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NACH DEM EKLAT

Die Stichwahl in Meran ist entschieden, doch die politische Ruhe kehrt nicht ein. Ein Moment bei der Amtsübergabe zwischen dem scheidenden und der neuen Bürgermeisterin sorgt für tiefgreifende Dikussionen.
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Meran
Foto: Seehauserfoto
  • Ein Kapitel, das keiner wollte

    Die jüngsten politischen Ereignisse in Meran haben viele Menschen in der Stadt, unabhängig ihrer politischen Gesinnung, mit einem Gefühl der Ernüchterung zurückgelassen. Was nach der Wahl geschah, gefiel kaum jemandem, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Es entstand der Eindruck, eine Wahlniederlage sei nicht sportlich akzeptiert worden. Dabei sollte Politik kein Wettkampf sein, bei dem es um persönliche Triumphe geht, sondern um das Erfüllen der Bedürfnisse der Bevölkerung. Fehler sind menschlich, und gerade in der Politik, wo oft auch weniger erfahrene politisch Handelnde Verantwortung übernehmen, können sie passieren. Entscheidend ist nun, dass im Sinne des Allgemeinwohls ein gemeinsames Einsehen reift, um dieses unglückliche Kapitel abzuhaken. Viele Bürgerinnen und Bürger, die ihre Region in ihrer ganzen Komplexität lieben, wünschen sich von den Regierenden Gesten, die verbinden, nicht trennen – gerade nach einer schwierigen Geschichte, die das Bedürfnis nach Betonung der eigenen kulturellen Identität verständlich macht.

  • Der Moment, der Wellen schlug

    Bei der symbolischen Amtsübergabe im Meraner Rathaus kam es zu jenem viel diskutierten Moment: Der scheidende Bürgermeister Dario Dal Medico legte seiner Nachfolgerin Katharina Zeller die Trikolore-Schärpe um. Zeller nahm diese nach wenigen Sekunden wieder ab und legte sie auf den Tisch. Sie selbst sprach von einer empfundenen Provokation und einem nicht protokollgemäßen Akt, da sie die Schärpe in die Hand und nicht umgelegt bekommen wollte. Dal Medico wirkte irritiert. Die Beobachtenden merkten an, dass das Verhalten des scheidenden Bürgermeisters, gerade angesichts seines Alters und der Situation, als bewusst provokant empfunden wurde und möglicherweise auf einem länger schwelenden Konflikt basierte. Das Videomaterial der Szene, das weite Verbreitung fand, schien für viele Zuschauende eine klare Sprache zu sprechen und legte den Fokus auf Dal Medicos Agieren, das als unnötig aufdrängend und wenig sensibel interpretiert wurde. Dieser kurze Augenblick löste eine Lawine an Reaktionen aus, die von lokaler Kritik bis zu nationaler Empörung reichte und die fragile politische Balance in der Passerstadt einmal mehr offenbarte.

  • Schärpe: Symbol, Pflicht, Gefühl

    Das Tragen der Trikolore-Schärpe ist gesetzlich geregelt: Sie dient als Symbol der Staatsrepräsentation bei offiziellen Anlässen, während die Medaille die Person im Bürgermeisteramt als Leitung der Gemeindeverwaltung kennzeichnet, auch laut Regionalgesetz. Eine explizite Pflicht zum Tragen der Schärpe bei der Amtsübergabe ist nicht festgeschrieben, es ist jedoch eine tief verwurzelte Tradition. Das Ablegen wurde von vielen, bis hin zur italienischen Ministerpräsidentin, als mangelnder Respekt vor nationalen Symbolen interpretiert, während andere darin eine verständliche Reaktion auf eine als übergriffig empfundene Geste sahen. Manche Beobachtende merkten an, dass eine andere Reaktion – etwa die Schärpe zunächst anzunehmen, sie abzulegen und sie dann bewusst und selbstbestimmt als Zeichen des vielbeschworenen Wandels erneut anzulegen – ein starkes Signal der Reife und Aufnahmebereitschaft gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern, auch jenen, die sich italienisch oder einfach als Meraner fühlen, hätte sein können. Dennoch richtete sich ein signifikanter Teil der Kritik auf das Vorgehen Dal Medicos, dessen Beharren auf dem Umlegen der Schärpe gegen den erkennbaren Willen Zellers als der eigentliche Auslöser der Situation gesehen wurde. Wieder andere verwiesen auf die spezifische Südtiroler Geschichte und das komplexe Verhältnis zu italienischen Staatssymbolen, das für Außenstehende nicht immer leicht nachzuvollziehen ist. Der Respekt vor den Symbolen der Republik sei selbstverständlich, betonten viele Südtiroler Stimmen, doch die Art und Weise der Symbolverwendung spiele eine ebenso große Rolle.

