Kultur | Fotografie
Menschliches statt Menschen

Foto: Léonie Hampton
Emotional und die Brennweite der Kamera betreffend, wagt sich Hampton bis zum Moment des Kontakts an ihr Sujet heran. Der erste Kontaktpunkt für den Ausstellungsbesuch dürfte dabei die Videoarbeit im Schaufenster der Galerie sein: „Our Body is a Planet“ ist eine Erfahrung mit religiösen Untertönen, in welcher sich die Künstlerin im Zuge einer Artist Residency am Centre for Medical Mycology der University of Exeter mit dem unsichtbaren, aber ständig gegenwertigem - und nicht nur pilzlichem - Mikrobiom unseres Körpers befasst. Dabei gelingt ihr das Aufzeigen eines fragilen Gleichgewichts und ein Infragestellen anthropozentrischer Denkmuster. Gleichzeitig sind die Aufnahmen eine Vorbereitung darauf, was Hampton am menschlichen Körper interessiert: In der Mehrzahl der ausgestellten Bilder mit Motiv Mensch sind es nicht Portraits im Sinne einer Abbildung von Individualität sondern (Makro-)Strukturen, Formen und Gesten, welche das Individuum übersteigen. Eine Augenbraue oder Achsel hier, eine Bauchnabel dort, ohne Ekel und mit fast naturwissenschaftlichem Blick.
Im oberen Stock ist mit den älteren Bildern der Reihe „Escape in Israel“ von 2004 die Ausrichtung im Kontrast zum Außen eher anthropologisch. Es sind brüchige, durchlässige Bilder, die Militär, orthodoxe Juden beim Müllsammeln, in schwarzem Schlamm eingehülte Menschen am toten Meer und solche beim Gebet in spannungsreiche Nähe setzt.
Im unteren Stock sind es Videoarbeiten, die eine abermals spirituell ausgeprägt und vom Wunsch eines naturverträglichen Lebens, die anderen intim und persönlich. In ersterer „Earthling“ folgt auf Bruchstücke des vom Vergessen bedrohtes Wissen der auch als bekannten Creek Muskogee-Indianer das Verbrennen fossiler Rohstoffe und ein ehemaliges Industriegebiet. Hampton erzählt von Schäden die irreversibel sind und von dem, was wir zur Heilung der Landschaft beitragen können. Die anderen beiden Arbeiten spielt sich auf zwei Bildschirmen ab und hat auch in einer Weise mit Ritualen zu tun. Hampton dokumentiert dabei, als Beobachterin von außen, welche die Regeln nicht kennt, welchen ihre Mutter unterworfen ist, deren Zwangsneurosen. Sie nimmt dabei ihre Stimme zurück, dokumentiert und sieht zu.
Im Hauptraum der Ausstellung dann eine Vielzahl von Bildern, die sich an allen vier Wänden und der Säule in der Mitte des Raumes gruppieren. In lediglich zwei Bildern sind dabei Personen zu „erkennen“, in allen anderen sind sie abwesend, der Kamera abgewannt, von Unschärfe überzeichnet oder nur in Details für die Kamera interessant. Dennoch hat man das Gefühl, dass alle Bilder voller Leben sind und miteinander im Gespräch stehen. Eine Hand aus Fleisch und Blut führt die mit der Zeit abgebrochene Geste einer Marmorstatue zu Ende, die Marmorstatue lässt den nackten Rücken einer alten Frau bei der Gartenarbeit um die Ecke als lebendes Monument erscheinen. Man hat nicht Interesse an der Nacktheit des menschlichen Körpers, abermals nur an dessen Form und Struktur, lässt die Brechung des Lichts im Wasser, den Schatten oder den Blickwinkel der abgebildeten Person die vollkommene Blöße erspart. Léonie Hampton findet einen Blick, der zwischen Abwesenheit und Anwesenheit das Menschliche spürbar macht, der weniger Interesse an trennendem Individualismus zeigt und mehr an Gemeinsamkeiten. Es ist ein Blick, dem man einen Moment lang standhalten muss, bevor sich einem erschließt, was von der recht umfangreichen Schau einem gefällt und was nicht. Kalt lassen wird sie einen kaum.
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