Kultur | Salto Afternoon

Mahler Revisited

Der Dirigent und Cellist Philipp von Steinaecker unternimmt eine musikalische "Gustav Mahler"-Zeitreise in die Zeit um 1900. Salto hat ihn nachfragend begleitet.
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Foto: Kulturzentrum Toblach

salto.bz: Sie unternehmen in Toblach eine stilistische Zeitreise in die Epoche Gustav Mahlers – auf Originalinstrumenten. Wie gehen Sie vor?

Philipp von Steinaecker: Erstmal haben wir genau recherchiert. Die Wiener Hofoper hat während Mahler Direktionszeit von 1897 bis 1907 fast die gesamten Blasinstrumente neu gekauft und glücklicherweise ist der diesbezügliche Schriftverkehr komplett erhalten. Wir wissen also, welche Instrumente Mahler für sein Orchester haben wollte. 
Gemeinsam mit der Stiftung Euregio-Kulturzentrum Gustav Mahler Toblach-Dolomiten haben wir angefangen, diese Instrumente zu suchen. Auf Auktionen, auf Ebay, bei Händlern, in Antiquariaten, bei pensionierten Musikern, auf Dachböden von Kirchen und  Musikkapellen. Diese lange und faszinierende Suche hat sich gelohnt, denn wir haben eigentlich alles gefunden. Zwei Sätze Klarinetten mussten wir nachbauen lassen, sonst ist alles original aus der Zeit Mahlers. Dann haben wir diese Instrumente restaurieren lassen und sie unseren Musikern zum Üben gegeben, die begeistert von den wunderbaren, feinen Klangfarben sind! 

Mahler lebte in einer modernen und sich rasant beschleunigenden Welt und hat den Großteil seines Lebens in Metropolen wie Wien, Hamburg, Budapest und New York gewohnt.

Gleichzeitig haben wir auch, gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Clive Brown und der Universität Innsbruck versucht, die Spielweise in Wien um 1900 zu rekonstruieren. Denn es sind ja nicht nur die Instrumente, die anders waren, auch die Technik und vor allem der Geschmack haben sich seitdem stark verändert.
Am 11., 12. und 13. September werden wir in Toblach dieses Wissen in die Praxis umsetzen. Innerhalb des neu gegründeten Festival Mahler Revisited werden wir auf den alten Instrumenten – die Streicher auf Darmsaiten – die Musik Mahlers und seiner Zeitgenossen neu erarbeiten und aufführen. Heuer, coronabedingt Kammermusik, im nächsten Jahr dann mit dem ganzen Grandhôtel Orchestra auf Originalinstrumenten von 1900.

 

Wie kann man sich die Wiener Klangwelt des frühen 20. Jahrhunderts vorstellen? Wie holt man sie sich ins heute? 

Das Faszinierende an so einem Projekt ist für mich, genau das herauszufinden. 
Viele der Instrumente haben wir nun einzeln gehört und wir versuchen uns ständig vorzustellen, welche Klangfarben sie gemeinsam erzeugen werden. Es gibt natürlich auch frühe Aufnahmen, von denen man, trotz der damaligen Aufnahmetechnik, einen gewissen Eindruck davon bekommen kann, wie es damals wohl gewesen sein könnte. Aber wissen kann man es vorher mit Bestimmtheit nicht. Wenn alle Musiker, auf den alten Instrumenten spielend sich in den damaligen Musizierstil hineingelebt haben werden, dann wissen wir mehr. 

Wir wissen aus seinem Schriftverkehr, dass er bestimmte Modelle oder auch Instrumente bestimmter Firmen ablehnte.

Wie erlebte der Komponist die turbulenten geschichtlichen Ereignisse seiner Epoche? Wie nah wollen Sie Mahler mit diesem Projekt kommen?

