Javier Mileis Aufstieg zur Macht

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Javier Mileis Aufstieg zum Präsidenten Argentiniens verlief äußerst rasant. Nachdem er jahrelang als Ökonom gearbeitet und regelmäßig an Fernsehsendungen teilgenommen hatte – in denen er die jeweilige Regierung scharf kritisierte und dabei eine marktwirtschaftliche, libertäre Haltung vertrat – trat Milei im Jahr 2021 offiziell in die Politik ein.
Bei den Parlamentswahlen desselben Jahres wurde er in seinem Wahlkreis mit 17,04 % der Stimmen in die Abgeordnetenkammer gewählt – ein überraschendes Ergebnis für einen politischen Außenseiter ohne einschlägige Erfahrungen. In Übereinstimmung mit dem Diskurs, der sein öffentliches Auftreten stets geprägt hatte, präsentierte sich der damals 51-jährige Ökonom mit einer klar gegen das Establishment gerichteten Agenda. So forderte er drastische Kürzungen bei den Staatsausgaben, niedrigere Steuern, die Abschaffung der Zentralbank und die Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft zur Bekämpfung der Inflation.
Eine genauere Analyse offenbart jedoch wesentliche ideologische Unterschiede zu den neuen Rechten.
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Diese systemkritische Rhetorik fand besonders starken Anklang bei der Mittelschicht, die unter den harten Lockdowns während der COVID-19-Pandemie unter Präsident Alberto Fernández – einem Vertreter der peronistischen Mitte-Links-Koalition Unión por la Patria (UP) – gelitten hatte. Der wirtschaftliche Abschwung sowie Skandale rund um das Pandemie-Management beschädigten das Ansehen des Peronismus erheblich und schufen Raum für eine dritte politische Kraft. In diesem Kontext begann Mileis Weg zur Präsidentschaft über La Libertad Avanza (LLA), einer Koalition konservativer und libertärer Parteien, die 2021 nahezu ausschließlich als Vehikel für seine Kandidatur geschlossen wurde.
Bei der Präsidentschaftswahl 2023 war das peronistische Lager geschwächt, da es die galoppierende Inflation – die bis zu den Vorwahlen im August auf 12,4 % pro Monat gestiegen war – nicht in den Griff bekommen hatte. Auch die traditionelle Mitte-Rechts-Opposition Juntos por el Cambio litt unter internen Streitigkeiten um ihre Präsidentschaftskandidatur sowie unter der belasteten Bilanz ihrer Regierungszeit unter Präsident Macri (2015 – 2019). In dieser Lage gewannen Mileis unkonventionelle, systemkritische Botschaften auf Kosten moderater Ansätze an Zugkraft.
Bei den Vorwahlen im August sorgte Milei für eine Überraschung, als er mit 30 % der Stimmen an erster Stelle lag. Zwar lag er in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im Oktober noch hinter Sergio Massa (UP), konnte sich jedoch in der Stichwahl durchsetzen und gewann im Dezember 2023 die Präsidentschaft. Seine Hauptwählerschaft bestand aus jungen Männern unter 35 Jahren, deren Engagement in sozialen Medien entscheidend dazu beitrug, die finanziellen Vorteile seiner Gegner im Wahlkampf auszugleichen.Javier Milei im AmtIm ersten Amtsjahr konzentrierte sich die Regierung Milei vorrangig auf die Bekämpfung der galoppierenden Inflation – das drängendste Anliegen der argentinischen Wähler –, auf den Abbau des Haushaltsdefizits sowie auf ein umfassendes Paket wirtschaftlicher und fiskalischer Reformen. Auch wenn Milei einen beträchtlichen Teil seiner marktwirtschaftlichen Agenda umsetzen konnte, wurden einige seiner radikalsten Vorschläge – darunter die Dollarisierung – vorerst auf Eis gelegt.
