Gesellschaft | Klimagesetz

„Nicht gegen die Menschen“

Über 40 Vereine diskutierten kürzlich über das Landesklimagesetz. Kommt damit eine neue „Verbotswelle“? Oder wird auch die soziale Nachhaltigkeit berücksichtigt werden?
Peterlini
Foto: SALTO/Andy Odierno
  • Anfang Juli lud der Heimatpflegeverband unter der Leitung von Thomas Benedikter alle Vereine – über 40 an der Zahl – ins Bozner Waltherhaus ein. Anlass war ein Workshop, bei dem zentrale Themen für ein Landesklimagesetz erarbeitet werden sollten. Auch der KVW war vertreten – durch Ex-Senator Oskar Peterlini. 


    SALTO: Herr Peterlini, Sie haben im Rahmen des Workshops zum Klimagesetz betont, dass eine sozial-gerechte Umsetzung notwendig ist. Was heißt das konkret?

    Oskar Peterlini: Ich bin seit Kurzem Mitglied im Landesausschuss des KVW; das wurde gewünscht, weil man sich eine stärkere politische Stimme in sozialen Fragen erhofft. Das ist auch mein Ziel, denn meiner Ansicht nach befinden wir ins in einer Schieflage, in der die wirtschaftlichen Interessen stark zur Geltung kommen, während die soziale Flanke eher unterrepräsentiert ist.

    Der KVW steht ja seit 1948 – also seit 77 Jahren – für diese Grundprinzipien: gerechte Lebensbedingungen für die Menschen, sozialer Friede und die Bewahrung der Schöpfung. Diese Zielsetzungen gehören für uns untrennbar zusammen. Deshalb ist es uns wichtig, dass Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise nicht auf dem Rücken der Schwächeren ausgetragen werden.

  • Oskar Peterlini: „Uns ist es wichtig, dass Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise nicht auf dem Rücken der Schwächeren ausgetragen werden.“ Foto: Österreichische Parlamentsdirektion/Thomas Topf

    Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

    Nehmen wir den Verkehr: Er verursacht rund 40 Prozent der CO₂-Emissionen. In Bozen etwa durften ältere Dieselautos nicht mehr in die Stadt. Dieses Verbot traf viele mit kleinem Einkommen sehr hart. Die können sich kein neues Auto leisten. Man darf deshalb die sozial Schwachen und die Mittelschicht nicht überfordern. Genau dort muss man ansetzen. Es geht um Akzeptanz. Man kann Klimapolitik nicht gegen die Menschen machen, sondern nur mit ihnen. Wenn die Maßnahmen nicht sozial verträglich sind, erzeugen sie Widerstand. Das haben wir in Deutschland gesehen – Stichwort Heizungsgesetz.

    Was wäre die Alternative?

    Förderung statt Zwang. Südtirol hat beim öffentlichen Verkehr viel richtig gemacht – Taktzeiten erhöht, das Netz ausgebaut. Aber es reicht nicht: Im Unterland ist das Verkehrsnetz wegen des Pendlerverkehrs stark überlastet. Von Branzoll braucht der Bus, der nur stündlich verkehrt, 40 Minuten bis nach Bozen, mit dem Zug sind es 12 Minuten. Das ist keine echte Alternative. Wir brauchen dichtere Takte, Expresslinien. 

    In aller Munde – gerade während der Hochsaison – ist der Overtourism.

    Südtirol ist überlastet. Wir haben 500.000 Einwohner und 36 Millionen Übernachtungen – mehr als ganz Japan. Das erzeugt Druck auf Infrastruktur, Umwelt, Wohnraum. Die Landesregierung wollte mit dem Bettenstopp-Gesetz gegensteuern, aber das trifft vor allem die kommenden Generationen. Wer nicht aus einer Hoteliersfamilie kommt, hat keine Chance. Auch hier wäre es besser, mit gezielten Förderungen und steuerlicher Entlastung umzulenken, heißt beispielsweise: weniger Werbung und geringere Belastung für Mitewohnungen.

