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„Es ist meine Entscheidung“

„Nicht um meine Diagnose weine ich, ich weine um die Menschen, die ich verloren habe“, meinte Magdalena Schwellensattl. Am Pfingstsonntag ist sie verstorben.
Magdalena
Foto: Astrid Kofler
  • Dass ihre Krebserkrankung nicht mehr heilbar war, wusste sie seit fast einem Jahr. Am Pfingstsonntag ist Magdalena Schwellensattl im Alter von 54 Jahren verstorben. In der Palliativklinik Martinsbrunn, so wie sie es sich gewünscht hatte.
    Für ein Buch über würdevolles Sterben, über Suizid und Loslassen, das im Frühling 2026 im Verlag Raetia erscheint, habe ich im April 2025 mit der Schauspielerin und Regisseurin Magdalena Schwellensattl gesprochen, der folgende Text ist ein Auszug des unveröffentlichten Manuskriptes.

    „Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist“ Für die Traueranzeige ihres Ehemannes Hans Kieseier haben die Kölner Freude im Juli 2023 ein Zitat von Franz Kafka gewählt. „Es steckt so viel in diesen Worten”, sagt Magdalena Schwellensattl, seit wenigen Tagen ist sie wieder daheim in Algund. Im Herbst war sie drei Wochen auf der Palliativabteilung gewesen, Ende März erneut für zehn Tage. Im Moment sind die Medikamente gut eingestellt, ermöglichen ihr einen erträglich schmerzfreien Alltag. 

    Sie hat Kaffee aufgesetzt, einen Saft kühlgestellt, ein Tiramisu mit Bananen und Birkenzucker zubereitet. Auf dem Tisch liegt das Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“, am Schreibtisch „Magdalenas RAIse, 1991 – 2018“, ein Foto-Buch, ein Abschiedsgeschenk ihrer RAI-Kolleginnen und Kollegen, damals, als sie kündigte, um nach Köln zu gehen. 

  • Foto: Astrid Kofler
  • Es ist ein schönes Foto von mir, ich meine, schön gemacht, dieses Foto am Titelbild. Ich habe auch schon mit meinen Geschwistern darüber gesprochen, ob wir dieses nehmen sollten, für das Sterbebildchen. Doch ich denke, ein anderes ist besser, wo ich hinauf in den Himmel schaue, das hat Hans in Schweden von mir gemacht.

    Der Tod wird so oft mit Schuld in Verbindung gebracht. Ganz besonders, wenn ein Kind sich das Leben nimmt. Hinterbliebene müssen nicht nur loslassen, sie müssen mit dem Gefühl zurückbleiben, was hätte ich anders machen können, hätte ich etwas anders machen können? Das macht den Suizid so schwierig und oft auch den Tod. 
     

    Wer hat das Recht zu sagen, nein, das ist der falsche Weg, das ist so nicht in Ordnung?


    Ich habe das an meinem Mann gesehen. Vor zwei Jahren ist er, viel zu jung, mit 60 an einem Gehirntumor verstorben. Sein Vater, ein evangelischer Pastor, konnte mit der Reihenfolge des Sterbens nicht umgehen. Er hat quasi trotz seines Glaubens fast den Freitod gewählt, er wollte nicht mehr länger leben, er wollte seinen Sohn nicht überleben, er wollte das Kapitel Leben beenden. Es sind tatsächlich einige Krankheiten dazugekommen, er hätte noch lange damit leben können, hat aber immer weniger gegessen und weniger getrunken, alle lebenserhaltenden Maßnahmen kategorisch abgelehnt und sich fürs Sterben entschieden. Wenige Monate nach Hans ist er verstorben, wir zwei hatten ein inniges Verhältnis. 

    Da gibt es etwas, das mir gedanklich immer wieder nachgeht. Dieses Recht auf einen würdevollen Tod, dass du das auch selbst entscheiden darfst, dass du selbst den Zeitpunkt entscheiden darfst und trotzdem die Möglichkeit hast, gewaltlos den letzten Weg zu gehen. Wenige Monate vor meinem Mann ist eine gute Freundin von uns an Suizid verstorben. Durch diese Stringenz und diese absolute Logik, mit der sie ihr Sterben durchzog, hat sie mir einen völlig neuen Blick auf das Sterben vermittelt. Wer hat das Recht zu sagen, nein, das ist der falsche Weg, das ist so nicht in Ordnung?

