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"Schindlers Liste" und der Holocaust

Was darf Film? Eine Frage, die im Zuge der Wiederaufführung des Spielberg-Klassikers „Schindlers Liste“ anlässlich dessen 25-jährigen Jubiläums mal wieder im Raum steht.
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Foto: Universal

Es sind bedrückende drei Stunden. Nicht angenehm anzuschauen, nicht besonders „unterhaltsam“, doch ein warnender Zeigefinger, der in die Höhe ragt und zahlreichen Menschen ein konkretes Bild des Holocausts vermittelt hat. Die Rede ist natürlich von „Schindlers Liste“ aus dem Jahre 1993, jenem Film, der Steven Spielbergs Karriere einen ordentlichen Schub gegeben hat. Nicht dass der nach heutigen Zahlen erfolgreichste Regisseur aller Zeiten bis dahin wenig ruhmreich gewesen wäre, doch stand sein Name wie kein Zweiter für Popcorn-Kino. „ET“, „Indiana Jones“, „Jurassic Park“, „Der Weiße Hai“... die Liste lässt sich lange fortsetzen. Bis zu „Schindlers Liste“ war Spielberg in erster Linie ein Unterhalter, ein Entertainer, der die Massen bewegte und den Begriff „Blockerbuster“ mitprägte. Er stand für kurzweilige Geschichten, die von Action, Spaß und einem Happy End lebten. Das hat vor allem an der Kinokasse funktioniert, in den Augen der Kritiker musste sich Spielberg erst mit einer ernsten Thematik beweisen. Das geschah zwar in Teilen bereits mit Filmen wie „Die Farbe Lila“, doch es musste erst zum richtig harten Tobak gegriffen werden, um den ersten Regie-Oscar zu erkämpfen.

Dürfen wir auf Kosten der Opfer des Holocaust das Ticket für die Achterbahn der Gefühle lösen?

So nahm sich ausgerechnet Spielberg der schlimmsten Katastrophe des letzten Jahrhunderts, dem größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit an und inszenierte die Geschichte des deutschmährischen Industriellen Oskar Schindler, der im Verlauf des Zweiten Weltkriegs rund 1200 Juden vor dem Tod im Konzentrationslager rettete. Indem er sie in seiner Fabrik arbeiten ließ, bewahrte er sie vor dem unausweichlich scheinenden Schicksal.

Wir haben es hier also von Grund auf bereits mit einer emotional sehr stark aufgeladenen Geschichte zu tun. Der Film funktionierte 1993 sowohl an der Kinokasse, als auch auf Kritikerseite und wurde mit sieben Oscars, einschließlich dem Preis für die Beste Regie und den Besten Film, ausgezeichnet.

Darf der Holocaust überhaupt auf der Leinwand dargestellt werden?

