Vieles wäre kaum zu stemmen
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„Es ist wichtig, dass unser politisches Handeln und unsere gesellschaftliche Wahrnehmung auf Daten, Zahlen und Fakten basiert”, so die Grußworte von Soziallandesrätin Rosmarie Pamer. Und die Daten, die mit dem „Dossier Statistico Immigrazione 2025“ des Studien- und Forschungszentrums IDOS in Bozen vorgestellt wurden, sprechen eine klare Sprache: Die zentralen Erkenntnisse der Migrationsentwicklung des Jahres 2024: Alljährlich steigt weltweit die Anzahl geflüchteter Menschen, Migration ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für unser Land, sie stabilisiert unseren Arbeitsmarkt und ist hauptsächlich jung und weiblich. Präsentiert wurde die Studie von Matthias Oberbacher und Fernando Biague, Referenten der IDOS-Südtirol-Sektion, sowie durch Barbara Bogoni, Koordinatorin der Koordinierungsstelle für Integration.
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(c) Dossier statistico immigrazione - Idos
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Blick über den Tellerrand
Während das Pro-Kopf-Einkommen im globalen Norden im Schnitt bei 62.800 Dollar liegt, verdienen Menschen im globalen Süden durchschnittlich 15.800 Dollar. 2,3 Milliarden Menschen leiden Hunger oder haben keinen regelmäßigen Zugang zu Nahrung. Seit den 1950er Jahren sah die Welt nicht mehr so viele Kriege wie heute, und auch die Klimakrise bedroht zunehmend Existenzen.
Das Ergebnis: 123,2 Millionen Menschen waren 2024 gezwungen, ihre Heimat zu verlassen – ein historischer Höchststand, der beinahe jährlich überboten wird (2023 waren es noch 117,3 Millionen), wie IDOS im Bericht festhält. Rund 304 Millionen Menschen leben bereits länger als ein Jahr in einem Land außerhalb ihres Herkunftslandes – doppelt so viele wie noch vor 30 Jahren.
Davon sind über 5,4 Millionen in Italien. Das sind fast 170.000 mehr als 2023. Die meisten Menschen in Italien mit ausländischer Staatsbürgerschaft kommen aus Rumänien, Albanien und Marokko, gefolgt von China und der Ukraine. Knapp 50.000 Kinder ausländischer Eltern, wurden im letzten Jahr in Italien geboren, was rund 13 Prozent der gesamten Geburten ausmacht. 31.478 Menschen starben zwischen 2014 und 2024 bei Überfahrten im Mittelmeer – davon rund 2.600 im letzten Jahr.
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Zugewanderte als Wirtschaftsfaktor
„Das Vorurteil, dass Ausländer den Italienern auf der Brieftasche liegen, kann mit den Daten widerlegt werden“, so Fernando Biague, Experte für Migrationsphänomene und Mitbegründer des Zentrums für interkulturelle Forschung und Bildung in Brixen. Die Zahl der erwerbstätigen Migrantinnen und Migranten zwischen 15 und 64 Jahren (62,3 Prozent) steigt im Jahr 2024 weiter an und gleicht sich der Erwerbstätigenquote der Italiener und Italienerinnen an (62,2 Prozent). Im letzten Jahr wuchs die Anzahl berufstätiger Personen auf 2,5 Millionen – mehr als zehn Prozent der Erwerbstätigen in Italien. Auch die Zahl der von Zugewanderten geführten Betriebe stieg auf über 660.000 zu.
Dennoch bleiben deutliche Ungleichheiten bestehen: Die wenigsten sind in höherqualifizierten oder leitenden Positionen beschäftigt und das Durchschnittseinkommen liegt mit etwa 17.000 Euro im Jahr rund 30 Prozent unter dem der Italienerinnen und Italiener.
Biague erklärt, dass Zugewanderte jährlich rund 39 Milliarden Euro an Steuern und Sozialabgaben leisten, während mit ihnen verbundene öffentliche Ausgaben – etwa für Sozialleistungen und Integration – bei etwa 34 Milliarden Euro liegen. „Das ergibt für den Staat Italien einen Saldo-Betrag von 4,6 Milliarden Euro zugunsten des Staates Italien. In den vergangenen sieben Jahren bedeutet dies einen Nettogewinn für den Staat von rund 21,1 Milliarden Euro“, betont Biague.