  • Eine vielschichtige Debatte

    Der Vorfall wurde schnell zu mehr als einer Frage des Protokolls. Er wurde zum Brennglas für tiefere gesellschaftliche und politische Strömungen. Kommentierende sprachen von einer paternalistisch-nationalistischen Nötigung, von einem sexistischen Übergriff oder Mansplaining, da ein Mann einer Frau scheinbar vorschreiben wollte, wie sie sich zu verhalten habe. Viele sahen im Verhalten Dal Medicos, das durch die Videoaufnahmen dokumentiert ist, eine unnötige Machtdemonstration eines scheidenden Amtsträgers, die wenig mit dem gebotenen Respekt vor der Nachfolgerin und dem Anlass zu tun hatte. Die historische Dimension der Trikolore in Südtirol als Symbol einer teils schmerzhaften Vergangenheit und einer aufgezwungenen Zugehörigkeit wurde ebenso thematisiert wie die Unterscheidung zwischen Staatsbürgerschaft und Nationalität. Die Debatte berührte das sensible Verhältnis vieler Menschen in Südtirol zu italienischen Staatssymbolen und die Frage, ob deren rigide Handhabung eher spalte als eine. Gleichzeitig wurde die Sorge geäußert, die Geste Zellers könnte als Bestätigung einer "altbekannten Richtung" verstanden werden – einer manchmal offenen, oft aber versteckten Haltung der Abgrenzung, die von manchen Deutschsprachigen in Südtirol im Alltag als belastend empfunden wird und die im Extremfall als eine Art "Südtiroler Apartheid" beschrieben wurde. Es wurde betont, dass wahre Größe oft darin bestehe, nicht auf Provokationen zu reagieren, auch wenn das Verhalten Dal Medicos als gezielt empfunden wurde, und Zellers Reaktion die Situation möglicherweise unnötig verschärft habe, obwohl ihre politische Linie ansonsten geschätzt werde. Landeshauptmann Arno Kompatscher etwa ordnete Zellers Reaktion als "etwas ungeschickt" ein, sah aber keine ideologische oder ethnische Motivation, sondern die Reaktion einer jungen Frau auf als arrogant empfundenes Verhalten. Andere wiederum mahnten, man solle Zeller nicht vorschreiben, wie sie hätte reagieren sollen, da niemand die Bedrängung der Situation nachempfinden könne und Dal Medicos Verhalten, wie es im Video ersichtlich sei, klar als Machtmissbrauch zu werten sei.

  • Die Suche nach dem Ausweg

    Katharina Zeller hat sich für den Vorfall und mögliche Missverständnisse entschuldigt und betont, ihr Verhalten sei eine menschliche Reaktion in einer angespannten Situation gewesen und keine Respektlosigkeit gegenüber Italien oder seinen Symbolen. Sie sei Europäerin, Italienerin und Südtirolerin und wolle Bürgermeisterin aller Meranerinnen und Meraner sein. Die formelle Amtseinführung mit Eid und Schärpe werde protokollgemäß erfolgen. Auch vonseiten der Fratelli d'Italia in Südtirol wurde der Fall für abgeschlossen erklärt. Doch die Wogen glätten sich nur langsam. Der Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger ist nun, dass die Beteiligten ihre Lehren aus den Geschehnissen ziehen. Insbesondere das Verhalten des scheidenden Bürgermeisters, das von vielen als primärer Auslöser der Kontroverse gesehen wird, sollte kritisch reflektiert werden. Es gilt, persönliche Animositäten und verletzten Stolz zu überwinden und den Blick auf das Gemeinwohl zu richten. Die Notwendigkeit einer konstruktiven Erinnerungskultur wurde ebenso betont wie die Chance für jüngere Generationen, mit mehr Leichtigkeit Brücken zu bauen. Meran braucht dringend eine stabile und handlungsfähige Regierung, um die Zukunft der Stadt positiv zu gestalten. Stillstand und fortwährende politische Grabenkämpfe wären die falsche Antwort auf eine ohnehin verbreitete Politikverdrossenheit. Es liegt nun an der politischen Klasse, Verantwortung zu zeigen und einen konstruktiven Dialog zu führen, der die vielfältigen Identitäten und Bedürfnisse der Stadtgesellschaft respektiert und integriert. Denn wahre Autonomie zeige sich in Dialog und Respekt, nicht in Abschottung, und eine starke Gemeinschaft wisse, dass das Akzeptieren des Anderen nichts koste. Das gemeinsame Ziel muss Frieden, Zusammenarbeit und die Konzentration auf die Stärken der Autonomie im europäischen Kontext sein.

  • Ein Appell für Meran: Gemeinsam für die Stadt

    Die jüngsten Ereignisse, so unerfreulich sie für alle Seiten auch waren, müssen nun einem klaren Ziel weichen: der konstruktiven Arbeit für Meran und seine Bürgerschaft. Es ist an der Zeit, dass persönliche Befindlichkeiten und das Gefühl, eine Wahlschlappe nicht verdaut zu haben, hinter dem übergeordneten Interesse der Stadt zurückstehen. Politik ist kein sportlicher Wettkampf um Pokale und Ansehen, sondern der Dienst an der Gemeinschaft, der darauf abzielt, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen. Fehler sind menschlich, und es ist nun an allen Beteiligten, Größe zu zeigen, diese einzugestehen und das Kapitel abzuschließen.
    Die dringende Forderung an die politisch Verantwortlichen lautet: Überwinden Sie die aktuellen Blockaden und bilden Sie eine stabile, regierungsfähige Koalition. Der Anreiz dafür ist nichts Geringeres als die positive Gestaltung der Zukunft Merans. Legen Sie den Fokus auf die Sacharbeit, auf die konkreten Projekte und Herausforderungen, die vor der Stadt liegen. Die Energie darf nicht länger in Debatten gebunden werden, die von nationalistischem Gedankengut oder übersteigertem Symbolismus geprägt sind, sondern muss in die Schaffung einer lebenswerten, prosperierenden und geeinten Stadt fließen. Stillstand ist die falsche Antwort auf die ohnehin spürbare Politikverdrossenheit. Meran verdient eine Politik, die dient, gestaltet und die vielfältigen Stimmen ihrer Bevölkerung hört und respektiert – jenseits von ideologischen Gräben und mit dem klaren Bekenntnis zum gemeinsamen Wohl.