Wirtschaft | Interview

Tila Mair: "Lokal soll ehrlicher sein?"

Tila Mair, die Generalsekretärin des SGB-CISL, spricht im salto.bz Interview über müde Bozner Handelsleute, Klischees über einheimische Ehrlichkeit und motivierten H&M VerkäuferInnen.

Gerhard Mumelter hat es treffend beschrieben. Das Kaufhaus Bozen scheidet die Geister. Klischees werden bedient. Hier der schlaue, gerissene Investor aus dem Nordtiroler Ausland, dort die heimische Wirtschaft, die nur gutes will. Wie sehen Sie das?
Die Frage ob das Kaufhaus Bozen von Benko oder der Gruppe um Georg Oberrauch finanziert werden soll ist mühsam. Es geht doch eigentlich um ganz etwas anders. Was wollen wir denn für den Wirtschaftsstandort Südtirol? Was wollen wir für die Landeshauptstadt Bozen die ja immer schon eine Handelsstadt war? Wie soll die Neugestaltung des Stadtteiles rund um das Bahnhofgelände aussehen? Wenn Benko von Österreich nicht mit einem Patzen Geld gekommen wäre, dann hätte diese Stadt weiterhin geschlafen. Das Interesse, die ganze Bewegung, all das ist doch, nach vielen Jahren „Dornröschenschlaf“ positiv zu sehen. Es ist zu einfach zu sagen, der will sich jetzt alles unter den Nagel reißen: ja wo waren denn die Bozner in all diesen Jahren?

Es ist zu einfach zu sagen, der will sich jetzt alles unter den Nagel reißen: ja wo waren denn die Bozner in all diesen Jahren?

René Benko hat müde Handelsleute aufgeweckt?
Auch. Obwohl die Debatte „Kaufhaus ja – Kaufhaus nein“ in Bozen schon seit geraumer Zeit läuft. Ohne je auf einen grünen Zweig zu kommen. Sowohl bei Benko als auch bei der Gruppe der Bozner Handelsleute ist der Auslöser ihr wirtschaftliches Interesse. Jeder Unternehmer handelt überwiegend im eigenen Interesse. Das gehört zur Natur der Sache. Die Frage ist natürlich wie er das macht. Spekuliert er, hinterzieht er Steuern oder ist er ein gesunder Unternehmer .

Es wurde so verkauft: René Benko, der Großinvestor mit verschlagenen Finanzgebern an seiner Seite kann doch nur unehrlich vorgehen. Die einheimische Wirtschaft hingegen wird als ehrlich und fürsorgend für die Heimat präsentiert. Eine zu einfache Schlussfolgerung?
Auf jeden Fall. Lokal soll ehrlicher sein? Da hätte ich einiges einzuwenden. Nehmen wir doch einmal die hiesigen, gesunden Speckbetriebe, die es nicht scheuen, Arbeitnehmer auszubeuten. Von den vielen Südtiroler Steuerhinterziehern wurde immer wieder berichtet. Teilweise auch Totalsteuerhinterzieher. Blicken wir doch endlich über den Tellerrand hinaus. Sicher gibt es hierzulande gesunde Unternehmen, auch sozial geprägte Arbeitgeber und es sind die Mehrzahl, aber, seien wir ehrlich: der Handels- und Dienstleistungs Verband (hds) spricht über den Schutz des Kleinhandels, aber wo findet man denn einen Schuster unter den Lauben?

Was passiert, wenn die Gruppe Oberrauch das Einkaufszentrum gestaltet. Geht es dann den ArbeiterInnen im Einkaufszentrum besser?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wer das Einkaufszentrum realisiert, finanziert das Projekt. Entscheidet dann aber nicht darüber, welche Läden im Einkaufszentrum angesiedelt werden. Der Georg Oberrauch ist zufällig selbst Kaufmann und natürlich kann er ein Salewa oder einen Sportler in das Einkaufszentrum reinbringen. Aber das war es dann auch schon. Er kann und er wird es auch tun, seine Angestellten gut behandeln. Auf alles andere hat er keinen Einfluss. Wie es den ArbeitnehmerInnen geht, in so einem Einkaufszentrum, mit welchen Verträgen sie eingestellt werden, welche Zusatzentlohnungen sie erhalten, welchen Flexibilitätsanforderungen sie ausgesetzt sind, welche Rechte wahrgenommen oder verletzt werden, ist Sache der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter .

