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Liebe in den Kopf gestellt

Das Stück "Der Tod in Venedig" feierte am Samstag Premiere im Stadttheater Bozen. Es entführt in die Lagunenstadt und in den verliebten Kopf eines alten weis(s)en Mannes.
Der Tod in Venedig 1
Foto: VBB
  • Am Anfang stapfen die Zuschauer*innen wie zu besten Acqua alta-Zeiten über einen Hintereingang und über knarrende Holzbretter der Theaterbühne zum ersten Szenario des Thomas Mann-Stücks Der Tod in Venedig in einer frischen Inszenierung von Alexander Charim, der unter anderem 2024 das Theaterprogramm der Europäischen Kulturhauptstadt im Kurort Bad Ischl leiten wird. Ohne nasse (und kalte) Füße zu bekommen, führt der Klassiker zunächst über ein kleines "Vorspiel" mit Backstage-Atmosphäre in den großen Saal, direkt zum Kuraufenthalt von Manns Hauptprotagonisten, nach Venedig. Auf den finalen Satz „Man muss lieben um nicht krank zu werden, man wird krank, wenn man nicht lieben kann“ darf das Publikum dann rund zwei Stunden warten, aber die Zeit verstreicht – ob der ästhetischen, literarischen und musikalischen Kurzweil –, wie im Flug.

     

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  • Sheila Bluhm, Tino Hillebrand, Niklas Kohrt spielen nicht nur den Kurgast und Schriftsteller Gustav von Aschenbach als Dreigespann, sie schlüpfen auch in die Rolle des Aschenbach-Objekts der Begierde, das in Form einer kugelrunden Maske den Jünglings Tadzio überzeichnet, der zunächst mit seinem bunten Pulli dem grauen Aschenbach den Kopf verdreht. Klar, Manns liebeslüsterne Novelle ist auch pädophile Tätergeschichte und Aschenbachs lustvolle Annäherungsversuche an den Jüngling – ob am Strand oder beim Frühstück –, lässt im Theater den eigenen Atem schon mal ins Stocken geraten. Manns brillante Sprache ist es, die letztendlich gefährlich verführt und verdreht. Bühnentechnisch wurde im großen Saal ebenfalls einiges verdreht. Das Publikum sitzt auf der eigentlichen Bühne (imaginär im Wasser), während sich das Bühnenbild wellenartig aufbaut und über die eigentlichen Sitzreihen breitmacht, linkerseits als dreistöckiges Kurhaus, rechterseits als ein mit vielen schiefen Ebenen gestaltetes Strandbad. Dahinter, in luftigen Theatertsaal-Höhen, rangieren die Musiker*innen des Haydnorchesters, die die eigentliche Galerie besetzen und wie Sterne am Lido-Himmel die Musik zum leuchten bringen.

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  • Die gelungenen wie gebrochenen Kompositionen von Michael Rauter kommen nicht aus dem tiefen Graben, sondern dringen direkt ein, in die Hörkanäle der Zuschauer*innen, wie auch die von der Performerin und Sängerin Jessica Gadani wunderbar vorgetragenen Songs. So etwas möchte man hören, wenn man alleine oder in Gesellschaft durch Venedig gondelt. Doch leider leidet auch Venedig an der Verdummungskrankheit vieler touristischer Gegenden. Das wird auch im Stück mit feinen Anspielungen deutlich. Wenn es beispielsweise um die Cholera-Toten geht und der Tourismus sein rosarotes Brillen-Spiel weiterspielt und mit medialen Fake News Gäste in Gefahr bringt. Das lässt unweigerlich an lokale Heulsusen vom Schlage eines Manfred Pinzger oder an bemitleidenswerte Betreiber von Aufstiegsanlagen denken, die selbst noch nicht erkannt haben, wie schwer sie durch den Virus Tourismus tatsächlich erkrankt sind. Man kommt im Stück auch nicht umhin, sich kurz die touristischen Corona-Schleudern Ischgl, Gröden und Antholz in Erinnerung zu rufen, und mit welchen nachfolgenden Bescheuertheiten hohler Corona-Leugner*innen man sich, nur wenige Jahre nach Bergamo, immer noch herumärgern muss. 

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  • Gekonnt und mit Witz schlüpft Kabarettist und Schauspieler Lukas Lobis in verschiedenste Rollen. Und er macht das fast immer ausgezeichnet. Als "Pfleger" führt Lobis das dramaturgisch abwechslungsreich agierende Dreigespann Aschenbach durch dessen Leiden, gibt Kur(atorische)-Anweisungen und lügt in Sachen Cholera Aschenbach trocken ins schweißtreibende Gesicht. Für die Bozner Inszenierung haben sich die Theatermacher*innen auch ein Nachspiel überlegt und Worte eines Mann-fremden Textes (Mein kleines Prachttier, von Marieke Lucas Rijnevelds) in den Mund des jungen Tadzio gelegt. Das ist eine kluge und zeitgemäße Antwort auf den alten Stoff und so überzeugt Der Tod in Venedig in dieser Bühnenfassung, trotz (oder vor allem aufgrund) mehrerer (schiefer) Ebenen. 

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