Umwelt | Revitalisierung

Wasserrahmenrichtlinie

Eine Studie und Antworten auf Landtagsanfragen geben Aufschluss über die Wasserrahmenrichtlinie in der Provinz Bozen
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Die Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) dient der nachhaltigen Bewirtschaftung der Gewässer und dem übergeordneten Ziel, einen „guten Zustand“ für alle Gewässer bis 2015 – mit Ausnahmen spätestens 2027 – zu erreichen und zu erhalten. Grundsätzlich gibt die EU-WRRL ein Verbesserungsgebot und Verschlechterungsverbot für den Zustand aller Gewässer vor.

Hauptverantwortlich für die Verschlechterung des ökologischen Zustands sind der Hochwasserschutz und die Energienutzung. Die Unmöglichkeit des Erreichens eines „guten Zustands“ für Gewässer mit Speicherstauseen wurde für Südtirol festgestellt und durch ein Landesgesetz geregelt.

Die Wasserrahmenrichtlinie wurde im Landtag thematisiert, Paul Köllensperger hat dazu mehrere Fragen eingebracht, darunter die Frage, warum Fische in den Mittelpunkt gestellt wurden. Auch andere Parameter hätten nach der EU-WRRL herangezogen werden können. Gerade in einem Gebirgsland wie Südtirol mit den vielen Gebirgsbächen, in denen weder viele Fischarten noch eine große Masse an Fischen vorkommt, sind Fische sicher nicht die beste Wahl.

Neben natürlich vorkommenden Fischarten schwimmen in Südtirols Bächen auch exotische Arten, wie der Sonnenbarsch. Paul Köllensperger hat daher die Frage gestellt: “Wie kann der ökologische Zustand von Gewässern verbessert werden, wenn eine unnatürliche Komponente in den Mittelpunkt gestellt wird?” Bei Revitalisierungsmaßnahmen würden ausschließlich autochthone Fischarten mit einer natürlichen Reproduktion als Zielarten berücksichtigt, wird geantwortet. Wie diese selektive Förderung von bestimmten Arten, gerade solchen mit denselben Lebensraumansprüchen, aussehen soll, wird nicht weiter erklärt.

Paul Köllensperger hat durch seine Landtagsanfrage (15.09.2015) herausgefunden, dass die 4. Fischregion (Feuersalamanderregion), welche limnologisch dem Hypokrenal (der Quellregion) zuzuordnen ist, vergessen wurde. Südtirol weist viele solcher Bäche auf, welche der Feuersalamanderregion zuzuordnen sind und es wurden keine Umgestaltungen vorgenommen, in welcher der Feuersalamander als Zielart und Leitart, in den Mittelpunkt gestellt wurde. “Die Revitalisierung der Gewässer in Südtirol ist jedoch bei weitem noch nicht abgeschlossen und laufend im Gange”, lautet die Antwort. Dazu ist anzumerken, dass die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie von 2009 bis 2015 für die Mitgliedsstaaten vorgesehen war. Wenn im August 2015 die Feuersalamanderregion noch gar nicht erst eingeplant war, so spricht dies nicht für die Qualität der Revitalisierungsarbeiten in der Provinz Bozen.

Die Eutrophierung von Gewässern oder sogar Fischsterben in Bächen sorgen immer wieder für Schlagzeilen in der Presse. Paul Köllensperger verbindet diese Problematik mit der Wasserrahmenrichtlinie: “Warum wurde nicht die Trophie herangezogen, obwohl Einträge aus der intensiven Grünlandwirtschaft in vielen Gewässern Probleme bereiten?” In der Antwort wird auf die gesetzliche Regelung der Ausbringung von Dünger im Bereich von Gewässern hingewiesen und darauf, dass durch die Aufwertung der Ufervegetation als Puffer dem Eintrag von Düngern entgegengewirkt werden kann. Im Zuge der Revitalisierung werden aber Ufergehölze systematisch gerodet und entfernt, wodurch diese Pufferfunktion von Ufergehölzen vollkommen verlorengeht.

