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Filmfestival von Cannes 2022

Beinahe ohne Corona-Einschränkungen fand das alteingesessene Festival dieses Jahr zum 75. Mal statt. Ein Fazit.
Cannes
Foto: Cannes

Es mag für einige Menschen absurd wirken, sich in Zeiten von Pandemie, Krieg und allen möglichen anderen Nöten mit Filmen zu beschäftigen. Und doch ist das Kino wichtiger als je zuvor, es erhält seine manchmal gut verhüllte Wirkkraft besonders dann, wenn das Haus brennt. Und es brennt, es brennt lichterloh, zumindest aus Sicht der Europäer, die es nicht mehr gewohnt sind, dass ihr Haus in Flammen steht. So blieb in einem Jahrgang wie diesem gespannt zu erwarten, was das wichtigste Filmfestival der Welt thematisch, formal, aber auch kommunikativ anzubieten hat. Schließlich gab es im Vorfeld bereits hitzige Debatten über die Teilnahme russischer Beiträge im Wettbewerb, so etwa über den neuen Film des Regisseurs Kirill Serebrennikow, der jedoch längst nicht mehr in Russland lebt und als klarer Gegner des Kremls gilt. Die Festivalleitung verurteilte selbstverständlich den Krieg und lud jegliche russischen Delegationen oder Personen mit Verbindung zur russischen Regierung aus. Eine Grauzone blieben russische Filmemacher, die zwar nicht die Ansichten des Kreml teilen, aber dennoch auf staatliche Fördergelder, oder aber jene diverser Oligarchen zurückgriffen. Zu letzterer Gruppe gehört auch Serebrennikow.

Nun begann das Festival also im Trubel. Der Wettbewerb konnte mit der gewohnten Mischung an großen Namen und frischem Wind auftrumpfen. So fanden sich unter den prominenten Köpfe etwa der koreanische Meisterregisseur Park Chan-Wook („Decisions to leave“), der US-Amerikaner David Cronenberg, der mit „Crimes of the future“ in sein angestammtes Genre des Body-Horrors zurückkehrte, der japanische Cannes-Sieger Hirokazu Koreeda („Broker“), die Französin Claire Denis („Stars at noon“) oder der Schwede Ruben Östlund. Letzterer hatte bereits mit seinem Film „The Square“ im Jahr 2017 die Goldene Palme gewonnen, und siehe da, mit „Triangle of Sadness“ gelang es ihm erneut. Die Jury unter der Leitung des französischen Schauspielers Vincent Lindon („Titane“) zeichnete den als „Superreichen-Satire“ deklarierten Beitrag mit dem Hauptpreis aus. Darin erzählt Östlund anhand dreier Episoden von der Absurdität des Wohlstands. Er tut dies überzeichnet, teils vulgär. Östlund selbst sprach von einem klaren Unterhaltungsfilm, es wird sich zeigen, wie unterhaltsam das Publikum weltweit den Film findet. Es ist, soweit ist sich die Kritik einig, ein würdiger Sieger, wenngleich der Wettbewerb in diesem Jahr von vielen als wenig aufregend empfunden wurde.

Weitere Preise waren wenig überraschend. Der Große Preis der Jury, also der zweite Platz im Rennen, ging ex aequo an die Filme von Claire Denis und Lukas Dhont. Den Regie-Preis gewann Park Chan-Wook, übrigens ein längst überfälliger Kandidat für die Palme. Ebenfalls ein Koreaner konnte als Bester Hauptdarsteller triumphieren, nämlich der überaus grandiose Song Kang-ho, vielen möglicherweise bekannt aus „Parasite“, ein fester Bestandteil des zeitgenössischen, südkoreanischen Kinos. Sahra Amir Ebrahimi gewann den Preis für die Beste Hauptdarstellerin für den Film Holy Spider.

Ansonsten fiel das Festival vor allem durch Aktionismus auf. Als Tom Cruise seine US-Militärpropaganda-Maschine „Top Gun: Maverick“ präsentierte, flog zu seinen Ehren eine französische Flugstaffel über das Festivalgelände, ein beinahe zynischer Auftritt angesichts laufender (Luft)Kämpfe in der Ukraine. Der ukrainische Präsident durfte zur Eröffnung eine Rede halten, zugeschaltet versteht sich. Darin verwies er auf die Macht des Kinos, utopisch oder nicht, sei dahingestellt. Aktivistinnen kaperten die Festivaltreppen, mal nackt und unerlaubt wie im Falle einer ukrainischen Frau, die gegen die Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten protestierte, in anderen Fällen von offizieller Seite genehmigt, wie eine Demonstration von Frauen gegen die steigende Zahl an Femiziden.

Ein insgesamt unaufgeregter Jahrgang ohne große Aufreger oder völlige qualitative Ausreißer nach oben oder unten. Ruben Östlund darf sich freuen, er gehört nun zum recht exklusiven Kreis jener, denen es gelang, die Goldene Palme gleich zwei Mal zu gewinnen. Drei Stück des begehrten Filmpreises konnte noch kein Regisseur erringen. Aber wer weiß, was das nächste Jahr bringt.