessante Sichtweise auf den Krieg in Afghanistan verstehen und sehe diesen Konflikt nun mit ganz anderen Augen. Auch habe ich Miruana kennenlernen dürfen, eine Rumänin die nahe an der Grenze zur Ukraine lebt. Sie hat mir erzählt, wie groß die Angst der Menschen dort nach dem Angriff Russlands war und wie auch aus dieser Angst eine enorme Solidarität gegenüber den Ukrainer:innen entstand. Sie selbst hat für mehrere Monate freiwillig für das Rote Kreuz gearbeitet, um ihre Nachbarn mit medizinischen Gütern zu versorgen. Doch diese Interaktionen gehen weit über Wissen hinaus, das man durch sie sammeln kann. Wie wir gelacht haben, als ich versucht habe zwei Freunden aus Indien und Amerika den Südtiroler Brauch des Teufeltags zu erklären. Wie ich neidisch auf das extrem angenehm aussehende traditionelle Gewand eines Stipendiaten aus Sierra Leone war. Wie wir am Abend getanzt haben. Alpbach werde ich sicher nie vergessen und gewonnene Freundschaften werden mich hoffentlich mein Leben begleiten.