Paul Köllensperger hat sich in einer eigenen Landtagsanfrage nach der Sinnhaftigkeit von Durchforstungen erkundigt: „Wozu dienen Durchforstungen?“ Diese Frage wurde nicht beantwortet.

„Sind naturnahe Gehölze längs der Fließgewässer, welche im Zuge der Revitalisierung beeinträchtigt (gerodet oder durchforstet) wurden, für das Ökosystem Fließgewässer von Bedeutung?“ lautet eine Frage von Paul Köllensberger. „Im Zuge der Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) erfolgt eine Neuausrichtung im Sinne des Gewässerschutzes. Die nunmehr ökologische und nicht nutzungsorientierte Ausrichtung der Richtlinien hat den Schutz und soweit möglich die Wiederherstellung der natürlichen Beschaffenheit von Oberflächengewässern und deren Lebensgemeinschaften zum Ziel. Auch Feuchtgebiete und vom Gewässer abhängige Land-Ökosysteme sind nun als direkter Bestandteil ökologisch intakter Gewässer anzusehen.“ Bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Südtirol wurden diese abhängigen Land-Ökosysteme aber nicht weiter berücksichtigt. Ob beim Gewässerbetreuungskonzept Untere Ahr oder dem Projekt Passer für Meran, mögliche negative Beeinträchtigungen der Fließgewässer durch die Ausbringung von Gülle oder anderen Stoffen wurde für die Verbesserung des ökologischen Zustands nicht angedacht. „Durch die Beschattung des Gewässers tragen Gehölze zur Erreichung eines guten ökologischen Zustandes bei. Lange, bewuchslose Gewässerstrecken bewirken die Erwärmung des Gewässers, die in Kombination mit geringen Wassertiefen und der direkten Sonneneinstrahlung negative Auswirkungen auf den Gewässerlebensraum nach sich zieht:“ wird erklärt. Die Diskrepanz zwischen den Ansprüchen des Gewässerschutzes und der praktischen Vorgehensweise bei Revitalisierungen mit Rodungen und Durchforstungen wird dadurch deutlich.

Paul Köllensberger hat sich in einer Anfrage zur Revitalisierung danach erkundigt, inwieweit die Erholungsflächen an Gewässern in Zusammenhang mit der Wasserrahmenrichtlinie stehen. In der Antwort wird bestätigt, dass die Erholungsfunktion in der Wasserrahmenrichtlinie nicht erwähnt wird. Die systematische Erschließung der Bäche mit Erholungsflächen (Meran, Burgstall, Brixen, Bozen, Bruneck usw.) im Rahmen der Revitalisierungsarbeiten ist durch die EU-Richtlinie nicht begründbar.

Walter Blaas hat sich ebenfalls nach der Revitalisierung erkundigt und die Frage gestellt: “Wurden Studien oder Erhebungen über die Auswirkungen der Revitalisierungsprogramme auf die umliegende Umwelt, die Tier- und Pflanzenwelt durchgeführt?” In der Antwort (Landesrat Schuler) wird behauptet:”...Generell kann festgehalten werden, dass durch die Maßnahmen zur Fließgewässerrevitalisierung die Habitate an den Flüssen verbessert werden und die Artenzahlen und Individuenzahlen von Pflanzen und Tieren zunehmen....Die Ergebnisse der Studien zu den Revitalisierungen an der Prader Sand, am Mareiterbach, an der Etsch oder an der Ahr belegen dies deutlich”. Demgegenüber kommt die Studie „Fluss- und Auenrenaturierungen in Südtirol“ zu einem ganz anderen Ergebnis: weder auf Art- noch auf Ökosystemebene wurde der Zustand vor und nach einer Revitalisierung erhoben. Im Anhang zur Landtagsantwort findet sich eine Auflistung von Studien. Die meisten angeführten Studien beziehen sich auf den Auwald an der Etsch, dessen Ergebnis auch den Grünen präsentiert wurde, als sie sich nach dem Auwald an der Etsch erkundigten. Daneben finden sich Untersuchungen zu Pflegemaßnahmen, Überwachung des Grundwasserspiegels usw. Die Behauptung, dass Arten- und Individuenzahlen zunehmen würden, kann durch die angeführten Studien nicht belegt werden und die Studie zur Fluss- und Auenrenaturierung in Südtirol stellt fest, dass auf Artebene keine Zustandserfassung erfolgte, obwohl 90% der vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten an Feuchtgebiete gebunden sind. Ob diese Arten auf einer zu revitalisierenden Fläche vorkommen, wird generell nicht beachtet. Die Studie „Fluss- und Auenrenaturierung in Südtirol“ ist die einzige Studie, in der einige Revitalisierungsarbeiten systematisch aufgearbeitet werden und welche auch einige Empfehlungen für die Praxis enthält.