Im Zentrum von Mileis Wirtschaftsplan steht das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushalts. Zu diesem Zweck wurden Ministerien und staatliche Stellen gestrichen, die Privatisierung öffentlicher Unternehmen vorangetrieben und Subventionen in Schlüsselbereichen wie Transport und Energie abgeschafft. Trotz der politischen Risiken dieser Maßnahmen, die in der ersten Hälfte des Jahres 2024 zu einer wirtschaftlichen Rezession führten, konnte Milei relativ hohe Zustimmungswerte halten. Ein wesentlicher Grund dafür war der stetige Rückgang der Inflation, die bis Ende 2024 auf monatliche Werte sank, wie sie seit 2020 nicht mehr erreicht worden waren.
Mileis bislang größter wirtschaftlicher Erfolg liegt in seiner Fähigkeit, die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Auch der argentinische Peso blieb gegenüber dem US-Dollar stabil, und der Risikoindex des Landes ist gesunken. Viele dieser Erfolge wurden jedoch auf Kosten der Mittel- und Unterschicht erzielt – trotz Mileis wiederholter Zusicherungen, dass die Hauptlast der Konsolidierungsmaßnahmen von der sogenannten „politischen Kaste“ getragen werde.
Die argentinische Wirtschaft ist noch weit entfernt von dem, was der Präsident als „argentinisches Wirtschaftswunder“ bezeichnet. Auch wenn einige Indikatoren wie der Konsum Anzeichen einer Erholung zeigen, liegen sie im Jahresvergleich weiterhin unter dem Niveau von 2023. Die Devisenkontrollen bestehen fort, und eine langfristige Wachstumsstrategie über das derzeitige Stabilisierungsprogramm hinaus ist bislang nicht erkennbar – weshalb es noch zu früh ist, um über den Erfolg dieser „Mileinomics“ genannten Wirtschaftspolitk zu urteilen.In der politischen Arena hat Milei – trotz seiner konfrontativen Rhetorik gegenüber dem traditionellen Politikbetrieb – auch Pragmatismus gezeigt, vor allem weil seine Regierungspartei La
Libertad Avanza (LLA) im Kongress doch deutlich in der Minderheit ist. Diese Konstellation zwingt ihn zur Zusammenarbeit mit dialogbereiten Oppositionskräften. In einem politischen System, das noch immer mit dem Aufstieg einer Außenseiterbewegung ringt, konnte Milei innerparteiliche Spannungen in den anderen Lagern geschickt nutzen, um Verhandlungen zu führen und Gesetzesinitiativen voranzubringen. Es gelang ihm des Weiteren, präsidentielle Vetos gegen Gesetze, die seiner wirtschaftspolitischen Agenda zuwiderlaufen, mit kaum nennenswertem Widerstand einzusetzen.
Der stärkste Widerstand gegen die neue Regierung kam also nicht vom Parlament, sondern von der Straße: Bürgerinnen und Bürger – darunter auch viele, die Milei unterstützen – gingen auf die Straße, um zentrale rote Linien zu verteidigen, die sie nicht überschritten sehen wollten. Am deutlichsten zeigte sich dies in der massiven Verteidigung der öffentlichen Universitäten, deren Budgetkürzungen zwei große Protestwellen auslösten.
Ebenso wie es noch zu früh ist, das wirtschaftspolitische Programm Mileis endgültig zu bewerten, lässt sich auch die Bedeutung seiner Präsidentschaft für die argentinische Demokratie noch nicht abschließend einschätzen. Einerseits hat Milei mehrfach starre Positionen und die aggressive Rhetorik abgelegt, um sich den Spielregeln des Systems anzupassen – etwa durch Verhandlungen mit moderaten Kräften oder durch die Einbindung von Persönlichkeiten anderer politischer Lager in seine Regierung. Andererseits werfen Kritiker ihm illiberale Tendenzen vor, etwa durch wiederholte Konflikte mit der Presse, den häufigen Rückgriff auf Präsidialdekrete zur Umgehung des Parlaments oder durch seine ablehnende Haltung gegenüber Errungenschaften im Bereich der Menschen- und Minderheitenrechte. In diesem Zusammenhang lässt sich sagen, dass viele überparteiliche Konsense, die seit der Rückkehr zur Demokratie 1983 Bestand hatten, derzeit infrage gestellt oder neu definiert werden – mit bislang ungewissen langfristigen Folgen.Ein Blick in die Zukunft: Wofür steht Milei wirklich?Die von Javier Milei in Argentinien angeführte libertäre Bewegung lässt sich auf den ersten Blick dem globalen Phänomen der „neuen Rechten“ zuordnen – einer Strömung, zu der auch Persönlichkeiten wie Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien, Vox in Spanien oder die AfD in Deutschland zählen. Tatsächlich ist ein wesentlicher Teil von Mileis Außenpolitik von seiner ideologischen Agenda geprägt, die auf die Pflege enger Beziehungen zu diesen Akteuren abzielt. Dabei versucht er, sich als zentrale Stimme innerhalb dieser weltweiten Bewegung zu positionieren – was regelmäßig zu Spannungen mit jenen führt, die Argentiniens traditionelle außenpolitische Ausrichtung verteidigen wollen.
