Bildung zum Discountpreis?

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Der US-amerikanische Pädagoge und ehemalige Präsident der Harvard Universität, Derek Bok, soll den Satz geprägt haben: „If you think education is expensive, try ignorance!“ Und vordergründig scheint es in der seit Monaten hochkochenden Debatte um die Entlohnung der Südtiroler Lehrerschaft, die in der Drohung, im anstehenden Schuljahr unterrichtsbegleitende Aktivitäten auszusetzen, gipfelte, tatsächlich nur um das liebe Geld zu gehen. Die Menschen im Land sind indes hin- und hergerissen zwischen „Bildung muss uns etwas wert sein, denn sie ist unsere Fahrkarte in die Zukunft!“ und „Was erlauben sich die Lehrer, den Konflikt auf dem Rücken der Kinder auszutragen?“ Schneller, als man Bildungsmisere sagen kann, waren auch zahlreiche Kritiker und Kommentatoren auf den Plan gerufen, die für die komplexe Causa Lehrerinnenbesoldung oft einfach gestrickte, plakative – um nicht zu sagen vorurteilsbehaftete – Einwände parat hatten, die sich aber meist ebenso einfach relativieren, ja sogar entkräften lassen.
Eines noch vorweg: Wir haben in Südtirols Bildungswesen – auch im internationalen Vergleich – (noch) keinen akuten Bildungsnotstand. Vieles funktioniert – vor allem dank idealistischer und kompetenter Beschäftigter sowie einer weitgehend intakten, zeitgemäßen Infrastruktur – ziemlich gut. Doch jetzt kommt das große ABER. Wir haben definitiv ein Problem, das sich – wenn nicht umgehend gegengesteuert wird – zu einer veritablen Krise und damit tausendfach verspielten Zukunftschancen auswachsen kann.
Zurück zu den Einwänden:
- Die Lehrerschaft trägt keinen Gehaltsstreit auf dem Rücken der Schüler aus – ungeachtet dessen, dass ein großer Teil ja selbst Kinder hat und wohl kaum gegen deren Interessen agieren würde. Sie wählt vielmehr das kleinere Übel, um eine Änderung zu erreichen. Dieses geringere Übel ist, mit dem Verzicht auf – wohlgemerkt nicht verpflichtende – Aktivitäten außerhalb der Schule, so viel Druck aufzubauen, dass die Politik endlich die Dringlichkeit erkennt. Das größere Übel wäre nämlich, voller Idealismus und Naivität weiterzumachen wie bisher, um in ein paar Jahren vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Dann sind es aber nicht mehr bloß ein paar Exkursionen, die ausfallen.
- Südtirols Lehrerschaft verdient mehr als jene im restlichen Italien. Das ist korrekt, doch gibt es auch hier ein aber: Zum einen liegt Südtirol, was das Lohnniveau anbelangt, im italienischen Spitzenfeld und hat mit die höchsten Lebenshaltungskosten und zum anderen ist die Landeszulage an Mehrarbeit gekoppelt. In Südtirol beinhaltet ein voller Lehrauftrag an Mittel- und Oberschulen 20 Unterrichtsstunden pro Woche, im restlichen Italien hingegen nur 18. Vor allem im Vergleich zu anderen Akademikern sowie zu Berufskollegen im benachbarten Bundesland Tirol – von der Schweiz ganz zu schweigen – ist Südtirols Lehrerschaft definitiv unterbezahlt. Und so verwundert es auch nicht, dass Südtirol zunehmend (junge) Lehrkräfte an diese Länder verliert.
