„Was Thiel da unterstützt, ist falsch“

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Prof. Wolfgang Palaver ist emeritierter Professor für Katholische Soziallehre an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck und Sonderbeauftragter der OSZE. In dieser Rolle erreiche ich ihn in Warschau, wo er an einer OSZE-Konferenz teilnimmt. Seit er Anfang der 1990er-Jahre als Gastprofessor in Stanford tätig war, kennt er Peter Thiel, der sich immer wieder mit ihm trifft, um sich über grundsätzliche theologische Fragestellungen auszutauschen. Fritz Espenlaub hat in seinem vielbeachteten DlF-Podcast „Die Peter Thiel Story“ darauf hingewiesen und wir nutzen die Gelegenheit, um mehr über die Hintergründe der Weltanschauungen von „Trumps Strippenzieher“ Peter Thiel zu erfahren.
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SALTO change im Oktober
„Die Demokratie und die Gefahr von rechts“ lautet das Thema von SALTO change im Oktober:
Alle Artikel der Reihe SALTO change findet ihr unter www.salto.bz/change
Wenn ihr Ideen für weitere SALTO-change-Themen habt, schickt uns eure Vorschläge und Anregungen an [email protected].
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Globalismus, der den Nationalstaat aushöhlt
„Peter Thiel ist zuallererst ein Libertärer.“ Um besser zu verstehen, wie Thiel zu seinen Überzeugungen gelangt ist, liest Prof. Palaver gerade „The Sovereign Individual: Mastering the Transition to the Information Age“ von James Dale Davidson und William Rees-Moog. Davidson und Rees-Mogg argumentieren darin, dass die digitale Revolution eine ebenso tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung auslöst wie einst der Übergang vom Feudalismus zur Industriegesellschaft. Im Zentrum steht der Aufstieg des „Sovereign Individual“ – eines Menschen, der durch Technologie und Wissen immer unabhängiger von Staaten, Grenzen und Institutionen wird.
„Manche Vorankündigungen in dem Buch sind falsch“, urteilt der Innsbrucker Theologe: „aber wenn man es liest, versteht man, was Leute wie Thiel wollen. Es ist ein Globalismus, der technisch vorangetrieben wird und der den Nationalstaat aushöhlen wird. Der Hauptpunkt – und da schließt sich wieder der Kreis zu Thiel – ist der, dass in Zukunft vieles über Kryptowährungen laufen wird, auf die der Staat gar keinen Zugriff mehr hat.“ -
Künstliche Intelligenz und Kryptowährungen
In einem Interview aus dem Jahr 2014 hat Thiel das Buch als ausschlaggebend für seine Entscheidung bezeichnet, Paypal zu gründen, ein Unternehmen, in das auch Elon Musk einstieg und das die beiden beim Verkauf zu Milliardären machte. Für die Neuauflage 2020 des Buchs von Davidson und Rees-Moog hat Peter Thiel ein Vorwort beigesteuert.
Palaver findet es interessant, „dass Thiel am Ende des Vorworts schreibt, Künstliche Intelligenz passe besser zu China, weil dort totale Kontrolle angestrebt wird, während Kryptowährungen libertär sind. Auch wenn er sich letzthin positiver über Artificial Intelligence äußert, scheint ihm da als Libertärer nicht immer ganz wohl zu sein.“
Wenn es um die Entwicklung libertärer Überzeugungen in den USA geht, wird aus europäischer Sicht häufig der Einfluss von Ayn Rand unterschätzt. „Ayn Rand ist von Thiel mehrfach als bedeutende Impulsgeberin genannt worden. Ich habe Rand erst bei meinen Aufenthalten in den USA als Philosophin wahrgenommen, deren Bücher über den radikalen Liberalismus auch heute noch in jeder US-amerikanischen Buchhandlung zu finden sind, während sie in Europa kaum jemand kennt“, erinnert sich Palaver. -
Rationaler Egoismus
In ihren Büchern „Atlas Shrugged“ und „The Fountainhead“ rollt die russischstämmige Einwandererin ihren radikalen Objektivismus aus: Der Mensch erkennt die Welt durch Vernunft, also durch logisches Denken und Beobachtung – nicht durch Glauben oder Gefühle. Das moralische Ziel des Lebens ist das eigene Glück durch rationales, selbstbestimmtes Handeln. Rand nennt das den rationalen Eigennutz oder rationalen Egoismus.
Thiel hat in Stanford Philosophie studiert und fühlte sich auch von René Girard angesprochen. „Das ist auch der Boden, auf dem sich Thiel und ich getroffen haben“, blättert Prof. Palaver zurück: „für Girard gibt Thiel zwei Gründe an, die ihn begeistert haben. Zum einen hat Girard stets die großen Fragen der Menschheit im Blick gehabt. Thiel nennt ihn deshalb auch den ‚Anti-Spezialist‘. Zum zweiten erwähnt Thiel Girards positiven Zugang zum Christentum. Man muss dazusagen, dass Thiel einen evangelikalen Hintergrund hat und wohl als junger Student begeistert war, einen Professor zu finden, der ihm seinen christlichen Bezug positiv plausibel machte. Allerdings muss ich dazu sagen, dass Girard aus meiner Sicht immer wieder über das Ziel hinausschießt und vergisst, dass manche der Aussagen, die er dem Christentum zuschreibt, nicht exklusiv christlich sind.“
Überbaut Thiel nun seinen Erfolg mit christlichen Thesen oder haben seine christlichen Überzeugungen zu seinem Erfolg geführt? Prof. Palaver wägt ab: „Wenn Thiel jetzt mit seinen Vorträgen zum ‚Antichrist‘ durch die Lande zieht, kann man sich schon fragen, ob er da nicht versucht, die Leute mit theologischer Argumentation zu überzeugen, dass das Libertäre, das er ökonomisch und ideologisch vertritt, auch bestens biblisch abgedeckt ist.“ Doch dazu später.