    Sie hatte Depressionen und wollte schon seit langem nicht mehr leben. Wenn ich eine gewisse Krankheit habe oder sehr alt bin, kann ich – in anderen Ländern – aktive und passive assistierte Sterbehilfe in Anspruch nehmen, wenn die Kommission aber sagt, nein, bei einer psychischen Erkrankung gibt es eine Chance auf Heilung, wird sie im Grunde nicht so ernst genommen wie bei einer körperlichen oder einer Krebserkrankung. 

    Zwei Tage bevor sie sich das Leben nahm, habe ich sie – auf dem Weg ins Krankenhaus zu meinem Mann – besucht. Ich spürte, dass es ihr nicht gut ging, aber sie sagte nichts, ich nehme an, dass sie uns nicht auch noch mit dieser Sorge belasten wollte. Als sie von der Ethik-Kommission das zweite Nein bekommen hatte, hat sie sich völlig abgekapselt und nur mehr ihren Plan verfolgt.

    Drei Todesfälle von dreien meiner Lebensmenschen. Kann es sein, dass es mir zu nahe gegangen ist? Das ist eine Frage, die ich mir selbst immer wieder gestellt habe. Es ist schwierig, darauf eine Antwort zu geben.

    Meine Diagnose bekam ich Ende Juni, nun ist es bald ein Jahr her. Dass es ein palliativer Prozess wird und kein Heilungsweg, das wusste ich von Anfang an, das wusste ich ganz sicherlich nach bereits drei Wochen. 

    Mir kommt vor, als würde ich erst jetzt aus einer Stockstarre erwachen, erst jetzt bricht das Trauern aus mir heraus. Erst jetzt macht es sich Luft. Nicht um meine Diagnose weine ich. Ich weine um die Menschen, die ich verloren habe. 

    Seit meiner Diagnose habe ich ganz kategorisch gesagt: Ich erörtere nicht das Warum, weil es zu nichts führt. Es zieht mich nur in einer negativen Denkspirale ganz nach unten, es ist nicht zu ändern, das Leben geht, wie es geht, und ich habe keine Lust, mein Leben aufzubröseln.

    Ich bin früh mit dem Tod in Kontakt gekommen. Ich war vielleicht fünf Jahre alt, als ich die erste Frau sterben sah, unsere Nachbarin. Dann ist meine Oma gestorben, dann mein Tata, da war ich 13 Jahre alt, das war der erste große Todesschock, weil ich zu ihm ein unglaublich inniges Verhältnis hatte. So ist es weitergegangen, die Tochter meiner Patin, mit der ich aufgewachsen bin, ist auf der Maturareise in Malta ertrunken. Dann vor fast 20 Jahren meine Mama. Dann Klaus Rainer, mit dem mich eine innige Freundschaft verband, er war ein ganz wichtiger Mensch in meinem Leben. Ich musste immer wieder damit umgehen, dass mir wichtige Menschen plötzlich weg sind.

    Ich bin auch nicht im Alter, in dem man sterben muss. Das ist das einzige, mit dem ich hadere. Ich werde im Dezember erst 55, es ist eigentlich viel zu früh, ich hätte noch so viele Projekte im Kopf, die ich gerne verwirklichen möchte. Rein körperlich, schulmedizinisch gesehen bin ich austherapiert. Es gibt keine Heilung für meine Krankheit. Solange ich so leben kann wie jetzt, passt es halbwegs. Wir haben eine Schmerztherapie gefunden, die im Moment gut greift, da bin ich unbeschreiblich froh, ich kann dir nicht sagen, wie zermürbend das ist, wenn du ein Weh hast, das nicht aufhört. Dann bist du nicht nur physisch, sondern auch psychisch an einem Punkt, wo du sagst, ich will nicht mehr. Wo nur der Tod der letzte Ausweg ist. 

  • Foto: Astrid Kofler

    Mein Krebs ist mutiert, ich habe jetzt überall Metastasen. Ich habe zwei Chemotherapien gemacht, die zu den potentesten gehören, die man in diesem Falle einsetzen kann, aber es wird schlimmer, es schraubt nur die Nebenwirkungen ins Unendliche. Meine Onkologin und ich haben uns gemeinsam schnell davon verabschiedet. Seit ich die Chemo abgebrochen habe, geht es mir besser, ich lege mich fünfmal am Tag nieder und schlafe eine halbe Stunde oder auch länger, je nachdem, wie ich es brauche, dieses Privileg habe ich mir genommen und ich habe wieder mehr Kraft.

