Selfies im Gefängnis
Salto.bz: Sie und Erik Hable kennen sich seit Studienzeiten. Wie ist die Idee entstanden, nun Jahre später, an einer gemeinsamen Ausstellung zu arbeiten?
Werner Gasser: Nun, das liegt am Konzept der Galerie Gefängnis lecarceri selbst: ein Südtiroler Künstler lädt eine Künstlerfreundin oder einen Künstlerfreund ein, die nicht in Südtirol leben und arbeiten und man bespielt gemeinsam für 4 Wochen die Räume der Galerie.
Unsere letzte Zusammenarbeit ist auch schon einige Jahre her. Damals hat Erik das Berliner Modelabel „Lucid21“ und mich zu „silex mille incendii“ in das A9 Forum Transeuropa ins Museumsquartier in Wien eingeladen. Ich zeigte damals eine Videoarbeit und backte Kuchen.
Die Ausstellung „Stardust“ in Kaltern war also eine gute Gelegenheit uns wieder neu zu treffen und ein gemeinsames Konzept für diese Ausstellung zu erarbeiten und auszutauschen.
Eure Arbeiten haben als Ausganspunkt ein Dia. Worin unterscheiden sich die daraus entwickelten Arbeiten?
Werner Gasser: Das Dia mit diesem Schriftzug „Stardust“ des gleichnamigen Las Vegas Hotels in dem auch Liberace, ein damals sehr populärer und extrovertierter Pianist aufgetreten ist, der mit seinem weißen Flügel über das Publikum schwebte, sehen wir als Ausgangspunkt gemeinsamer Arbeiten, mit Betonung auf gemeinsam! Es ging uns also weniger darum unsere einzelnen künstlerischen Positionen aufzuzeigen, sondern vielmehr wollten wir Bilder und Ideen austauschen, diese zu gemeinsamen Installationen entwickeln und vor Ort umsetzen. Das ist nicht immer einfach, wenn beide den Anspruch haben keine Kompromisse einzugehen. Hier hat das aber wunderbar geklappt. Nur sehr sparsam und fast zurückhaltend tauchen aber auch vereinzelt eigene Arbeiten auf. So zeigt Erik im 1. Stockwerk eine Installation mit gedruckten Ornamenten und ich eine Auswahl aus der Fotoserie „Die Tante in der Tasse“.
Erik Hable: Alle gemeinsamen Arbeiten sind auch eine Reflektion über den Skulpturenbegriff und das Ausstellen an sich. In den Rauminstallationen bzw. skulpturalen Interventionen verbinden sich unseren gemeinsamen ästhetischen Vorstellungen. Wir können den Raum und neue Ansätze dafür erproben, wie uns das bei singulären Arbeiten in der Form nicht möglich gewesen wäre.
Eine Arbeit mit einem glitzernden Vorhang hat bei der Eröffnung für viele Selfie-Fotos herhalten müssen. Was war der eigentliche Ansatz dieser Arbeit?
Werner Gasser: Herhalten ist das falsche Wort. Ich fand diese Situation die an diesem Abend so spontan entstand ganz spannend: Die Installation mit diesem bronzefarbenen Vorhang hat vor allem die Jüngeren dazu animiert, mit dem eigenen Handy ein Bild von sich zu machen und sie hatten dabei offensichtlich viel Spaß! Und das ist doch gut so! Diese Bilder wären ein toller Ausgangspunkt für eine neue Serie. Manchmal entstehen gerade aus dieser nicht geplanten Spontanität heraus die besten Arbeiten. Der bronzefarbene Glitzervorhang wurde also eher zum Anlass eines neuen Prozesses, den wir als Künstler dann nicht mehr steuern müssen.
Erik Hable: Zudem ist der partizipative Aspekt extrem spannend. Wenn die Besucher*innen animiert werden sich selbst mit der Installation zu inszenieren, setzen sie sich auf sublime Weise auch gleichzeitig intensiver dem Raum, mit der Arbeit und dem gesamten Setting der Ausstellung auseinander.