Eine genauere Analyse offenbart jedoch wesentliche ideologische Unterschiede zu den neuen Rechten. Dies stellt die gängige Vorstellung, die westliche neue Rechte sei ein homogener Block, in Frage. So vertreten etwa Donald Trump oder Marine Le Pen in Frankreich einen starken politischen und wirtschaftlichen Nationalismus und fordern protektionistische Maßnahmen wie Zölle – Elemente, die in Mileis Vision entweder völlig fehlen oder zumindest keine Rolle spielen. Ganz im Gegenteil: Freihandel zählt zu den Grundpfeilern von Mileis Weltbild, und das Thema Migration – ein zentrales Anliegen vieler konservativer Parteien in Europa und den USA – spielt in der Agenda von La Libertad Avanza (LLA) eine vollkommen untergeordnete Rolle.
Wo sich Milei jedoch mit der „neuen Rechten“ überschneidet, ist in seinen politischen Methoden und in der Wahl gemeinsamer Gegner. In Übereinstimmung mit wissenschaftlichen Definitionen populistischer Führungsfiguren – ob rechts- oder linksgerichtet – bedient sich Milei einer ausgeprägten anti-elitären Rhetorik. Er zieht eine scharfe Trennlinie zwischen den „einfachen Bürgern“ und der „politischen Elite“, die er regelmäßig für die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Missstände des Landes verantwortlich macht. Wie viele dieser Akteure setzt auch Milei auf einen stark charismatischen Stil und strebt eine direkte, fast symbiotische Beziehung zu seiner Anhängerschaft an. Seine ausladenden Narrative prägen häufig die öffentliche Debatte, neigen dabei aber zu einer starken Vereinfachung komplexer Sachverhalte.
Ebenso wie die Vertreter der neuen Rechten lehnt Milei zudem die sogenannte „woke Agenda“ und linksgerichtete progressive Strömungen strikt ab. Er sieht in ihnen eine Bedrohung jener traditionellen Werte, die er bewahren will. Über seine unmittelbaren politischen und wirtschaftlichen Ziele hinaus versteht sich Milei daher als Teil eines umfassenderen kulturellen Kampfes gegen eine Entwicklung, die er „Kollektivismus“ nennt. Diese ideologische Haltung verbindet und verbündet ihn mit all jenen politischen Kräften, die diese ablehnende Haltung teilen – selbst wenn sie seine libertären Vorstellungen nicht oder nicht in vollem Umfang unterstützen.
Auch wenn sich dieser Kulturkampf bislang nur begrenzt in konkreten Regierungsmaßnahmen niederschlägt, strebt Milei an, über die nationale Politik hinauszuwirken und sich als globale Figur in diesem weltweiten ideologischen Konflikt zu etablieren.Weitere Artikel zum Thema
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Unabhängig davon, ob man nun seine Maßnahmen für vernünftig hält, muss man eines sagen: Milei reformiert das Land tiefgreifend. In Mitteleuropa sind Politiker viel zu sehr auf die eigene Wiederwahl bedacht, sodass sich keine Partei zu tiefgreifenden Reformen durchringen kann. Die neuesten "Sparmaßnahmen" in Österreich sind ein gutes Beispiel. Anstatt mal wirklich herzugehen und Ausgaben und Subventionen zu kürzen, wird wieder ein halbwarmer Haushalt geplant und das Problem aufgeschoben. Früher oder später wird aber eine Korrektur kommen müssen. Hier besteht aber leider ein Interessenskonflikt in der Politik, denn die meisten Politiker genießen es, wenn sie mehr fremdes Geld ausgeben können.
