Zwischen Religion und Fiktion
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Die Produktion des Teatro Stabile „La buona novella“ ist ein ausgesprochen gelungenes Mischwerk aus einem zeitgemäßen Erzählstück, welches das zu Grunde liegende christlich-apokryphe Konzeptalbum des italienischen Liedermachers von 1970 in Richtung Gegenwart holt. Für den Abend haben Giorgio Gallione die Regie und Paolo Silvestri die musikalische Leitung und die Arrangements der Lieder verantwortet. Eine vielleicht von außen im ersten Moment verständliche Sorge, dass am Ende eine Art ungeschicktes Musical auf die Bühne kommen könnte, ist unbegründet. Man kontextualisiert und erweitert im Schauspiel, musikalisch werden zum Teil sechs-köpfig (mit dabei Giua - Gesang und Gitarre; Barbara Casini - Gesang, Gitarre und Schlagwerk; Anais Drago - Violine und Gesang; Francesco Negri - Klavier; Alessandra Abbondanza - Gesang und Akkordeon) die Lieder De Andrés auf gelungene Art und Weise neu interpretiert. Der zum Teil etwas kitschige Look des Bühnenbilds tut der Sprache und Musikalität keinen Abbruch.
Wer einen Blick auf die Albumlänge von De Andrés „La Buona Novella“ (35 Minuten) und jene des Abends im Theater (85 Minuten) wirft, der weiß, dass es sich hier mehr um ein neues Testament posthum-nach dem geliebten Liedermacher handelt, als um eine bloße Aufbereitung des Ausgangsmaterials. Klar, dass es dabei auch etwa zu einer Umgewichtung kommt: Haben die Lieder „Fabers“ noch sehr viel Platz für die Mutter Gottes Maria (Rosanna Naddeo) eingeräumt und ihr Empathie entgegengebracht, so sind diese Aspekte im Bühnenstück zwar keineswegs gestrichen oder übersehen, nehmen aber verhältnismäßig einen kleineren Raum ein.
Fabrizio De André, der sinngemäß über sein Projekt gesagt haben soll, dass er Druck verspürt habe das Christentum vor dem Katholizismus zu retten, hatte in rund einem Jahr Lektüre und Schreibarbeit, das schlanke Konzeptalbum erstellt und es nicht aus der Bibel, sondern aus den sogenannten Apokryphen geschöpft, nicht kanonischen Texten. In diesen Apokryphen fänden sich dabei auch Texte, die jene Zeit im Leben Jesu behandeln, die uns kaum bekannt sind. De André lässt diese Texte über einen jungen Jesus - der besonders im Arabischen Kindheitsevangelium Protagonist ist - zwischen Seite A und B des Vinyls aus. Nach „Il sogno di Maria“ in welchem Erzengel Michael die frohe Botschaft überbringt und einem Ave Maria macht das Album einen Sprung: „Maria nella bottega d'un falegname“ beschreibt uns den Besuch der verzweifelnden Gottesmutter bei eben jenem Tischler, der gerade am Kreuz arbeitet an dem Jesus für die Sünden aller Menschen sein Leben gibt.
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Weder De Andrés Interessen, noch jene der Produktion sind dabei vorrangig religiöser Natur. Wir sehen vielmehr eine große Neugier was die literarischen Aspekte der „dunklen, verborgenen“ (so die Etymologie des Wortes) Apokryphen haben. Auch nimmt man den Text nicht zu ernst, etwa indem man vorrechnet, wie alt Joseph an bestimmten Punkten der Handlung sei. Giorgio Gallione nimmt seinerseits das Kindheitsevangelium zur Hand, ohne in den Zeilen nach Wahrheiten zu suchen. Vielmehr amüsiert man sich und das Publikum mit Anekdoten, die das Bild eines wunderwirkenden (Klein-)Kinds zeichnen, das seinen moralischen Kompass noch nicht gefunden hat. Besonders die Mordlust dieser erschreckend schnell zur Todesstrafe greifenden Version von Jesus, der aber auch Lausbub sein darf, hat einen fast schon grotesken Charme.
Irgendwo stellen diese Mätzchen, die eher Ablenkung sind und ein, zwei Motive liefern, die im Stückverlauf wiederkehren (achten Sie auf das Wunder mit der Dattelpalme) aber auch einen Ausgleich für die Lebensgeschichte Marias, deren Kindheit kaum mehr ist als eine Holzpuppe, als Geschenk ihres zugelosten Mannes ist. Wenn selbst der Sohn Gottes in einigen Texten Kind sein darf, dann fragt man sich am Ende des Abends schon, warum Marias Lebensweg keine Kindheit vorsah. Hier zeigt sich menschliche Sympathie gegenüber dem quasi Göttlichen. Am Ende gibt es, auch wenn ich persönlich mir eine stärkere Gewichtung zugunsten Marias gewünscht hätte, anhaltenden Applaus, nicht zuletzt auch für die musikalischen Darbietungen und Neri Marcorès Stimme, die in einigen Momenten auch in der Klangfarbe an den vor 25 Jahren verstorbenen Sänger erinnert, was schon mal Gänsehaut zur Folge haben kann.
Die frohe Botschaft am Ende der Vorstellung lautet: Der Besuch im Theater lohnt sich.
„La buona Novella“ ist noch heute, 2. Februar, und morgen, mit Aufführungsbeginn jeweils um 19 Uhr zu sehen, sowie am Sonntag um 16 Uhr, bevor die Tournee fortgesetzt wird. Am Samstag den 3. Februar hat das Theaterpublikum um 11 Uhr die Möglichkeit 𝗡𝗲𝗿𝗶 𝗠𝗮𝗿𝗰𝗼𝗿𝗲̀ und die Besetzung des Stückes im Foyer des Stadttheaters anzutreffen.