Walter Blaas hat sich auch nach den Auswirkungen auf den Hochwasserschutz erkundigt. Während Paul Köllenspergers Frage zur Revitalisierung und dem Hochwasserschutz nicht beantwortet wurde (Märchen von der Revitalisierung und dem Hochwasserschutz) wird in dieser Beantwortung erklärt:” ..Flussaufweitungen, also die Verbreiterung der Fließgewässer haben zur Folge, dass der Hochwasserabfluss zeitlich verzögert wird: bei größeren Flussaufweitungen mehr, bei kleinräumigen weniger. Durch die zeitliche Verzögerung der Hochwasserwelle wird das Risiko in Flussabwärts gelegenen Siedlungsgebieten verringert....”. Der tatsächliche Effekt dieser “Aufweitungen” (fälschlicherweise wird immer von Aufweitungen gesprochen, die gerodeten Ufergehölze und Auwälder an den Fließgewässern sind Teil des Fließgewässerökosystems im Sinne der EU-WRRL) wird in der Landtagsanfrage von Paul Köllensperger für den Abschnitt der Etsch bei Burgstall weiter konkretisiert und es wird zugegeben: “Da die Maßnahme sich auf einen relativ kurzen Flussabschnitt beschränkt, sind die Vorteile für den Hochwasserschutz allerdings überschaubar. Insgesamt sind die Vorteile der Revitalisierungsarbeiten für den Hochwasserschutz überschaubar, ob beim Gewässerbetreuungskonzept Untere Ahr oder anderen “Aufweitungen”.

Paul Köllensperger macht auf die Rodungen und Durchforstungen und den Schutzstatus der Ufergehölze und Auwälder in der Landtagsanfrage aufmerksam und es wird geantwortet: „Viele Restbestände von Auwäldern sind nicht mehr in die Dynamik der Fließgewässer eingebunden. Diese Auwälder können langfristig nur erhalten werden, wenn der Kontakt zum Grundwasser wieder hergestellt und/oder eine periodische Überflutung dieser Flächen im Rahmen der normalen Abflussdynamik gewährleistet werden kann.“ Leider wird auf den Auwaldtyp, der sich auf einer zu revitalisierunden Fläche befindet, nicht weiter eingegangen. Es gibt Auwälder, welche mit dem Grundwasser in Kontakt stehen (z.B. Schwarzerlenbruchwälder) und Auwälder die überflutet werden (z.B. Silberweidenauwälder). Mit allen Waldtypen wird gleich umgegangen und es entstehen dadurch vollkommen absurde Revitalisierungsarbeiten wie die Revitalisierung der Ilstener Au, ein Auwaldtyp der auf Überflutungen angewiesen ist.

