Zwei Meister aus Deutschland
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Zwei Jahre lang hat Wenders („Paris, Texas“, sowie „Der Himmel über Berlin“, morgen noch einmal bei einer Filmclub-Matinee zu sehen) einen der wohl wirkmächtigsten deutschen Künstler der Gegenwart nach Frankreich, Italien und Deutschland begleitet, den 1945 in Donaueschingen geborenen Anselm Kiefer. Als die letzten Bomben fielen, erblickte ein „neuer Wilder“ das Licht der Welt, der im späteren Verlauf seines Lebens für viel sozialen Sprengstoff sorgen sollte.
Jung ist Kiefer (78) nicht mehr, wir sehen in „Anselm - Das Rauschen der Zeit“ eine nicht chronologische Reihung von Szenen aus seinem Leben, erzählt in (wortwörtlich) „großen Bildern“ und aus Archiven geschöpften Berichten, Interviews und Familienfotos. Wird Chaos von rechteckigen Linien begrenzt, so wird es zum Gemälde, sinniert an einer Stelle des Films ein Kiefer mittleren Alters in einer stillgelegten Ziegelfabrik, einem der für seine fast megalomanisch großen Geschichtslandschaften notwendigen Ateliers, von welchen wir viele sehen. Horizontal werden die Räume in diesen Kieferschen Hallen mit dem Rad durchquert, vertikal mit einer Hebebühne. Allein schon durch die Dimensionen der Kunst hat der Film mit der Kinoleinwand einen Bestimmungsort gefunden. Eindrucksvoll ist dabei nicht nur die Kunst selbst, sondern auch deren Entstehung in welche wir Einblick erhalten: Mit flüssigem Blei und Flammenwerfer gehen der Maler und seine Assistenten auf Leinwände los, der selbst davon sprach, dass man nicht mehr „einfach so“ Landschaften malen könnte, durch die Panzer gefahren sind. Aber „einfach so“ scheint bei Kiefer nichts zu passieren. Alles hat seinen Grund, der eine Sache in Gang setzt oder sein Ziel, auf das es hinausläuft.
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Als wolle Wenders selbst das biographische Chaos Kiefers einfassen, benutzt auch der Regisseur immer wieder Rahmungen in seinen Kameraeinstellungen: Ein offenes Tor, Röhrenfernseher und so weiter, womit geschickt ein einschneidender Formatwechsel im Kino umgangen wird. „Anselm - Das Rauschen der Zeit“ wurde in 6k 3D aufgenommen, ein Technologiestandard welchen Regisseur Wim Wenders zuletzt 2011, für die Pina Bausch gewidmete Dokumentation „Pina“ nutzte. Im Jahr 2023 im Kinosaal hat man das Gefühl - und das sollte nicht unbedingt negativ verstanden werden - dass der nun vorliegende Film zuerst ästhetischen Ansprüchen gerecht werden soll und dann erst biographischen.
An einer lückenlosen Aufklärung zum Künstler hat Wenders dabei kein Interesse, immer gibt es Zeitsprünge, auch zurück in eine imaginierte Kindheit, die irgendwann mit der Gegenwart überkreuz kommt. Darin spielt Anton Wenders das noch auf Skizzenblöcken kritzelnde Kind Anselm, Anton wird glücklicherweise in seinem Kinodebüt nicht mit Text überfordert und darf den Part stumm geben. Im filmischen Essay Wenders ist diese Zusammenfaltung der Zeitebenen eine logische Konsequenz aus einer weiteren Aussage Kiefers in einem Archivinterview. Kiefer, der Wundschorfkratzer an zu rasch verschlossenen Geschichtswunden, welcher sich selbst zeitlebens mit dem Vorwurf des Faschismus oder Nationalsozialismus konfrontiert sieht, wüsste selbst nicht, was er gewesen wäre, wenn er bereits 30 oder 39 gelebt hätte. Diese letzte Konsequenz und das sich nicht Ausklammern aus einer von Anselm Kiefer erkundeten Kollektivschuld hält der Film aus, nicht lange jedoch. Der Film zeigt auch kurz auf, wie zwiespältig die Rezeption eines jungen, noch weniger etablierten Kiefers war, bevor ihn die amerikanische Kunstwelt - Symposien, Retrospektiven, MoMa et al. - als unerschrockenen Geschichts-Aufarbeiter adelt. In diesen Punkten interessiert sich Wim Wenders mehr für einen durch Empathie mit dem Künstler geleiteten Blickpunkt als für eine kritische Auseinandersetzung.
Etwas zu sprunghaft ist der Film zum Teil in seinen Themenwechseln, nicht immer kann man den Gedankensprüngen folgen, etwa wenn es von einem wiederkehrenden Motiv in Anselm Kiefers Kunst zum nächsten geht. Nachvollziehbar sind hingegen die heraufbeschworenen Geister von Bachmann und Celan, die als Originalstimmen zu den wenigen, klar vernehmbaren Stimmen im Film zählen, der vor atmosphärischem Flüstern nur so „rauscht“. Die Geister der Vergangenheit flüstern ausgesprochen undeutlich.
Beide, Celan und Bachmann, werden in eine gewisse geistige Verwandtschaft mit Kiefer gestellt, auch weil wir - zu oder nach ihren Worten - Werke sehen, die Kiefer ihnen gewidmet hat. Sie sind, wie könnte es anders sein, raumfüllende oder -sprengende Arbeiten, der malende Meister aus Deutschland sengt mit Flammenwerfer noch einmal das Heu auf der Leinwand an und schreibt „dein aschenes Haar Sulamith“ an den oberen Rand der Leinwand.
Ein spannendes, wenngleich nicht sonderlich informatives Porträt eines Künstlers und seines Werks, das mehr Interesse daran hat, subjektive als objektive Wahrheit einzufangen. Der Film ist eine Hommage mehr als Dokumentation, die sich in etwa so anfühlt, wie vor einem Bild Kiefers zu stehen: Man ist gebannt und überwältigt, ohne rational gänzlich begreifen zu können, weshalb.
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