Mahler lebte in einer modernen und sich rasant beschleunigenden Welt und hat den Großteil seines Lebens in Metropolen wie Wien, Hamburg, Budapest und New York gewohnt. Der Zeitgeist der Jahrhundertwende ist natürlich auch von großer Volatilität und einer immer stärker werdenden Endzeitstimmung geprägt. Wien veränderte sich täglich durch den gewaltigen Zuzug von Wirtschaftsimmigranten aus dem riesigen Kaiserreich und die politische Stimmung war nationalistisch aufgeheizt, fremdenfeindlich, und natürlich von antisemitischen Ressentiments vergiftet. Dem hatte die Monarchie, zumal der greise Kaiser, wenig entgegenzusetzen. 
Ein Komponist wie Mahler schildert natürlich das, was er in sich hört. Einerseits. Andererseits hat aber auch seine Umwelt großen Einfluss auf sein Schaffen. Das Schöne, das Hässliche, Glück und Unglück, die Natur, den Menschen und die Gesellschaft, das alles abzubilden und mit seiner persönlichen Vision von Glück und Sinn zu durchdringen, nichts Geringeres war Mahlers Ziel beim Komponieren. Dass Projekte wie Mahlers Symphonien, die eine Art Zustandsbestimmung seiner selbst und der Welt im Allgemeinen darstellen, von der Umgebung des Komponisten nicht zu trennen sind, ist klar. Diese Umwelt in möglichst vielen Facetten zur kennen, ist für das Verständnis von Mahler Musik also von unschätzbarem Wert! 

 

Wie stark war Mahler den damaligen Moden unterworfen. Bevorzugte er etwa beim Komponieren das eine Instrument einem anderen? 

Er ist insofern der damaligen Mode unterworfen, als dass er für riesiges Orchester schreibt. Allerdings benutzt er dieses Orchester über weite Strecken als unerschöpfliche Quelle immer neuer Klangkombinationen einiger weiter Instrumente und zeigt sich dabei als genialer Orchestrator. Deshalb hatte er natürlich auch genaue Vorstellungen davon, wie die Instrumente, für die er schrieb klingen sollten, denn davon hing ja aber, wie er sie einsetzte. Wir wissen aus seinem Schriftverkehr, dass er bestimmte Modelle oder auch Instrumente bestimmter Firmen ablehnte. Zum Beispiel hat er sich in Wien sehr für die damals noch neue und umstrittene Böhmflöte eingesetzt und hatte dabei differenzierte Ansichten darüber, aus welchem Material sie sein sollten. Auch bei den Pauken wollte er nur die der Firma Schnellar haben und es ist uns gelungen mit Hilfe von Sponsoren ein originales Paar Schnellar-Pauken, die unter Mahler in Wien benutzt wurden für Grandhôtel Orchestra anzuschaffen.
Wir wissen nicht, was er von unseren modernen Instrumenten gehalten hätte. Aber das ist letztlich auch unwichtig, denn er hätte für die heutigen Instrumente sicher anders geschrieben, als für die, die er kannte. Genau das ist eigentlich der Ausgangsgedanke unseres Projekts.

...ich lebe sehr eindeutig im Jetzt und Hier. Aber ich bin dankbar für die musikalischen Schätze, die uns überliefert sind! 

Das Cello spielte in Ihrem Leben eine wichtige Rolle. Welche Rolle spielte es bei Mahler? In der Zeit des Fin de Siècle?

Das Cello ist damals noch sehr stark im Cliche des lyrisch-romantischen Helden verhaftet. Eigentlich auch bei Mahler, der ja oft auch auf die Topoi der Romantik zurückgreift, bzw. diese zitiert, um sie dann in einen neuen Zusammenhang zu stellen.
Allerdings wird das Cello im späten 19.Jahrhundert auch zunehmend als Soloinstrument entdeckten entwickelt sich dann ab Casals rasant weiter. Also nach Mahler...

Welche historische Patina hat sich bei Mahlers Musik festgemacht? Wie befreit kann sie durch Ihr Projekt werden?

Der Stil und die Instrumente jeder Epoche sind in ständigem Wandel begriffen. Man spielt heute schon wieder anders als in den 60er und 70er Jahren. Allerdings geht der Wandel so langsam vonstatten, dass man ihn auch als teilnehmender Musiker nur aus der Distanz der Jahre bemerkt. Jede Generation wächst also mit dem Stil ihrer Jugend auf, der sie prägt und der ihr naturgemäß als der Richtige erscheint. Dementsprechend hat die Mahler-Rezeption mehrere Phasen und Evolutionen durchgemacht. Nun war es ja so, dass Mahler zwar nicht vergessen, aber bis in die 1970er Jahre doch eher eine Randerscheinung im symphonischen Repertoire darstellte. Trotz der Bemühungen einzelner Dirigenten, gab es keinen Durchbruch für Mahlers Musik und das Verbot während der Nazizeit tat ein Übriges. Erst durch Bernstein gelangte Mahler in den Mainstream. Das bedeutet aber auch, dass es keine durchgehende Aufführungstradition für Mahler gab und dass seine Musik für uns stark mit dem Musizierstil der 70er Jahre verbunden ist. 
Noch einmal zurückzugehen und zu verstehen, wie es gewesen sein könnte, daraus Inspiration und neues Verständnis zu ziehen, neue Klänge zu entdecken und die Schönheit und Zerbrechlichkeit der alten Instrumente auf die Bühne zu bringen ist eine jener seltenen Gelegenheiten, wie sie sich im Leben eines Musikers fast nie ergeben.