    Ich müsste nun den gesamten Kopf bestrahlen lassen. Die Wahrscheinlichkeit, mein Kurzzeitgedächtnis zu verlieren, wäre hoch. Deswegen möchte ich das nicht, ich will nicht auf Hilfe von außen angewiesen sein, nicht mehr wissen, warum ich bei der Haustüre stehe, wohin ich soeben gehen wollte. 

    Zweimal war ich jetzt in Martinsbrunn, im Herbst drei Wochen und jetzt zehn Tage. Wenn du in dieser Situation bist, kannst du keinen besseren Platz haben als diesen, du bist versorgt. Auch im normalen Krankenhaus war es gut, das Jammern lehne ich ab. Wir sind in einer privilegierten Situation, gut versorgt und liebevoll begleitet. 

    So wie ich es erlebt habe, gibt es keinen besseren Platz zu sterben, als in einem Palliativ-Zimmer. Es wird der Moment kommen – ich weiß nicht wann – aber mit ziemlicher Gewissheit kann ich sagen, dass ich in Martinsbrunn sterben werde, außer es überführt mich jemand und ich sterbe zuvor.

    Im Moment bin ich schon noch neugierig. Solange es so bleibt und mich meine Palliativärztin so gut einstellt, möchte ich noch gerne leben und mich überraschen lassen. Zwei Monate gebe ich uns als Team, gebe ich unserem Zusammenlegen von Absichten, Wünschen, Therapien und Medikamenten. Wenn das nicht funktioniert, werde ich eine Todessehnsucht haben. Dann müssen wir es lassen. 

    Noch zwei, drei Jahre im Rollstuhl herumgeschoben werden und künstlich ernährt, ohne dass ich Kognitives, Haptisches, Physisches, Handwerkliches leisten kann? Nein, das möchte ich nicht.

    Es gibt Freunde, die mich fragen, ob ich mit ihnen darüber sprechen möchte, die auch Lust haben darüber zu reden. Es gibt Gottseidank auch Freunde, die dieses Bedürfnis ganz und gar nicht haben. Ich bin ihnen auch dafür dankbar und sage, bitteschön, erzählt mir von eurem Leben. Hetzigerweise gelingt das mit Männern besser als mit Frauen, wenn ich mit Frauen aus meinem Lebens- und Freundschaftskreis spreche, geht es viel öfter und viel intensiver um Krankheit und Patientenverfügung und Tod. Mit den Männern sind lebensnahe Gespräche möglich, da kann ich fragen, erzähl mir doch wie die Premiere gestern gelaufen ist, das ist mir lieber, als wenn du mich frägst, wie es meiner Lunge geht. Männer sind da folgsamer, sie lassen sich darauf ein. Das tut mir auch gut. Sie nehmen meinen Wunsch ernst, dass ich aus dem Leben der anderen etwas hören will, das interessiert mich ja nach wie vor, was mein Neffe und meine Nichte tun. Meine Krankheit vermindert nicht mein Interesse am Leben der anderen, die mir nahestehen.

    Ich bin so oft in meinem Leben mit dem Tod konfrontiert worden. Das ist vielleicht die Prämisse dafür, mit meiner Situation so umzugehen: Ich bin nach wie vor nicht panisch und hysterisch, ich bin keine Dramaqueen, obwohl das naheliegend wäre, aufgrund meiner lebenslangen Theaterarbeit. Wie mit dem Leben ist es mit dem Tod. Es gibt ein schlechtes Leben, ein Lotterleben, ein Hungerleben, ein armes Leben. Und es gibt ein gutes Leben. Warum sollte es mit dem Tod anders sein, wenn der Tod der Gegenpol zum Leben ist?  Es ist meine Entscheidung, mein freier Wille, wie ich mit dieser Situation umgehe, ich kann das selbst beeinflussen. So entscheide ich mich, nicht zu klagen, ich entscheide mich für einen guten Tod.

  • Foto: Hans Kieseier
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Profil für Benutzer Herta Abram
Herta Abram Do., 12.06.2025 - 08:58

Selbstbestimmung bis in den Tod

"Der Entschluss zur Selbsttötung betrifft Grundfragen menschlichen Daseins und berührt wie keine andere Entscheidung Identität und Individualität des Menschen.(…) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Es besteht in jeder Phase menschlicher Existenz."
https://www.deutschlandfunk.de/recht-auf-suizid-und-sterbehilfe-selbstb…

Danke Magdalena Schwellensattl
Danke Astrid Kofler

Do., 12.06.2025 - 08:58 Permalink