Kultur | Salto Afternoon

Wessen Haus?

In der Galerie Doris Ghetta sind derzeit zwei Ausstellungen mit Südtiroler und Nichtsüdtiroler Künstlern zu sehen. Begegnungspunkt? Das Haus vom Nikolaus.
„Das-ist-das-Haus-vom-Ni-ko-laus“
Foto: Luca Meneghel
Vielleicht erinnern Sie sich an das Kinderspiel: Zu den acht Silben des Satzes „Das ist das Haus vom Nikolaus“ gilt es vertikale, horizontale und diagonale Linien zu ziehen, die das Bild eines Hauses ergeben, ohne dass sich die Linien dabei überlappen dürfen. Ein bisschen ähnelt das Spiel dem Einrichten einer Galerie, in welcher platzierte Kunstwerke über unsichtbare Linien zu einander in Beziehung gestellt werden und allzu offensichtliche Überschneidungen auch als wenig reizvoll oder „Fehler“ wahrgenommen werden können.
Beginnen wir aber im unteren Stock, bei der jüngeren der beiden Ausstellungen: In „The Day Before Yesterday“, sind zeitliche statt räumlichen Relationen entscheidend und zwei Künstler aus dem italienischen Staatsgebiet (Aron Demetz und Nicola Samorì) treffen im Ausstellungsraum auf rumänische Kollegen (Teodora Axente, Ciprian Mureşan). Unter dem Nostalgie und eine greifbar nahe Vergangenheit evozierenden Titel finden sich chimärenhafte Kunstwerke, welche den Betrachter mit einer Mischung moderner und vorvergangener Elemente konfrontieren, wie etwa „IN SIN“ von Axente, welches als kleinformatige Ölarbeit auf die Detailliebe von Portraitmalerei in der Renaissance verweist. In besonderer Weise spricht ihr Werk mit Samoris Arbeiten, einer Skulptur einer weiteren unmöglichen Kreatur da, einer „aufgeschürften“ Übermalung von Onyx und Quarz mit Namen „Blend“ dort. Den Grenzgang zwischen figuralem und zweidimensionalem, in diesem Fall zeichnerischem Arbeiten wagt auch Mureşan, der eine seiner Zeichnungen, wie ein Halbrelief von der Wand abheben lässt. Losgelöst von Wänden bespielt Aron Demetz das Zentrum des Raumes, mit einer Gruppe aus zwei „nackten“ Holzfiguren, die einander neutral (ohne Wertung oder Urteil die Nacktheit übergehen) gegenüberstehen und einem umgestalteten, vor der Entsorgung geretteten Beichtstuhl. Letzterer ist mit Silberfarbe überzogen und grob durch sichtbare Schrauben zusammengehalten. Beides steht im Kontrast mit der ursprünglichen, annähernd gotischen Formensprache des Objekts, wobei vielleicht noch das Streben nach oben zur unwillkürlichen Raumschiffassoziation passt.
 
„The Day Before Yesterday“
„The Day Before Yesterday“: Aus der Zeit gefallene Werke verweisen auf verschiedene, nähere und entferntere, reale und imaginierte Zeiten. | Foto Luca Meneghel
 

Das Haus


Was macht ein Haus aus? Vier Wände und ein Dach und noch so vieles mehr. Betritt man eine fremde Wohnung, die denselben Grundriss wie die eigene hat, so ist rasch deutlich, dass es beim Begriff „Zuhause“ um etwas schwer greifbares geht. Da passt es ganz gut, dass Robert Bosisios „Interior“ uns im Großformat abholt. Wir sehen eine Wohnung ohne ihre Bewohner, Details verschwimmen in Unschärfe und es geht ums Einfangen einer Lichtstimmung, welcher der digitale Raum und Abbilder nur schwer gerecht werden. Das „Innen“ der Wohnung erlaubt einen andeutungsweisen Blick in das „Innen“ einer Stimmung.
 