Im Rahmen der verschiedenen Revitalisierungsmaßnahmen an Gewässern bzw. an Gewässer begleitenden Lebensräumen sind Absenkungen von Auflächen und Flussaufweitungen vorgenommen worden, um in den degradierten Auwäldern wieder eine ökologisch wertvolle Auwald-dynamik zuzulassen”. Die Ursache für den Verlust der Dynamik sind die Hochwasserschutzbauten und Speicherstaussen, der Rückbau von Verbauungen müsste die Antwort auf die fehlende Dynamik sein. Die Studie zur Fluss- und Auenrenaturierung kommt zum Fazit: “ Für eine Erfolgskontrolle von Renaturierungsarbeiten ist eine Zustandserfassung vor der Renaturierung und eine detaillierte Dokumentation des Renaturierungsprojekts unabdingbar.” Da vor einer Revitalisierung nicht festgestellt wird, ob es sich um einen degradierten Auwald handelt oder nicht, kann nicht davon gesprochen werden, dass degradierte Auen aufgewertet werden. Es gibt auch Auwaldtypen, in denen z.B. die Föhre häufig vorkommt. Die Anwesenheit von solchen Nadelgehölzen wird in Südtirol dahingehend gedeutet, dass der Auwald nicht vital bzw. degradiert wäre. “Die revitalisierten Flächen weisen eine höhere Biodiversität auf und werden somit zum Lebensraum für eine viel größere Zahl von gefährdeten Arten”, wird in der Beantwortung der Landtagsanfrage von Paul Köllensberger schon wieder falsch behauptet, diesmal von Landesrat Theiner.

Die Frage nach der Ausbreitung von invasiven Neophyten wird in der Landtagsanfrage ebenfalls erläutert: “Die mancherorts massiv auftretenden Neophyten zu Beginn bzw. unmittelbar nach Durchführung der Arbeiten ist ein wohlbekanntes Phänomen, dem man nur schwer entgegenwirken kann. Diese Arten kommen an allen Ruderalflächen (Unkrautflächen) vor und sind nicht nur ein Problem bei den Revitalisierungen an Fließgewässern. Ihr Vorkommen wird jedoch in Folge der natürlichen Sukzession zurückgedrängt, sodass sich wieder standorttypische Pflanzengesellschaften entwickeln können.” Für invasive Neophyten ist es charakteristisch, dass sie heimische Arten verdrängen. Diese Arten kämen an allen Ruderalflächen vor, wird erklärt. Die Schaffung von solchen Unkrautflächen an Südtirols Bächen ist offensichtlich bei der Revitalisierung mit eingeplant.

Während Fragen zu den Kosten der Revitalisierung im Landtag bei mancher Anfrage nicht beantwortet wurde, bekam Walter Blass Auskunft über die Kosten von 10 Jahren Revitalisierungsarbeiten: 23.443.142,77 Euro wurden in 10 Jahren investiert. 2.800.000 Euro wurden über das EU-Programm „Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ finanziert.

Unübersehbar ist, dass die öffentliche Hand mit den Bächen beschäftigt ist, dass man sich dem „guten Zustand“ annähert, ist zu bezweifeln.

Zusammenfassend kann für die Wasserrahmenrichtlinie in Südtirol festgehalten werden:

  1. Die Betrachtung der Fließgewässer auf Ökosystemebene wurde bei der Umsetzung der Richtlinie nicht vorgenommen. Eine Grundvoraussetzung um überhaupt den ökologischen Zustand zu beschreiben und Maßnahmen zu planen, ist die Betrachtung der Gewässer auf Ökosystemebene
  2. Die Unmöglichkeit des Erreichens eines „guten Zustands“ für Gewässer mit Speicherstauseen wurde für Südtirol durch ein Landesgesetz geregelt
  3. Die abhängigen Land-Ökosysteme waren nicht Bestandteil der Umsetzung der EU-WRRL
  4. 90% der vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten sind an Feuchtgebiete gebunden. Ob diese Arten auf einer zu revitalisierenden Fläche vorkommen, wird generell nicht beachtet. Die wiederholte Behauptung „Arten und Individuenzahlen nehmen zu“ stimmt nicht!
  5. Degradierte Auwälder werden „aufgewertet“, ohne auf den Waldtyp einzugehen
  6. Es kann vorkommen, dass Unkrautflächen mit Neophyten in Bächen angelegt werden