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Perspektive Südtirol
Matthias Oberbacher von der Beobachtungsstelle für Integration erklärt die Situation in Südtirol. Hier leben derzeit 57.857 ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Im Vergleich zum Vorjahr 2023 ist das ein Anstieg von 3,5 Prozent, womit der Bevölkerungsanteil mit ausländischer Staatsbürgerschaft 10,7 Prozent beträgt – der italienische Durchschnitt liegt bei 9,2 Prozent. „Wir sehen eine junge und dynamische Bevölkerung, die gerne arbeitet und Kinder plant“, erklärt Oberbacher: Während 22,7 Prozent der Einheimischen über 64 Jahre alt sind, sind dies unter den Zugewanderten lediglich 6,9 Prozent. Es sind sogar über 65 Prozent der neuen Mitbürgerinnen und -bürger jünger als 45 Jahre. 51,3 Prozent sind Frauen und die Geburtenrate liegt bei rund 1,7 Prozent.
„Ohne diese zehn Prozent an Arbeitskräften wäre vieles im Land kaum aufrechtzuerhalten“
Anders als in Italien sind hierzulande Albanien (12,4 Prozent), Deutschland (8,4 Prozent) und Pakistan (7,2 Prozent) die häufigsten Herkunftsländer. Rumänien (7 Prozent) und Marokko (6,1 Prozent) belegen Platz vier und fünf. 2024 erhielten rund 2.000 Personen in Südtirol die italienische Staatsbürgerschaft. „Die meisten neuen Anträge betreffen Familienzusammenführungen“, so Oberbacher. Im Schuljahr 2024/25 liegt der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund bei 12 bis 13 Prozent.
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Mehrwert für den Arbeitsmarkt
In der Region Trentino-Südtirol stellen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft rund 9,8 Prozent der gesamten Arbeitskräfte – fast 45 Prozent davon sind Frauen. Ihre Erwerbsquote liegt mit 70,6 Prozent etwas unter jener der Einheimischen (74,9 Prozent). Deutlich höher ist hingegen die Arbeitslosenquote, die bei 4,9 Prozent liegt – mehr als doppelt so hoch wie bei Einheimischen (2 Prozent) und betroffen sind vor allem Frauen. Die größten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt stammen aus Rumänien (4.262 Personen), Albanien (3.630) und Pakistan (2.638).
Auch im Bereich des Unternehmertums zeigt sich die starke Präsenz von Zugewanderten, erklärt Oberbacher: In Trentino-Südtirol sind 5.528 Unternehmen im Besitz von Zuwanderern, ein Zuwachs von 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 22 Prozent davon werden von Frauen geführt. Der Schwerpunkt liegt im Dienstleistungssektor (59 Prozent), gefolgt von Gastronomie (16 Prozent), Handel (15 Prozent), Industrie (30 Prozent) und der Landwirtschaft (4 Prozent). „Ohne diese zehn Prozent an Arbeitskräften wäre vieles im Land kaum aufrechtzuerhalten“, betont Oberbacher.
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Fingerzeig für die Politik
In Hinblick auf die Sicherheitsstudie, die in der letzten Woche im Beisein der Sicherheitslandesrätin Ulli Mair vorgestellt wurde, erklärt Soziallandesrätin Pamer: „Die Ängste und Befürchtungen der Menschen müssen ernst genommen werden. Gleichzeitig zeigt die Studie jedoch auch, dass acht Prozent der Befragten finden, dass Integration in Südtirol gut gelingt“, und da wolle die Soziallandesrätin ansetzen.
„Je weniger wir imstande sind, erfolgreiche Integrationsarbeit zu leisten, desto mehr kosten uns dann die Folgeprobleme“
Die aktuellen Daten würden ein differenziertes Bild von Migration zeigen: Viele Zugewanderte leben seit Generationen hier, mehr als die Hälfte sind Frauen. Ihr Potenzial werde jedoch oft übersehen, bedauert Pamer. Daher soll der Fokus zukünftig stärker auf Sprachförderung und Arbeitsmarktintegration von Frauen liegen – etwa auch mit neuen Konzepten geschützter Arbeitsräume. Auch die Qualifikationsanerkennung sei ein wichtiger Punkt: „Wir haben eine hohe Wirtschaftskraft, müssen aber daran arbeiten noch mehr Menschen in Beschäftigungsverhältnisse zu bringen", erklärt Pamer und weist dabei konkret auf den Pflegebereich hin.
Erfolgreiche Projekte in Kindergärten, Schulen und Vereinen hier in Südtirol würden laut Pamer belegen, dass frühe und gemeinschaftliche Integration funktioniert. Auch über das Vereinswesen sei erfolgreiche Integration sehr gut möglich, so Pamer. „Je weniger wir imstande sind, erfolgreiche Integrationsarbeit zu leisten, desto mehr kosten uns dann die Folgeprobleme“, betont die Soziallandesrätin.
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