„Das-ist-das-Haus-vom-Ni-ko-laus“
„Das-ist-das-Haus-vom-Ni-ko-laus“: Martina Steckholzer und Robert Bosisio präsentieren ihre jeweils eigenen Ideen von Haus und Zuhause. | Foto: Luca Meneghel
 
Die acht (wie die Silben eines Kinderspiels) auf drei Räume verteilten Künstlerinnen wagen dabei einen jeweils individuellen Zugang, eine persönliche Deutung des Begriffs „Haus“. Für Martina Steckholzer sind es sechs Aquarelle, an die Motive von Tarrotkarten angelehnt, welche das mystische dieses persönlichen Allerheiligsten ablichten, während im selben Raum (sowie zwei Zimmer weiter) Sophie Hirsch mit „Public Intimacy“ das Rituelle der Kunst durchbricht und zur Berührung mit Kunst einlädt. Angelehnt an die (in Kinder- und Erwachsenengröße) aus dem Federkern einer Matratze ausgearbeiteten Wandarbeiten, geht eine Diagonale zurück zu Bosisios Stimmungsbild.
Im nächsten Raum sehen wir prominent zwei Arbeiten von Arnold Holzknecht, von denen „Konzentrat“ als erstes ins Auge sticht. Die Arbeit, aus verschiedenstem Material - wie Köteln oder einem Glas Honig - zusammengezimmert macht uns unruhig, zeigt ein fragiles, wenngleich nicht wirklich singstiftendes Gleichgewicht. Eine monochrome, aus der Überarbeitung eines privaten Vorlagefotos, Gruppe von zwei Werken steht dem gegenüber, stiftet Ruhe: Walter Moroders auf MDF Platten in Weiß gehaltenen Werke ohne Titel beruhigen das Auge - lassen, im Gegensatz zur benachbarten Wand - nichts von der Prozesshaftigkeit der Arbeitsweise erkennen, sprechen von der Unbeständigkeit von Erinnerung.
„Tra i tuoi vuoti I“ zeigt uns ein Paar in der Umarmung, von Alltagsgegenständen umgeben und scheinbar geisterhaft den Körper des Mitmenschen durchdringend. Geschaffen hat das, in der Konsistenz des Lichts an Bosios Werk erinnernde Gemälde Pietro Moretti, in welchem mit Bienenwachs und Marmorstaub ähnlich archaische Materialien wie bei Holzknecht verschwinden.
 
„Das-ist-das-Haus-vom-Ni-ko-laus“
„Das-ist-das-Haus-vom-Ni-ko-laus“: Zimmer Zwei der Ausstellung ist mit Sicherheit das belebteste, auch wenn in der Totale die Werke Kremoninis und Holzknechts Installation nicht zu sehen sind. | Foto: Luca Meneghel
 
Den Raum beschließen etwas schüchtern an einem Eck platziert, zwei Gemälde Rudy Cremoninis, eines abstrakt, „Livingroom“ und eines (von 2019, knapp vor der Pandemie entstanden) Kreuzfahrtschiffes, mit „New World“ betitelt. Gemein ist ihnen die Farbwahl und der minimalistisch nachvollziehbare Pinselstrich, dem man über die Fläche der Werke folgen kann und der die stillen Bilder in Bewegung bringt.
Im letzten Zimmer der Galerie finden sich wieder wohnliche Elemente: Sie kommen abermals von Sophie Hirsch, die mit Stühlen aus recyceltem Material und einem Teppich die Berührung zur Kunst fast unumgänglich macht. Sie befindet sich dabei in Gesellschaft von digital gestalteten, auf analoge Druckverfahren (insbesondere Lettering) Bezug nehmende Großformate von Isabella Kohlhuber, die uns, schwarz auf Alluminiumplatten, ein letztes Mal zum Verweilen einladen. „General Reject“ in seinen zwei Teilen nimmt dabei Bezug auf Mündlichkeit, auf Sprechen und Sprache, festgefroren in schriftlicher Darstellung. Das ist entweder ein Comic - damit wieder kindgerecht - oder ein Wort, das den Raum nicht verlässt, etwas, das im Zuhause nachhallt.