  • Protest gegen Overtourism: Im Februar dieses Jahres brachten Unbekannte im Ski-Gebiet der Seiser Alm den Schriftzug „Too much“ an. Foto: ANSA
  • Wie steht es um andere Sektoren?

    Ein zweiter großer Emittent sind die Heizsysteme. Auch hier gilt: nicht mit der Brechstange. In Deutschland wurde das Wärmepumpengesetz als Zwang empfunden –  mit dem Ergebnis, dass viele Menschen verunsichert waren. Südtirol macht es besser: mit Förderungen für Sanierungen, für Umstellungen.

    Was wird Ihre Aufgabe sein?

    Unsere Gruppe im Workshop hat sich mit der Frage beschäftigt: Wie schaffen wir Akzeptanz? Die Leute müssen verstehen, warum dieses Gesetz notwendig ist – durch Aufklärung, durch Verbandsarbeit, durch Einbindung aller gesellschaftlichen Gruppen. Der Klimaplan ist gut, aber ein Gesetz macht ihn verbindlich. Und dann braucht es Kontrollmechanismen. Ein Gesetz ohne Sanktionen ist wie ein Parkverbot ohne Überwachung – niemand hält sich dran.

     

    „Die Leute müssen verstehen, warum dieses Gesetz notwendig ist.“

     

    Also doch Sanktionen?

    Ja, aber Sanktionen müssen effektiv und sozial ausgewogen sein, mit Augenmaß sozusagen. Viele Ziele lassen sich durch finanzpolitische Instrumente erreichen, durch Steuern oder Förderungen. Das ist oft wirksamer als reine Verbote. Zudem ist Italien durch die Vorgabe aus Brüssel verpflichtet, hier klare Richtlinien zu erlassen, um Strafzahlungen zu vermeiden. Insofern gehen wir in Südtirol nur etwas rascher voran. 

    Südtirol will wieder einmal besser sein als der Rest Italiens?

    Wir sollten besser sein als Rom. Der Südtiroler Klimaplan will Klimaneutralität bis 2040. Das ist ambitioniert, aber machbar, wenn alle Ebenen mitziehen: Land, Gemeinden, Bezirke. Und wenn wir als Gesellschaft gemeinsam daran arbeiten.

    Am Ende bleibt doch die Frage: Sind es nicht wir – Autofahrer, Heizungsbesitzer, Menschen, die anderswo Urlaub machen –, die ihr Verhalten ändern müssten, und zwar nicht erst wenn Druck von oben kommt?

    Natürlich, aber das gelingt unter anderem durch bessere Alternativen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Mein Sohn hatte einmal eine wichtige Schulprüfung. Meine Frau wollte ihn ausnahmsweise mit dem Auto begleiten – und sie standen über drei Stunden im Stau in Bozen. Er kam zu spät, sie beide völlig aufgelöst. Mit dem Zug wäre alles gut gegangen. Seitdem wissen wir: Das Auto ist nicht immer die beste Lösung. Wenn wir es schaffen, dass der öffentliche Verkehr wirklich schneller und komfortabler ist, dann steigen die Menschen um. Und das ist der Weg: nicht gegen, sondern mit den Menschen.

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Profil für Benutzer Hans Punter
Hans Punter Sa., 05.07.2025 - 17:49

Einverstanden damit, dass man mit finanziellen Fördermassnahmen eine Verhaltensänderung in der Bevölkerung bewirken kann, ohne Widerstand zu erzeugen. Ist nur zu sehen, inwieweit alles finanzierbar ist. Anders ist es schon, wenn man klimaschädliches Verhalten steuerlich belastet. Aber auch dafür kann man mit viel Aufklärung einigermassen Akzeptanz erreichen. Aber trotzdem: Ohne Verbote wird man nicht auskommen. Und da muss die Politik den Mut haben, unpopuläre Massnahmen zu treffen und zu reskieren, bei der nächsten Wahl nicht mehr gewählt zu werden. Aber welcher Politiker tut das?

Sa., 05.07.2025 - 17:49 Permalink