Kultur | Tanzfestival

Im Tanz der Emotionen

Emanuele Masi und sein Festival. Die 40. Ausgabe von Bolzano Danza Tanz Bozen wird die letzte unter seiner künstlerischen Leitung sein. Die Emotionen werden bleiben.
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Foto: Bolzano Danza Tanz Bozen
  • Bereits 2011 hat Emanuele Masi das Programm des Festivals Bolzano Danza Tanz Bozen mit Manfred Schweigkofler (damals Direktor des Stadttheaters) mitgestaltet. Es war das Jahr der Umwandlung in ein Festival 2.0 – inklusiv erweiternd. Ab 2013 hat Masi die künstlerische Leitung allein weitergeführt und wurde in Folge 2015 als künstlerischer Leiter des Festivals von der Haydn-Stiftung bestätigt. Vor kurzem dann seine Ankündigung: „Die Zeit ist gekommen. Ich habe Bolzano Danza mehr als ein Jahrzehnt lang geleitet und beschlossen, meine künstlerische Leitung in der festlichen Atmosphäre der kommenden 40. Ausgabe zu beenden.“ Eine gestern in der Stadtgalerie am Bozner Domenikanerplatz eröffnete dokumentarische Ausstellung (bis 27. Juli) über die Geschichte des internationalen Festivals des zeitgenössischen Tanzes lässt die Besucher*innen in eine Schatztruhe an Emotionen blicken. Die 40. Ausgabe des Festivals wird hingegen am 12. Juli eröffnet und dauert bis zum 27. Juli.

  • 40 Jahre Tanz Bozen: Eine Ausstellung zur Geschichte des Festivals wurde gestern in der Dominikanergalerie eröffnet. Sie bleibt bis 27. Juli zu sehen. Foto: Andrea Macchia
  • SALTO: Sie sind seit 14 Jahren an der Leitung des Festivals beteiligt. Wie viel von Emanuele Masi steckt in Bolzano Danza Tanz Bozen?

    Emanuele Masi: Man sagt von den Menschen 'Wir sind, was wir essen', ich weiß nicht, ob das auch für Festivals gilt! Tatsächlich spiegelt Bolzano Danza Tanz Bozen, so wie wir es heute kennen, viel von meiner Persönlichkeit: die Neugierde, Neues zu entdecken, die Freude am Teilen von Entscheidungen, die Faszination für die Schönheit der Bewegung, aber auch die Idee, dass eine künstlerische Sprache ein Instrument für soziales Engagement und Aktivismus sein kann.

    Sie haben dem Festival von Anfang an eine klare Richtung gegeben. Was waren und sind Ihre Leitlinien?

    In den ersten Jahren meiner Leitung habe ich versucht auf eine ganz bestimmte Dringlichkeit zu reagieren: eine Verbindung mit der Stadt zu reaktivieren, die 2010 verloren gegangen zu sein schien. So habe ich den Bereich abseits der Bühne, off-stage konzipiert, um den Tanz auf die Straße und an die unerwartetsten Orte zu bringen, wie z. B. in die Schaufenster der Geschäfte. Und ich habe Initiativen für die aktive Beteiligung des Publikums und bestimmter Gemeinschaften, wie z. B. Altersheime, ins Leben gerufen.

    Hat es funktioniert? 

    Ich würde sagen, ja. Im Nachhinein stelle ich fest, dass die künstlerische Qualität nicht immer hoch war, einige der Ideen waren vielleicht naiv, aber ich habe das Ziel einer starken Verwurzelung des Festivals erreicht. Später verlagerte sich mein künstlerischer Schwerpunkt auf die Steigerung des nationalen und internationalen Ansehens des Festivals, aber die Interaktion mit dem Territorium blieb immer bestehen.
     

    Der Tanz ist immer das Aschenputtel unter den Künsten.


    Was waren die größten Befriedigungen? Und welche Enttäuschungen - wenn überhaupt - gab es?

    Die größte Genugtuung ist, zurückzublicken und zu sehen, wie sehr das Festival an Größe und Bekanntheit gewonnen hat. Das Angebot ist dreimal so groß wie vor 20 Jahren, aber auch vielfältiger im Angebot und mit soliden Beziehungen zu Künstlern und Ensembles, die Bolzano Danza Tanz Bozen als ihre eigene Referenz betrachten. Enttäuschend ist, dass dieser Dimension und der wichtigen Unterstützung durch das Land, die Gemeinde und die historischen Sponsoren keiner angemessenen staatlichen und betrieblichen Finanzierung gegenübersteht. Der Tanz ist immer das Aschenputtel unter den Künsten.

  • Tanzende Einblicke: Schwungvolle Emotionen im Kellergeschoß der Ausstellung Foto: Andrea Macchia
  • In den vergangenen 40 Jahren hat das Festival dem Publikum und der Stadt Bozen viele Emotionen beschert. Welche Emotion und welche Erinnerung hat sich bei Ihnen am meisten festgeschrieben?

    Es sind die kleinen Dinge, die mich begeistern: vor allem die Erinnerungen der Zuschauer und Künstler. Wenn einer von ihnen mir eine Episode, einen Satz oder eine Aufführung mitteilt, die ihm im Gedächtnis geblieben ist, ist das für mich das stärkste Gefühl. Zu meinen emotionalsten Erinnerungen gehört wahrscheinlich EDEN, das 2020 als Reaktion auf die Pandemie entstandene Projekt mit einer Reihe von Aufführungen für einen einzigen Zuschauer und einen einzigen Tänzer auf der Bühne. Nach Hunderten von Einzelaufführungen, die uns wochenlang beschäftigt hatten, saßen das gesamte Festivalteam und ich zum Finale im Zuschauerraum, um gemeinsam diese Minuten großer Intensität zu genießen und die gleichen Emotionen zu haben, die wir dem Publikum bei den ersten Vorhangöffnungen vermittelt hatten.
     