Werner Gasser: Für Erik und mich ist diese Raum-trennende Intervention ein Element das ganz explizit auf die Geschichte des Hauses eingeht: auf die Gefängnissituation. Auf diese Trennlinie zwischen einem Innen und Außen. Fast schwebend steht dieser leichte und filigran wirkende, glitzernde Vorhang als raumtrennendes Element im größten Raum der Ausstellung und geht damit auch sehr verschwenderisch um. Er selbst nimmt wenig Raum ein, verhält sich wie eine semi-permeable Haut und davor und dahinter nichts als der leere Raum…
Erik hat in diesem Raum zusätzlich die Gefängnisgitter mit neonleuchtenden Kreidestiften auf den Glasscheiben nachgespurt. Orangefarbene und pinke Linien werden hier zu einem ganz einfachen und sehr reduzierten Ornament.
Was steckt hinter der Arbeit Federnballett?
Werner Gasser: Die Installation in der kleinen Zelle trägt den Titel: „ancora, ancora, ancora, ancora, ancora“. Solche Federsträuße findet man oft auf türkischen Hochzeiten. Dort schmücken sie das Buffet oder die Hochzeitstafel. Wir haben diese Arrangements 1:1 übernommen und auf sich drehende Teller gestellt.
Erik Hable: In diesem Sinn sind bzw. funktionieren die Federsträuße als eine Art ready made, selbst wenn sie das im herkömmlichen Sinn nicht sind. Eine skulpturale Intervention die sich einer ganz normalen künstlerischer Praxis durch Kontextverschiebung bedient.
Werner Gasser: Wenn nun jemand den Anspruch haben sollte, darin eine intellektuelle Aussage zu lesen, so ist jeder frei dies zu tun. Wir lassen dies aber lieber offen, auch um die Leichtigkeit die dieses Bild zu vermitteln vermag nicht zu zerstören. Es gibt Arbeiten die funktionieren und es gibt Arbeiten die funktionieren nicht. Diese funktioniert!
Wir wollten mit uns Vertrautem arbeiten, das eventuell Anlass zu Assoziationen werden könnte und mit Objekten aus der Unterhaltungs- und Partyindustrie, die zwar augenscheinlich glitzern und funkeln, gleichzeitig aber auch immer etwas sehr „billiges“ in sich vereinen. Kurzlebigkeit und Leichtigkeit trifft hier also auf historisch aufgeladenes Gemäuer. Und sie tanzen gut unsere Federn!
In einem mit Puder bedeckten Raum schreibt eine Feder bis zum Ende der Ausstellung ein Muster in den Boden. Mit welchem Ergebnis rechnen die Künstler?
Werner Gasser: Wir haben diese Feder so ausgerichtet, dass bis zum Ende der Ausstellung, also nach einem Monat eine angedeutete Kreisform im weißen Puderfeld sichtbar werden müsste. Für mich hat diese Arbeit höchstes poetisches Gewicht und lässt auch dem Zufall Raum. Der kleinste Luftstoß würde genügen und die Feder würde ihre Richtung ändern. Noch wichtiger als die über die Zeit entstehende Zeichnung ist mir die Vorstellung davon. Aber lassen wir uns einfach überraschen…
Erik Hable: Welche Spuren auch immer die Feder „zärtlich“ in das Puder streichelt, ein bestimmtes Ergebnis ist nicht beabsichtigt oder erhofft.
Eine QR-Code-Installation im Außenbereich der Galerie GefängnisLeCarceri in Kaltern führt zu dem Lied Ancora, ancora, ancora von Mina. Ein musikalischer Zeitsprung in die 1970er Jahre. Warum dieses Lied?
Erik Hable: Mehr, mehr, mehr, mehr… sowie die Steigerungen im Verlauf des Songs, steigern sich die Installationen bzw. skulpturalen Interventionen in der Ausstellung. Gleichzeitig funktioniert das Lied als emotionaler Trigger, als Erinnerungs-Fragment oder als Reminiszenz an unsere eigene Kindheit & Jugend und die der Besucher*innen.
Die gesamte Ausstellung dreht sich um Trigger / Auslöser von Erinnerung. Die gemeinsamen Arbeiten sind zwar einzelne Installationen, da wir jedem Raum einen eigenständigen Charakter verleihen wollten, sind aber als Gesamtheit auch gemeinsam mit dem Aussenraum zu sehen.