Wer das Einkaufszentrum realisiert, finanziert das Projekt. Entscheidet dann aber nicht darüber, welche Läden im Einkaufszentrum angesiedelt werden. Der Georg Oberrauch ist zufällig selbst Kaufmann und natürlich kann er ein Salewa oder einen Sportler in das Einkaufszentrum reinbringen. Aber das war es dann auch schon.

Wie geht es denn den VerkäuferInnen in einer großen Kette? Im H&M? Schlechter als in einem traditionellen Bekleidungsgeschäft unter den Bozner Lauben?
Das kann man so überhaupt nicht sagen. Die Betriebe sind in ihrer Ausrichtung ganz unterschiedlich. Aber ob klein oder groß: alle wenden den selben nationalen Kollektivvertrag an. Der sieht für die jeweiligen Einstufungen dieselben Grundlöhne vor. Der Ausgangspunkt ist in der Regel derselbe, das sehen die Verträge vor.

Und wo liegen die Unterschiede?
Ich hab mir die Situation im H&M selber angeschaut und ich hab ein sehr jugendliches Team gesehen. Sie haben eine hohe Flexibilität in der Arbeitszeit. Sie arbeiten sehr viel, sind sehr freundlich mit den Kunden, bestens zweisprachig und sie sind zufrieden. Wie sagt man doch so schön? Wo kein Kläger da keine Schuld. Wenn es Mängel gibt, wenn es nicht stimmt dann wissen die Arbeitnehmerinnen sehr wohl wohin mit den Problemen.

Im H&M arbeiten sehr viele june Menschen. Sie sind sehr freundlich mit den Kunden und sie sind zufrieden. Wie sagt man doch so schön? Wo kein Kläger da keine Schuld.

Junge Menschen, die sich ausbeuten lassen?
Natürlich sind die Arbeitsverträge in solchen Betreiben eher befristet, aber viele Jugendliche stört das nicht. Denen kommt es entgegen für ein paar Wochen, ein paar Monate im Sommer oder eben auch flexibil zu arbeiten. Sie haben keine Familie, sind ungebunden. Es gibt einen hohen Wechsel in der Arbeitszeitausrichtung. Ich habe dort aber auch ein starkes Gruppengefühl erlebt. Ein junges Team, das ohne Hierarchien gut arbeitet. Natürlich, die Professionalität ist bei H&M kein Kriterium, angestellt zu werden. Und wenn man es so will: von der Sicherheit des Arbeitsplatzes gesehen ist eine bestimmte Prekarität gegeben. Aber den Bedürfnissen der jungen Leute kommt H&M entgegen.

Und bei der Gruppe Oberrauch zum Beispiel?
Einheimische Betriebe stellen überwiegend einheimische Kräfte an und haben oft langjährige MitarbeiterInnen. Aber ist das etwas, was die Jugendlichen anspricht? Ich bin mir da nicht so sicher. Lokalbetriebe, und dazu zählt auch die Gruppe Oberrauch, sind im deutschsprachigen Handels- und Dienstleistungssektor folgendermaßen charakterisiert: sie sind wenig gewerkschaftlich organisiert, aber die Angestellten werden relativ gut behandelt.

Lokalbetriebe, und dazu zählt auch die Gruppe Oberrauch, sind im deutschsprachigen Handels- und Dienstleistungssektor folgendermaßen charakterisiert: sie sind wenig gewerkschaftlich organisiert, aber die Angestellten werden relativ gut behandelt.