Während Schindlers Geschichte bis heute an vielen Schulen Bestandteil des Geschichtsunterrichts ist und zur Aufklärung dienen soll, blieb bereits zu Erscheinen des Films negative Kritik von verschiedenen Seiten nicht aus. Regisseure wie Claude Lanzmann oder Michael Haneke kritisieren die Verarbeitung des Holocausts als Melodrama. Und das ist ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden werden, und der darüber entscheidet, ob man „Schindlers Liste“ mag oder nicht. Es ist ein zwei-schneidiges Schwert. Denn einerseits beweist Spielberg mit diesem Film abermals, dass er ein Meister seines Fachs ist, ein Künstler, der sein Handwerk perfekt beherrscht. Er ist ein Marionettenspieler, der genauestens weiß, welche Fäden er ziehen muss, um sein Publikum zu kontrollieren. Er ist Kenner der Emotionen und weiß, wie man sie hervorruft. In Blockbustern wie "ET" oder "Indiana Jones" trägt das zum cineastischen Erlebnis bei und lässt den Zuschauer Glücksgefühle verspüren. In einem ernsten Film wie „Schindlers Liste“ ist es sicherlich fragwürdig, ob der Regisseur die Gefühle der Zuschauer steuern darf. Natürlich ist jeder Film, unabhängig von seiner Thematik in einer gewissen Weise manipulativ, doch macht Spielberg keinen Hehl darum, diese Intention bei „Schindlers Liste“ zu verbergen. John Williams preisgekrönter Soundtrack untermalt die ein oder andere Szene auf eine solch schmerzvoll traurige Weise, dass man sich die Frage gefallen lassen muss, woher die Trauer und das Mitgefühl für die Protagonisten herrührt. Die Kombination aus dem Bewusstsein, hier eine wahre Geschichte nacherzählt zu sehen, und der künstlich verstärkten emotionalen Kraft der Bilder erzeugt beim Zuschauer eine Reaktion, die zwar echt ist, jedoch fragwürdig. Dürfen wir auf Kosten der Opfer des Holocaust das Ticket für die Achterbahn der Gefühle lösen? Dürfen wir mit Spannung erwarten, ob aus den Duschen der Gaskammern Wasser oder Gas kommt? Dürfen wir erleichtert sein, wenn wir sehen, wie die befreiten Schindler-Juden am Ende gemeinsam singen, glücklich sind, überlebt zu haben? Vergessen wir dann nicht allzu leicht, dass es die restlichen 6 Millionen nicht geschafft haben? Nutzt Spielberg ein tragisches Ereignis, um einen mikroskopischen Blick darauf zu schaffen, das große Ganze aber auszublenden? Und ganz generell: Darf der Holocaust überhaupt auf der Leinwand dargestellt werden?

Schindler's List 25th Anniversary - Official Trailer (Universal)

Es sind Fragen, die nun wieder diskutiert werden. Sicher ist, dass Spielberg zu großen Teilen dazu beigetragen hat, wie der gemeine Zuschauer den Holocaust heute wahrnimmt. Und das ist der springende Punkt. Der Holocaust DARF dargestellt werden, und das auf die Art und Weise, die der Filmemacher für richtig erachtet. Letztendlich ist es eine künstlerische Vision, eine Interpretation der Ereignisse, und so muss man den Film auch behandeln. „Schindlers Liste“ ist ein ästhetisches und erzählerisches Meisterwerk, welches die erprobten Fähigkeiten Spielbergs, seinen von Hollywood geprägten Stil auf die kalte Realität von Auschwitz loslässt. Gefährlich wird der Film erst dann, wenn man ihn für ein Stück Dokumentation hält, ihn als Maßstab nimmt und für eine wahrheitsgetreue, authentische Darstellung des Holocausts hält. Das sollte besonders im Umgang mit Jugendlichen hervorgehoben werden. In den dunkelsten Momenten jener Zeit gab es keine perfekte Ausleuchtung der Akteure, keine herzzerreißende Musik, keine ausgeklügelten Kamerafahrten. Es ist ein Kapitel der Menschheit, welches völlig schmucklos ruht. Spielberg hat es für seine Zwecke genutzt und möchte nun, 25 Jahre später, erneut warnen, auch angesichts des weltweiten Rechtsrucks, und der am Horizont drohenden Gefahr, dass sich die Geschichte zumindest teilweise wiederholt. Ein nobler Ansatz, der mit einem Film vollzogen wird, der zurecht als Meisterwerk gefeiert wird. Als filmisches Meisterwerk wohlgemerkt, welches nichts von seinem Schrecken und seiner Relevanz verloren hat und heute genauso gut funktioniert wie vor 25 Jahren. Interessant wäre es zu sehen, wie Michael Haneke einen Film über den Holocaust inszenieren würde. Dem hat er zwar bereits eine deutliche Absage erteilt, seine auf Realität geeichte Art, Geschichte zu erzählen, würde jedoch einen großen Kontrast zu Spielbergs Version der Dinge schaffen. Man sollte Spielberg den Filmemacher nicht verurteilen, sondern vielmehr weiterhin aufklären, ungeschönt und radikal dafür sorgen, dass Nichts davon in Vergessenheit gerät, und sich in diesem Sinne Gedanken über die aktuelle politische Neuausrichtung unserer heutigen Gesellschaft machen. Das darf ein jeder, und nur wenige, Verblendete werden dies kritisieren.