Die Steine des Anstoßes
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Seit der Pandemie ist immer wieder die Rede vom Bruch in der Gesellschaft: Von Gräben, die durch die Bevölkerung gehen und Freunde, ja Familien entzweien, von unüberbrückbaren weltanschaulichen und wertebezogene Differenzen, die uns auseinandertreiben.
Um dem beizukommen, kann man achtsam miteinander kommunizieren, Empathie walten lassen, auf Durchzug schalten; man kann aber auch an fünf strategischen Stellen in Südtirol recht - nennen wir sie: bodenständige Kunstwerke aufstellen und beobachten, wie sich die zerfranste Gesellschaft im Hass auf diese geschmeidig vereint.
„Hate bonding“ nennt sich das Phänomen, wenn Menschen sich sympathisch finden, weil sie dieselben Dinge ablehnen, und es war ein bemerkenswertes hate bonding, dass da in den letzten Wochen zu beobachten war, weil jeder, wirklich jeder, die anlässlich der Olympischen Winterspiele 2026 errichteten „Stoanernen Mandlen“ scheiße zu finden schien.
Keiner, der nicht seine Meinung dazu kundtun musste („Des konn i aa“, „zu tuier“, „schiach“), kein Medium, das sich dem Thema aus Selbstachtung versperrte. Die Mandlen, obwohl stoisch und starr und kalt, wie Stoaner halt sind, brachten die Südtiroler Gemüter in Wallung, sodass sich diese in einem wohligen Feuer der gemeinsamen Abneigung trotz Impf- und politischer Divergenzen wieder einander annähern konnten. Allein das war die 500.000 Euro Kosten doch schon wert.
Keiner, der nicht seine Meinung dazu kundtun musste („Des konn i aa“, „zu tuier“, „schiach“), kein Medium, das sich dem Thema aus Selbstachtung versperrte.
Ob das Geld aber nicht anderswo besser investiert gewesen wäre, wie die Opposition anmerkte? Ganz gewiss, genauso wie die Millionen an Euro, die dem Land aufgrund irgendwelcher Rekurse, Fehlentscheidungen, Redundanzen verloren gehen. Da braucht man nicht nur die Stoaner anschauen, da findet man schon mehr. Bei den Steinen hat man zumindest etwas vor Augen, man kann sie anfassen und ein Selfie für Insta davor schießen, was etwa bei der Schadenersatzzahlung an Irene Pechlaner, die zu Unrecht nicht Generalsekretärin des Landtags wurde, schon schwieriger ist. Allein dafür geht übrigens mit 240.000 Euro schon fast die Hälfte der Stoanerkosten drauf.
Ob ein Haufen Steine, aufeinander gestapelt und mit Farbringen (als Hommage an die olympischen) versehen, wirklich Kunst ist? Wenn ich mir da anschaue, womit Kreisverkehre abseits von Toblach, Antholz, St. Lorenzen, Auer und Vetzan so bestückt sind, kann ich Ihnen frohen Mutes versichern: Ja, das passt. Es gibt Schlimmeres. Viel Schlimmeres. Ihr habt es noch gut erwischt, liebe Bewohner von „wichtigen Knotenpunkten zu den […] Austragungsorten von Mailand Cortina 2026“. Ihr könntet an Alteisen Gemahnendes haben oder Kitschig-erotisches, das irgendwann auch noch erneuert werden muss. Seid happy mit euren Stoanern, die wollen nix und tun dem Auge auch nicht weh, wenn ich mir auch kein Poster davon übers Bett hängen würde. Wenn’s zu spektakulär wäre, wäre es auch zu viel Ablenkung im Straßenverkehr, von daher sind die Mandln in ihrer Bravheit und Fadesse genau richtig für uns. Stünde der Kippenberger Frosch im Blumenbeet, gäbe es wohl Massenkarambolagen.
Da bleibt kein Stein auf dem anderen.
Ob das Ganze nicht doch ein himmelschreiender Skandal ist, weil es sich bei den Mandln um eine „billige Kunstkopie“ handle, wie ein kurioses Online-Portal unlängst hyperventilierte? Als der Unmut über die Stoaner bereits abebbte und man Ausschau hielt nach dem nächsten Hassobjekt über das man bonden könne, witterte UT24 seine Chance auf den Pulitzerpreis, indem es einen veritablen Kunstskandal herbeifabrizierte: Die Mandln seien nämlich nichts anderes als ein Plagiat einer (sehr anders aussehenden) Skulptur eines Schweizer Künstlers, von dem sie ziemlich sicher noch nie gehört haben, und der halt zufällig auch mal Steine übereinander gestapelt hat. Wie auch andere Künstler und Künstlerinnen schon mal Steine übereinander gestapelt haben. Wie übrigens auch die Wanderer am Wegesrand die Steine übereinanderstapeln. Ist dann der Schweizer nicht eigentlich der Plagiator der originalen Stuanernen Mandln? Oder plagiieren die Wanderer jetzt den Schweizer? Und was ist eigentlich mit den Kindern, die Bauklötze stapeln? Verwirrend, darum liebes UT24: Unbedingt dranbleiben, da bleibt kein Stein auf dem anderen.
Einen Stein im Brett haben bei mir hingegen all jene, die über die Mandlen bloß ein wenig die Augen verdrehen und sich dann Wichtigerem zuwenden: den Lebenskosten, der Wohnungsnot, der Altersarmut, der Benachteiligung von Frauen und und und. Es gibt so vieles, worüber wir uns zu Recht aufregen sollten. Verschwenden wir unsere Empörung nicht an Lappalien.
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