Was heißt das?
Zunächst gibt es hier unbefristete Arbeitsverträge, sicherlich ein Vorteil für viele ArbeitnehmerInnen. Und es gibt die Möglichkeit, im Berufsbild aufzusteigen. Oberrauch ist einer der Betriebe, der gerne Benefits auf Betriebsebene vergibt. Diese Benefits sind aber nicht mit Betriebsabkommen geregelt. Das ist der Nachteil. Der Unternehmer entscheidet sozusagen: Ich gebe dir, wenn du...Einen Bonus für das erste Kind zum Beispiel. Das sind interne Regelungen, die man den MitarbeiterInnen zugesteht. Aber sie sind eben einseitig und stehen auf wackeligen Beinen. Ein Betriebsabkommen gibt es in der Oberrauch-Gruppe wie in vielen anderen lokalen Unternehmen nicht, denn da würde man ja Verpflichtungen eingehen. Die Benefits stehen und fallen mit der Großzügigkeit des Arbeitgebers.

Oberrauch ist einer der Betriebe, der gerne Benefits auf Betriebsebene vergibt. Diese Benefits sind aber nicht mit Betriebsabkommen geregelt. Das ist der Nachteil.

Sie kritisieren das?
Ich stelle das fest. Und es hängt eng mit unserer lokalen Kultur zusammen. In den lokalen Unternehmen heißt es oft: „Wir sind eine Familie, wenn du etwas brauchst, dann bin ich da.“ Ein Betriebsabkommen gibt es keines. Das trifft genau auf die Einstellung vieler ArbeitnehmerInnen, die sich denken: „Warum soll ich mich gewerkschaftlich organisieren, ich bekomme ja alles.“ Das soll jetzt nicht geringschätzig klingen, aber es ist ein Fakt, dass sich einheimische Unternehmen, da von der Mentalität sehr ähnlich sind.

Einheimisch ist also nicht automatisch gut?
Nein, es ist nicht selbstverständlich gut. Denn auch ein Georg Oberrauch, der sich immer für einen freien Sonntag eingesetzt hat, muss wirtschaftlich denken. Und auf seine Kosten achten. Für mich gibt es da einen Widerspruch: Ein Betriebsinhaber kann kein guter Familienvater für seine Angestellten sein.

Für mich gibt es da einen Widerspruch: Ein Betriebsinhaber kann kein guter Familienvater für seine Angestellten sein.

Ein Widerspruch, wie der, dass der Hds nur an die eigenen Mitglieder denkt?
Das ginge auch nicht anders. Das ist er seinen Verbandsmitgliedern schuldig. Der Hds hat sich ja klar gegen das Projekt von René Benko ausgesprochen. Das hat natürlich zur Folge, dass große Ketten sich denken: Die wollen uns eh nicht, wieso sollen wir uns einem Verband anschließen, der sich gegen uns stellt? Das ist ein Nachteil für die ArbeitnehmerInnen, die SüdtirolerInnen arbeiten ja sowohl im H&M als auch bei Oberrauch. Der Hds hat sich auf die Kappe geschrieben, das lokale Unternehmertum zu verteidigen und gegen die nationalen und internationalen Grossketten vorzugehen. Ich kann das nur als kurzsichtig bezeichnen.

Der Hds hat sich auf die Kappe geschrieben, das lokale Unternehmertum zu verteidigen und gegen die nationalen und internationalen Grossketten vorzugehen. Ich kann das nur als kurzsichtig bezeichnen.

Verbände und Seilschaften werden bedient. Nicht aber ArbeitnehmerInnen?
An die Interessen der Arbeitnehmer wird zuletzt gedacht. In Kürze wird eine Studie zum Thema Vereinbarkeit zu den Best Practices in Unternehmen vorgestellt. Wir haben festgestellt, dass es in den Unternehmen auf informeller Ebene viel mehr gibt als man glauben möchte. Arbeitnehmer können ihren Arbeitspltz früher verlassen, oder später kommen. Es gibt viele Regelungen, die den ArbeiterInnen entgegenkommen. Aber es gibt wenig Vereinbartes. Ein Muss ist anscheinend etwas Verbindliches, das die Arbeitgeber nicht gerne zugestehen.

Was hat also die Gruppe Oberrauch was Benko mit seinen Investoren nicht hat?
Bei Oberrauch und den Bozner Kaufleuten spielt das Gefühl der Zugehörigkeit eine große Rolle. Auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Wir sind alle Südtiroler, doch dass wir nicht alle ehrlich und nett sind, nur weil wir Südtiroler sind, das müssten wir eigentlich längst wissen.