    Wir wissen jedoch, dass sich Souveränität nach einer gewissen Zeit oft in Besitz verwandelt, das Gemeinwohl wird mit persönlichen Zielen verwechselt.


    Welche Erfahrungen haben Sie mit der Leitung von Bolzano Danza Tanz Bozen gemacht? Was werden Sie mitnehmen?

    Ich habe in diesen Jahren viel gelernt und nehme eine Fülle von Kompetenzen mit: Vor 15 Jahren bin ich an das Festival herangegangen, vielleicht unbewusst und naiv, weil ich keine Erfahrung hatte, aber mit Energie und Idealismus arbeiten konnte. Heute bin ich ein geschätzter Profi: Ich verdanke dem Festival die Möglichkeit zu wachsen, und ich danke dem Publikum für seine Geduld, auch wenn ich vielleicht manchmal nicht die richtige Wahl getroffen habe... 

    Worum geht es in der Ausstellung?

    Die Kuratorin Margherita Cestari hat eine Reihe von Abschnitten zusammengestellt, die vor allem erzählen, was das Festival heute ist. Neben einer "Zeitleiste", die die wichtigsten Meilensteine dieser 40 Jahre rekonstruiert, gibt es eine Auswahl von berührenden Aufnahmen des Fotografen Andrea Macchia, Plakate der letzten Ausgaben und visuelle Zeugnisse der Workshops. Wenn man schließlich die Treppe hinuntersteigt, betritt man eine Art Krypta und findet man sich buchstäblich in den emblematischsten Choreographien des Festivals wieder, die von Armin Ferraris Videos wiedergegeben werden. Wir haben einen emotionalen Ansatz dem rein dokumentarischen vorgezogen: Wir streben einen 'amarcord'-Effekt für diejenigen an, die das Ereignis hautnah miterlebt haben, aber es wird uns auch gelingen, denen, die es noch nicht erlebt haben, die integrative und festliche Atmosphäre des Festivals zu vermitteln.

  • 4 Jahrzehnte: Ein Festival im Wandel der Zeit Foto: Andrea Macchia
  • Ihre leidenschaftliche Liebe zu den herausfordernden Bergen ist bekannt. Die Entscheidung, die Leitung des Festivals, trotz viel Lob abzugeben, kann man irgendwie auf diesen Mut zurückführen? Was hat Sie dazu bewogen, die "Komfortzone" für eine noch unbekannte Zukunft zu verlassen?

    Dieser Mut, ich wüsste nicht, wie ich ihn sonst nennen sollte, entspringt einer allgemeinen und persönlichen Reflexion über Macht und Besitz, in der Kunst ebenso wie in der Politik. Die künstlerische Leitung ist eine Souveränität, auch wenn sie mit Künstlern und Co-Kuratoren geteilt wird, und diese ist mit den Aufgaben verbunden, die man zu erfüllen hat. Wir wissen jedoch, dass sich Souveränität nach einer gewissen Zeit oft in Besitz verwandelt, das Gemeinwohl wird mit persönlichen Zielen verwechselt. Außerdem ist es nicht möglich, sich für immer und ewig zu engagieren: Deshalb glaube ich, dass es bei der Verwaltung der res publica wichtig ist, die Qualität und den Pluralismus zu sichern. Vielleicht ist das etwas, was mich mein Privatleben gelehrt hat, zum Beispiel in der Beziehung zu meinen Kindern: Irgendwann muss man loslassen.

    Was würden Sie an Bolzano Danza Tanz Bozen ändern oder hinzufügen, wenn Sie weiterhin das Festival leiten würden?

    Es gibt viele Horizonte zu entdecken und das Festival hat noch viel Raum für Wachstum. Das ist das Schöne daran: Nach 40 Jahren warten immer noch große Herausforderungen auf das Festival, aber es wird nicht mehr an mir liegen, sie anzunehmen.

    Wann wird der Name Ihres Nachfolgers oder Nachfolgerin  bekannt gegeben?

    Das wird der Verwaltungsrat der Haydn Stiftung entscheiden, aber ich hoffe, dass ich in den kommenden Wochen bei meiner letzten Festivalausgabe dem oder der die Hand schütteln und den Stab übergeben kann.

  • Foto: Andrea Macchia
  • Was erwarten Sie von der neuen Leitung, welche Ratschläge würden Sie weitergeben?

    Es gilt den Tanz, d.h. vor allem die Choreographie, im Zentrum der künstlerischen Linie zu halten. Das Festival hat eine starke Position im Netzwerk der großen europäischen Tanzfestivals. Darüber hinaus muss eine regionale Tanzkette wieder aufgebaut werden, die nach der Pandemie noch nicht organisch und kohärent ist.

    Haben Sie schon eine Perspektive oder konkrete Vorschläge, was Sie in naher Zukunft machen werden?

    Vorerst werde ich noch mehr Energie in meine anderen beruflichen Aktivitäten stecken: die Leitung des Equilibrio- Festivals in Rom und die Koordinierung des Bereichs strategische Entwicklung und Innovation der Stiftung Haydn-Orchester.

    Noch eine Frage zu dieser 40. Ausgabe: Wie wird sie sein?

    Wenn ich nach einem einzigen Wort suchen muss, um es zu beschreiben, dann fällt mir nur ein leicht respektloses ein: Die 40. Ausgabe von Bolzano Danza wird ‘fichissima’ sein!

  • Hören - Sehen - Tanzen: Die Ausstellung 40 Jahre Tanz Bozen wurde von Margherita Cestari kuratiert. Foto: Andrea Macchia