Antwort auf Man muss sehr uninformiert… von Oliver Hopfgartner
"Ein wesentlicher…
"Ein wesentlicher Unterschied ist, dass Libertäre einen schlanken Staat anstreben,"
Ich kenne da noch einen wesentlichen Unterschied welcher sich vor allem durch die Tatsache unterscheidet, dass Libertäre gerne die Strukturen des Staates nutzen um sich überproportional zu bereichern. Somit bezweifle ich Ihre These von libertär und "schlanken Staat"
Es ist aber irreführend: Die…
Es ist aber irreführend: Die Menschen, die sich heute als libertär oder auch Anarcho-Kapitalisten bezeichnen, wollen keine Freiheit von Autoritäten, sondern eine Freiheit vom Staat. Oder besser gesagt: Sie wollen den Staat abschaffen. Stattdessen soll alle Macht bei den Unternehmern liegen, und zwar ohne demokratische, staatliche Kontrolle.
Ein radikaler Libertärer würde fragen: Wieso sollte man in die Krankenkasse einzahlen für Leute, die von Geburt an krank sind, wenn ich doch gesund bin? Warum sollte ich mit diesen, in Anführungszeichen, Minderwertigen teilen? Jeder Gedanke an soziale Maßnahmen ist dieser Ideologie fremd.
Trotzdem gibt es viele Bürger, die sich wünschen, der Staat würde seine Regelungsmacht zurückfahren.
Eine Gesellschaft, wie die Libertären sie sich erträumen, würde für die meisten Menschen aber nicht mehr, sondern weniger Freiheit bedeuten: Der Staat garantiert uns ja Freiheitsrechte und Mitbestimmung und verhindert zumindest eine allzu starke Ausbeutung. Libertäre lehnen all das ab. Dahinter steckt ein fast schon religiöser Glaube an den freien Markt.
(Andreas Kemper ist Soziologe und Buchautor. Er beschäftigt sich mit Klassismus, Antifeminismus und Netzwerken am rechten Rand)
Antwort auf Es ist aber irreführend: Die… von Herta Abram
Fazit: Wir sollten uns…
Fazit: Wir sollten uns wirklich fragen, was Demokratie bei uns bedeutet.
Antwort auf Es ist aber irreführend: Die… von Herta Abram
Geben Sie hier ein Zitat…
Geben Sie hier ein Zitat wieder oder ist das Ihre Sichtweise? Die Beschreibung ist nämlich nicht wirklich zutreffend. In Bezug auf das Beispiel der Krankenkasse lässt sich z.B. folgendes entgegnen:
Wie ist der Status Quo? Wir haben täglich mit Patienten zu tun, bei denen sich die verschiedenen staatlichen Versicherungen (sei es Kranken-, Unfall-, oder Pensionsversicherung) weigert, für Krankheits- oder Behandlungskosten aufzukommen. Zuletzt waren diesbezüglich v.a. Post-Covid/Post-Vacc-Patienten mit ME/CFS medial thematisiert. Das Schreckgespenst von der sich weigernden Versicherung ist also kein Szenario, das sich durch staatliche Versicherungen vermeiden ließe. Wäre der Versicherungsmarkt im Pensions- und Gesundheitswesen hingegen wirklich rein marktwirtschaftlich organisiert, könnten Bürger Versicherungen meiden, von denen bekannt wird, dass sie z.B. krank geborene Kinder rausschmeißen. Ein Libertärer würde ein krankes Kind auch nicht als minderwertig bezeichnen. Das sind Kategorien, in denen Chauvinisten denken. Chauvinist kann jemand völlig unabhängig von seiner Einstellung zur besten Gesellschaftsform sein.
Außerdem stelle ich die Gegenfrage, welche Freiheitsrechte der Staat garantieren kann, für die es in einer libertären Welt keine Garantie geben kann? Ab wann ist Ausbeutung allzu stark? Wie viel Abgabenquote ist noch ok?