- Das gängigste Argument, das gegen die Beschäftigten im Bildungsbereich und eine Aufbesserung ihrer Entlohnung vorgebracht wird, ist aber jenes der vermeintlich geringen Arbeitszeit. Eine Antwort auf die Frage, warum es dann so schwierig ist, neues, qualifiziertes pädagogisches Personal zu finden, wenn die Arbeitsbedingungen so paradiesisch sind, erhält man weit weniger oft. Eine amtliche Untersuchung darüber, wie viel Südtirols Lehrpersonen tatsächlich arbeiten, hat zuletzt der damalige Bildungslandesrat Otto Saurer 2006 in Auftrag gegeben. Ergebnis der Studie: Mit einer Jahresarbeitszeit bei Vollauftrag von durchschnittlich rund 1.650 Stunden (nur etwas mehr als ein Drittel davon entfällt auf den tatsächlichen Unterricht in den Klassen) entspricht das Pensum des Lehrpersonals in etwa jenem anderer öffentlich Bediensteter. Die Arbeitsbelastung dürfte seitdem gewiss nicht geringer geworden sein, da die Heterogenität in den Klassen, und damit auch die pädagogischen Herausforderungen, zugenommen haben.
Generell ist das Thema Lehrerarbeitszeit komplex und auch die immer wieder ins Treffen geführten reinen Zahlenvergleiche sind selten zielführend. Beispielsweise umfasst ein Vollauftrag in Österreich oder Deutschland in der Regel mehr Stunden als in Südtirol. Gleichzeitig gibt es in diesen und anderen Ländern Stundenabschläge für Fächer mit vermehrtem Vorbereitungs- und Korrekturaufwand, was in Südtirol nicht der Fall ist. Zudem wird argumentiert, dass der Schulkalender in besagten Ländern länger sei. Dabei übersieht man gerne, dass dort die Abschlussprüfungen während der Schulzeit (Ende Mai/Anfang Juni) abgehalten werden, während sie in Südtirol nach dem regulären Schulschluss stattfinden, sich meist bis Anfang Juli hineinziehen und die Lehrkräfte bis dahin im Einsatz sind.
Der gewichtigste Unterschied ist jedoch, dass es in Italien ein inklusives Schulmodell gibt, während in Deutschland und Österreich nach wie vor auch Sonderschulen betrieben werden. In inklusiven Klassen mit hoher Heterogenität der Lernenden und entsprechendem Förder- und Differenzierungsbedarf ist der Vor- und Nachbereitungsaufwand für die Lehrenden um ein Vielfaches höher als in homogeneren Klassen. Das erklärt auch, warum Betreuungsschlüssel und Klassenschülerzahl in Südtirol niedriger sind.
Penibles Stundenzählen oder gar fixe Anwesenheitszeiten mit Stechuhr sind im Bildungssektor generell nicht sinnvoll, weil es sich beim Lehrberuf um eine Projekttätigkeit mit festgelegten Zielen handelt. Wie viele Stunden zur Erreichung dieser Ziele notwendig sind, hängt von mannigfaltigen Faktoren ab, ist entsprechend schwankend und nicht standardisierbar. Aktualitätsbezug und Vor- bzw. Nachbereitungsaufwand des Faches, Klassengröße, Unterstützungsbedarf sowie Leistungsfähigkeit, Disziplin und sozialer Hintergrund der Schülerschaft (Stichwort: Brennpunktschulen) spielen eine Rolle. In keinem Jahr investiert eine Lehrperson daher exakt gleich viel Zeit.
Die Qualität der Bildungsarbeit bestimmt wie kaum etwas anderes Erfolg und Misserfolg ganzer Gesellschaften mitunter über Generationen hinweg. Wir müssen danach trachten, dass die besten, engagiertesten und kreativsten Köpfe mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten – vom Kindergarten bis zur Matura. Wenn ein kluger Kopf direkt nach Schulabschluss in der Privatwirtschaft mitunter aber mehr Einstiegsgehalt erhält, als dessen Lehrer, von dem er alles gelernt hat, nach 20 Dienstjahren verdient, ist für beide die Motivation, ihre Fähigkeiten in der Schule einzusetzen, wohl eher enden wollend.
Dabei geht es nicht um Neid. Es geht darum, wo eine Gesellschaft Prioritäten setzt und was ihr soziale Berufe, die immense gesellschaftliche Verantwortung tragen, wert sind. Unsere Kinder sind zweifelsfrei das Wertvollste, was wir haben. Warum zahlen wir dann Leuten, denen wir sie anvertrauen (wie im Übrigen auch jenen, die sich um die Alten, Kranken und Gebrechlichen kümmern), viel weniger als jenen, denen wir unser Geld anvertrauen?
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