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Lazzaro Felice

Der Gewinner des Drehbuchpreises der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes erreicht die heimischen Kinosäle. Doch macht Lazzaro damit auch den Zuschauer glücklich?
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Foto: Filmclub

Eine Filmkritik von Christoph Waldboth

Kleinode, die unter dem Radar des gemeinen Zuschauers laufen, gibt es im Kino zahlreiche. Zu oft verschwinden sie unter der erdrückenden Präsenz der großen Studioproduktionen, oder erreichen aufgrund ungewöhnlicher Herangehensweisen nur die Cineasten. Glücklicherweise gibt es Festivals wie die altehrwürdigen Filmfestspiele von Cannes. Sie sind ein Schatzgrube und Sammelplatz für anspruchsvolle filmische Werke, die von dort in die Welt hinausgetragen werden - Lazzaro Felice, so viel sei vorweggenommen, ist eines davon.

 Lazzaro Felice ist vieles, eine Gesellschaftskritik, ein Porträt, eine Momentaufnahme, aber in erster Linie ein Plädoyer für eine positivere Sicht auf unsere märchenhafte Welt.

Bei diesem Film sollen zur Handlung nicht viele Worte verloren werden. Die Geschichte des jungen Mannes Lazzaro ist keine spektakuläre, zwar mit einigen überraschenden Wendungen, jedoch tendenziell unaufgeregt. Lazzaro ist Teil der Arbeiterschaft eines Hofes, deren Besitzerin „Königin der Zigaretten" genannt wird. Die Verhältnisse der Angestellten erinnern an vergangene Zeiten, in denen hart arbeitende Männer und Frauen ohne Bezahlung unter brütender Hitze geschuftet haben. Lazzaro erledigt seine Aufgaben gewissenhaft und ohne sie zu hinterfragen. Auf seine Mitmenschen wirkt er zurückgeblieben, ob er es wirklich ist, oder sich nur so gibt, lässt der Film offen. Er ist ein Mensch, der mit offenem Blick durch das Leben geht. Als er den Sohn der Zigarettenkönigin bei einer inszenierten Entführung unterstützt, wird sein Alltag plötzlich auf den Kopf gestellt. Eine Reise beginnt, die ihn von den trockenen Feldern seiner Arbeitsstätte bis hin zu urbanen Großstadtkulissen führt.

Trailer ufficiale / Quelle Youtube / Filmclub Bozen

Hauptdarsteller Adriano Tardiolo bewegt sich schlafwandlerisch durch die Szenerien. Mit großen Augen, die vor Neugier und Ehrfurcht nur so sprühen, wirkt er einerseits wie ein treuer Hund, andererseits wie jemand, der gerade erst auf dem Planeten Erde gelandet ist. Lazzaro ist wie ein Fremder in einer von Menschen geschaffenen Umgebung. Während alle um ihn herum geschäftig ihrem Alltag nachgehen, scheint er zu träumen. Die entschleunigten, ruhigen Bilder, die Regisseurin Alice Rohrwacher auf 16 Millimeter Film gebannt hat, sprechen eine deutliche Sprache. Wie der Protagonist laden auch sie ein, die Welt zu erforschen. Wenn sich zu dieser manchmal an Pasolini erinnernden Ästhetik noch Orgelklänge hinzugesellen, wird Lazzaro zu einer sakralen Gestalt. Der Film streift den schmalen Grad zum Übernatürlichen nur an wenigen Stellen, schweigt dann jedoch und überlässt es dem Zuschauer, die Figur des Lazzaro zu interpretieren. Leider fällt dies besonders in der ersten Hälfte des Films schwer, Rohrwacher zeichnet ein sehr distanziertes Bild ihres Protagonisten, sodass Identifikation oder Anteilnahme kaum möglich ist. Die Seifenblase, in der sich der Film bewegt, platzt jedoch irgendwann. Das ist unausweichlich, aber auf der Leinwand ein besonders berührender Moment in einem Film voller kleiner Wunder. Den Preis für das beste Drehbuch hat er in Cannes verdient nach Hause genommen, wenngleich die Konkurrenz nicht weniger stark war. Lazzaro Felice ist vieles, eine Gesellschaftskritik, ein Porträt, eine Momentaufnahme, aber in erster Linie ein Plädoyer für eine positivere Sicht auf unsere märchenhafte Welt.