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„start.klar. im UFO Bruneck“
„Demokratie in Gefahr - Was macht Rechtsextremismus verführerisch?“, dieser Frage geht die Dialogreihe „start.klar.“ am 22. Oktober im UFO Bruneck nach und hat dazu neben Natascha Strobl auch den Meraner Sozialpädagogen und OstWestClub-Macher Thomas Kobler eingeladen. Der von Markus Lobis moderierte Debattenabend wird als Livestream auf SALTO ausgestrahlt.
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„Freiheit und Demokratie nicht mehr kompatibel“
Wir nehmen uns Thiels Einstellung zur Demokratie vor. 2009 hat er in einem Essay geschrieben, dass aus seiner Sicht Freiheit und Demokratie nicht mehr länger kompatibel seien. „Diese These passt mit dem ‚Sovereign Individual‘ zusammen, in dem die Autoren darlegen, dass Demokratie obsolet wird, wenn der Staat als Organisationsform keine große Rolle mehr spielt und alles nur mehr über Konsumentenentscheidungen läuft," führt Palaver aus und fährt fort: „Aus ethischer Sicht muss man sagen, dass dieses Model des „Sovereign Individual“ für reiche und superreiche Menschen natürlich eine tolle Sache ist, weil die keine Beschränkungen haben. Für die meisten Menschen würde der Spielraum aber sehr eng und das ist ethisch sehr problematisch.“
Peter Thiel war im Sommer in Innsbruck, um seine Vorträge vor ausgewähltem Publikum zu diskutieren. Prof. Palaver war dabei: „Die Hauptthese, die er in Innsbruck vertreten hat, hängt mit den Antichrist-Überlegungen zusammen: Thiel sagt, wir seien technologisch-wissenschaftlich in einer Phase absoluter Stagnation und es bringe nichts, sich angesichts multipler Krisen an Regeln festzuhalten, weil das die Stagnation verabsolutieren würde. Thiel argumentiert nun dafür, technisch mutig voranzuschreiten und sich nicht vor dem biblischen Armageddon zu fürchten und dabei dem Antichrist zum Opfer zu fallen.“
Dass diese Einstellung nicht ohne Ambiguität ist, kann man aus Thiels Verhalten schließen. „Man muss sich vor Augen halten, dass Thiel sich in Neuseeland ein riesiges Anwesen gekauft hat, zusammen mit der Staatsbürgerschaft und dort ein Refugium einrichtet“, gibt Palaver zu bedenken: „Wie kann er den Leuten einreden, sie sollten keine Angst haben und sich selber gleichzeitig einen Fluchtort einrichten. Man spürt bei ihm Angst, auch vor dem Sterben.“
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Ideologische Absicherung des Libertären
Gibt es in Thiels Gedankengebäude einen Funken von Gemeinwohlverständnis? Prof. Palaver denkt nach: „Wenn man mit ihm über die Auswirkungen der Stagnation redet, bringt er Gemeinwohlargumente ins Spiel, vor allem bei der Bekämpfung von Krankheiten, die er als zu wenig energisch erforscht betrachtet. Man kann sich da natürlich immer fragen, wie ehrlich das gemeint ist.“
Was geht dem Ethiker durch den Kopf, wenn er die Zeiten betrachtet, die wir gerade durchlaufen, auch angesichts der Bekanntschaft mit den Akteuren des herrschenden Kapitalismus? Prof. Palaver holt ein wenig aus: „Ich bin gerade bei einer OSZE-Konferenz, als Beauftragter für die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung. Ich war immer ein großer Befürworter des Multilateralismus und bin der Meinung, dass wir seit 1945 gezwungen sind, die großen Aufgaben der Menschheit gemeinsam zu lösen. Mir gefällt die Vorstellung einer großen Weltorganisation, die aber subsidiär gegliedert ist. Ich habe auch bei den Treffen mit Thiel in Innsbruck gesagt, dass ein absolut agierender Weltstaat ein Horror wäre. Zu glauben, dass das heute die größte Gefahr ist, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Zeiger der ‚Weltuntergangsuhr‘ gerade auf 89 Sekunden vor Mitternacht steht, ist für mich nicht nachvollziehbar und das halte ich für falsch.“
Prof. Palaver kommt zum Schluss: „Ich habe Thiel aufgezeigt, dass es auch interessante katholische Vordenker wie Josef Pieper gibt, der fordert, dass die Gefahr des Antichrist uns nicht davon abhalten soll, beim Aufbau einer Weltordnung voranzuschreiten. Thiels Ansichten dienen da aus meiner Sicht zu viel der ideologischen Absicherung des Libertären. Aber es muss klar sein: Eine Weltordnung kann nur funktionieren, wenn sie föderativ, subsidiär und demokratisch ist. Wenn man jetzt auf die USA schaut und Thiel Trump dabei unterstützt, alles zu unternehmen um eine Weltordnung im aufgezeigten Sinne zu verhindern und gegen den Willen der Bürgermeister und Gouverneure Militär in US-Städten einsetzt, dann ist da eine evidente Verletzung der Subsidiarität. Wenn Thiel das unterstützt, finde ich das völlig falsch.“
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