Gesellschaft | Interview

Das Journalistenprekariat

Auf dem 27. nationalen Gewerkschaftskongress der Journalisten wurde viel über das Prekariat geredet, eine neue Führung gewählt und der Südtiroler Beschlussantrag gelobt.

Der große, alle 4 Jahre stattfindende Kongress der italienischen Journalistengewerkschaft in Chianciano ist zu Ende, was waren die vordringlichsten Themen?

Stefan Wallisch: Es gab zwei wichtige Themen: Zum einen den Generationenwechsel, der im Wechsel von Generalsekretär und Präsident vollzogen wurde und das Thema der freiberuflich arbeitenden Journalisten. Zum neuen Generalsekretär wurde der 47-jährige Raffaele Lorusso gewählt, ein Journalist der Tageszeitung La Repubblica in Bari. Ihm steht jetzt die Aufgabe zu, den italienischen Journalismus aktiv in eine neue Zeit zu führen. Präsident wurde der RAI Journalist Santo della Volpe. Dieser Wechsel ist deshalb wichtig, weil er für die Medienlandschaft ein Signal darstellt. Heute arbeiten über 60 Prozent der aktiven Journalisten ohne Kollektivvertrag, sie sind als Freiberufler mit prekären Verträgen an Redaktionen gebunden und es wird die vordringliche Aufgabe der neuen Gewerkschaftsgeneration sein, diesen Journalisten eine Stimme zu geben.

Stefan Wallisch ist Redakteur bei der Nachrichtenagentur Ansa und Generalsekretär der Journalistengewerkschaft Trentino-Südtirol

 

Es gab im Laufe des Kongresses mehrere Beschlussanträge, die dieses Vorhaben konkret umsetzen wollen, welche sind das?

Die Freiberufler müssen innerhalb der Redaktionen mehr Garantien bekommen. Das heißt, vereinfacht gesagt, dass Freiberufler teurer werden müssen. Solange die Freelancer wesentlich billiger arbeiten als die Redakteure, werden die Zeitungen bzw. die Herausgeber auf sie zurückgreifen. Außerdem sind die sogenannten Prekären auch meist sehr motiviert, weil sie ja hoffen, angestellt zu werden. Deshalb müssen wir Gewerkschafter Rahmenbedingungen schaffen, dass es sich für die Herausgeber auszahlt, diese Mitarbeiter anzustellen. Das hätte den Vorteil für die Freien, dass sie mehr Sicherheit haben in Hinblick auf eine Familiengründung und Existenzsicherung und hat letztendlich auch Einfluss auf die Qualität der Arbeit, wäre also auch im Sinn der Medienmacher.  

Es gibt Kollegen, die schreiben für 4 Euro brutto einen ganzen Artikel, gehen dafür auf Pressekonferenzen und werden womöglich dazu in der Nacht vorher angewiesen. Das ist schlimmer als Tagelöhnerarbeit, und auch unter jeder menschlichen Würde.

Mit dem Journalistennachwuchs sieht es nicht zum Besten aus. Das Verhältnis der Kollegen, die im letzten Jahr in Pension gegangen sind und jenen die neu angestellt wurden, war 1 zu 10. Das heißt, zehn Journalisten gehen mit hohen Renten in Pension, da sie alle eine Funktion wie Chef vom Dienst oder ähnliches innehatten, und nur ein einziger wird mit niedrigem Lohn angestellt. So kann sich das aber nicht rechnen. Die neue Führung unter Lorusso hat vor, möglichst viele Kollegen in den Kollektivvertrag aufzunehmen. Dabei müssen wir uns nichts vormachen, diejenigen mit vielen Rechten und dem besseren Schutz werden Abstriche machen müssen, zum Vorteil der Jungen. Nur so kann auch in Zukunft eine Pension garantiert werden. 

Welche Regelungen kann die Journalistengewerkschaft, die neue Führung hier durchbringen?

Einerseits braucht es hier die politsche Arbeit auf nationalgesetzlicher Ebene und andererseit eine Veränderung des Kollektivvertrags. Dieses Schindluder, das mit freien Mitarbeitern getrieben wird, muss unbedingt aufhören. Es gibt Kollegen, die schreiben für 4 Euro brutto einen ganzen Artikel, gehen dafür auf Pressekonferenzen und werden womöglich dazu in der Nacht vorher angewiesen. Das ist schlimmer als Tagelöhnerarbeit, und auch unter jeder menschlichen Würde. Der Vertrag, den wir dazu im letzten Sommer aufsetzten, und der die gerechte Entlohnung betrifft, den equo compenso, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir wollen jetzt weitere Impulse setzen, und wir müssen vor allem Überzeugungsarbeit bei den Journalisten leisten. Wir müssen für den Nachswuchs sorgen.

Eure Partner sind die Herausgeber von Zeitung, Fernsehen, Radio und Online-Redaktionen, wie konkret lassen sich hier Regelungen vereinbaren?

Das sind oft gezwungenermaßen unsere Verhandlungspartner. Leider gibt es in Italien  immer weniger wirkliche Verleger, sondern lediglich Unternehmer die in den Medienbereichen tätig sind. Ein Ansatz wäre es, die öffentliche Bezuschussung von Medien davon abhängig zu machen, wie sie ihre freien Mitarbeiter bezahlen und ob sie mit ihnen gerecht umgehen. Man muss Neuanstellungen billiger machen, was die steuerlichen Verpflichtungen betrifft. Im letzten Vertrag vom Sommer wurde vereinbart, dass wer freie Mitarbeiter fix anstellt, für drei Jahre keine Sozialabgaben zahlt, vereinfacht gesagt. Das hat gefruchtet, denn bereits im Dezember gab es italienweit 170 Neuanstellungen nur durch diese Maßnahme. Hier müssen wir einfach weitermachen, das sind Unternehmer und denen müssen wir Rahmenbedingungen unterbreiten, die sich ökonomisch für sie rechnen. 

Was ist mit jenen Medienmachern vor allem im Onlinebereich, die durch alle Roste fallen, die zwar guten Journalismus machen wollen, aber keine öffentlichen Beiträge erhalten, wie geschützt sind die Mitarbeiter dort?

Wir müssen schauen, auch im Bereich der neuen Medien den innovativen Modellen, wie es Genossenschaften beispielsweise sind, unter die Arme zu greifen. Auch die Ansa, die italienische Nachrichtenagentur für die ich arbeite, ist eine Genossenschaft. Die Unterstützung von solch neuen Modellen und Startups muss aber immer Hand in Hand gehen mit der Förderung und dem Schutz der Mitarbeiter. Von unserer Seite, also von Gewerkschaftsseite, gibt es die maximale Bereitschaft, Rahmenbedingungen zu schaffen. 

Die Südtiroler Delegation hat in Chianciano einen Beschlussantrag vorgelegt, der sehr beachtet wurde, was haben die Südtiroler da vorgeschlagen?

Wir haben federführend mit Peter Malfertheiner einen Beschlussantrag eingebracht, der das deutsche Modell der Sozialpartnerschaften vorgestellt hat und eingeladen hat, dieses genauer zu studieren und die Anwendbarkeit in Italien zu überprüfen. Für Südtirol und den deutschen Sprachraum ist es ein bekanntes Modell, während es im restlichen Italien wenig Anklang findet. Den Beschlussantrag hat die zehnköpfige Südtiroler Delegation unterzeichnet und es war einer der meistdiskutierten Beiträge auf diesem Kongress. Man hat gesehen, dass neue Impulse sehr willkommen sind und dass wir wirklich radikal Gangart wechseln müssen, sodass auch unsere Medien eine reelle Zukunft haben.