 

Wie authentisch kann sich eine Zeitreise für das Publikum von heute gestalten? Wieviel ist belegbare Überlieferung? Wieviel bleibt für Fantasie?

Die klangliche und stilistische Zeitreise hält sich stets extrem nah an den Fakten! Fantasie ist da erstmal gar nicht so gefragt, sondern nur Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Also: wurde Vibrato benutzt? Wieviel? An welchen Stellen? Mit welcher Amplitude? War das bei einzelnen Instrumentengruppen verschieden? Wir wissen, dass die Streicher mit vielen hörbaren Lagenwechseln, dem sogenannten Portamento, spielten. Wie machte man das genau technisch – anders als heute –, an welchen Stellen? Alle Spieler einer Streichergruppe gemeinsam, oder jeder individuell? Wir wissen, dass das Tempo damals viel mehr Fluktuation unterworfen war als heute. Wie muss man sich das vorstellen? Was waren die Kriterien? 
Und dann: Wie Laut spielen diese Instrumente? Was heißt Piano auf der alten Flöte im Verhältnis zur alten Oboe oder zu einer Geigengruppe auf Darmsaiten, also inwiefern ändert sich die ganze Balance? Was waren die Grenzen der damaligen Instrumente?
Es geht uns darum zu verstehen, wo diese Grenzen lagen, wie es sich an den diesbezüglichen Abgründen anfühlte und es geht uns vor allem um ursprüngliche Charaktere. Schon eine geringe Verschiebung der Paradigmen kann ja bei Musik, die man in- und auswendig kennt zu einer vollkommen neuen Wahrnehmung führen. So ein neuer Blickwinkel gibt einem dann die seltene Möglichkeit solche Stücke quasi noch einmal neu zu entdecken. Das gilt für Musiker wie für Publikum. Für mich ist so eine unschätzbare Gelegenheit der Schlüsselreiz beim Grandhôtel Orchestra.

Ist Mahler`s Zeit auch für Sie eine reizvolle Epoche? In der Sie – für die Musik – leben möchten?

Also, ich glaube, dass einem so ein Projekt nicht einfällt, wenn man nicht zumindest teilweise ein Nostalgiker ist...
Natürlich würde ich wahnsinnig gerne einen Abend an der Wiener Hofoper unter Mahler hören und ihn seine eigene Musik dirigieren hören und sehen! Ich würde gerne ins Burgtheater von 1900 gehen, ob uns das wohl gefallen würde?! Oder spüren, was einem ein Schiele sagt, wenn man derselben Generation wie er entstammt. Es wäre unendlich reizvoll, in diesem künstlerisch und intellektuellen unfassbar reichen Ambiente des Fin de Siècle zu existieren – theoretisch. 
Letztlich war es aber auch eine schlimme Zeit, die zu noch viel schlimmeren Zeiten geführt hat. Die große Kunst entsteht ja meist auch nicht aus Glück sondern gewissermaßen trotz des Unglücks und in Opposition zur Realität. 
Und ich lebe sehr eindeutig im Jetzt und Hier. Aber ich bin dankbar für die musikalischen Schätze, die uns überliefert sind! Mich durch sie in andere Zeiten und Menschen zu denken und dabei immer wieder mich selbst zu finden, das ist eines der großen Privilegien des Musikerlebens.

Die Konzertdaten

11.9.2020
Kulturzentrum Grandhotel Toblach
20.00

12.9.2020
Kulturzentrum Grandhotel Toblach
18.00

13.9.2020
Kulturzentrum Grandhotel Toblach
11.00

Karten für das Festival Mahler Revisited
Info: www.grandhotelorchestra.eu