Politik | Frankreich Wahl 2017
Marine Le Pen Presidente?
Foto: upi
Noch im Herbst prognostizierten einige der zehn wichtigsten französischen Meinungsforschungsinstitute für Marine Le Pen bis zu 30 Prozent der Wählerstimmen im ersten Durchgang der Präsidentenwahl am 23. April, die übrigen 5-6 Prozent weniger. Seitdem haben die Konservativen und die Linke ihre Kandidaten bestimmt und der Wahlkampf ist in Schwung gekommen. Ein chaotisch-überraschender, in Frankreich so nie dagewesener Wahlkampf. Der Höhenflug der nationalen Frontfrau scheint jedenfalls in den letzten drei Monaten einen deutlichen Dämpfer abbekommen zu haben. Acht der zehn Institute sagen ihr jetzt zwischen 23 und 25 Prozent voraus, zwei Ergebnisse liegen etwas höher.
Dass die Chefin des Front National am 7. Mai in die Stichwahl kommt, bezweifelt niemand. Aber wer wird ihr Gegner sein?
Dass die Chefin des Front National am 7. Mai in die Stichwahl kommt, bezweifelt niemand. Aber wer wird ihr Gegner sein?
Die Konservativen – eine desaströse Bruchlandung
Bei den primaires, den Vorwahlen der Les Républicains gingen drei Schwergewichte der Konservativen, die sich in Frankreich selbst stolz la droite, die Rechte nennen, ins Rennen. Nicolas Sarkozy träumte seit langem von einer Revanche für die Niederlage gegen den Sozialisten Francois Hollande am Ende seiner ersten Amtszeit als Präsident vor fünf Jahren. Zur Überraschung vieler wurde Sarkozy schon im ersten Durchgang der Vorwahlen mit nur einem Viertel der Teilnehmerstimmen schmachvoll abserviert. Seine allzu offene Anbiederung an den Front National und seine Gerichtsverfahren wegen illegaler Parteienfinanzierung waren dann doch zu viel.
Der zweite große Verlierer war Alain Juppé. Der Bürgermeister von Bordeaux und ehemalige Premierminister unter Jacques Chriac galt als bester Kandidat für die Einheit der Konservativen, weil gemäßigt, proeuropäisch und seriös. Doch im zweiten Durchgang wurde er vom dritten im Bunde und Außenseiter, Francois Fillon, haushoch geschlagen. Ein spektakulärer Rechtsruck. Wirtschaftlich und sozial steht der ehemalige Premierminister Sarkozys in der Tradition von Ronald Reagan und vor allem Margaret Thatcher: Steuern für Unternehmen runter, die 35-Stunden-Woche im öffentlichen Bereich wieder auf 39 heben und in der Privatwirtschaft aufweichen, Gewerkschaften schwächen, fünfhunderttausend Beamtenstellen streichen, die Nuklearindustrie beibehalten. Stramm rechts gibt sich der streng katholische Fillon auch bei Migration und Asyl: Ende der allgemeinen medizinischen Versorgung für Flüchtlinge, noch niedrigere Obergrenze als de facto ohnehin schon, hartes Durchgreifen bei den Abschiebungen. Die EU möchte Fillon zwar stärken und in Brüssel sogar eine autonome europäische Zentralregierung installieren, zugleich fordert er aber ein Ende der Sanktionen gegen Russland und ein Recht Frankreichs auf eigene, bilaterale Handelsverträge, z.B. mit Putin. Ein „Europa der (souveränen) Nationen“ eben, wie es der mythische General de Gaulle wollte, aber – mit anderen Inhalten – auch Marine Le Pen fordert.
Fillons Penelopegate
Schon kurz nach seiner Kür zum Kandidaten der Rechten segelte der tiefschwarze Hardliner mit mehr als 30 Prozent in den Umfragen an der rechtsextrem Marine vorbei, galt als unumstrittener Gegner Le Pens im zweiten Wahlgang und fast ebenso unumstrittener Sieger, also nächster Präsident Frankreichs. Doch da sorgten die Enthüllungen des für seinen investigativen Journalismus legendären satirischen Wochenblattes „Canard enchainé“ (gegründet 1915) für ein regelrechtes Polit-Erdbeben.
Seither laufen gerichtliche Ermittlungen gegen den Schlossbesitzer und seine Frau Penelope. Fillon hatte während seiner Zeit als Parlamentarier die Gattin über mehrere Jahre als Assistentin bezahlt, insgesamt 800.000.-€. Zu dumm, dass Penelope im Parlament nie zu sehen war und selbst wiederholt in Interviews angegeben hat, nicht zu arbeiten und nie die Assistentin ihres Mannes gewesen zu sein. Fillon spricht von politischer Verschwörung und weigert sich, von seiner Kandidatur zurückzutreten. In den Umfragen hat er ein Drittel der Werte eingebüßt, eine Chance auf die Stichwahl gegen Marine Le Pen scheint eher ausgeschlossen, die Konservativen stehen praktisch ohne aussichtsreichen Kandidaten da.
Die Linke – Spaltpilz und Chaos
Mit einem dezidiert sozialdemokratischem Reformprogramm, dem Versprechen, für Arbeit, soziale Gerechtigkeit und das Ende des von Schäuble und Merkel diktierten strikten Sparkurses zu sorgen, war Francois Hollande vor fünf Jahren als Hoffnungsträger Präsident geworden. Die Bilanz ist ernüchternd. Vor Merkel ist Hollande in kürzester Zeit eingeknickt, die Wirtschaft tritt auf der Stelle, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, ebenso die Anzahl der prekären Jobs. Die letzten Versuche, durch eine neoliberale Arbeitsrechtsreform seines persönlich berufenen Ministers Emmanuel Macron (jetzt selbst Kandidat) das Ruder herumzureißen, hat monatelang zu Protesten und Demonstrationen geführt. Und dann natürlich die blutige Serie von Terroranschlägen. Obwohl Hollande gerade diese Krise einigermaßen souverän meistern konnte, hat sie das Land verändert, die Menschen verunsichert, die Skepsis und Ablehnung gegenüber Flüchtlingen, Migranten und ihren schon in Frankreich geborenen Kindern verstärkt, die Beliebtheitswerte Hollandes sanken in ein Dauertief. Also entschloss er sich – wenn auch widerwillig und spät – für das einzig Richtige, nämlich kein zweites Mal für die Präsidentschaft zu kandidieren, ein Novum in der Fünften Republik. Und wieder sorgten die Vorwahlen, diesmal der Linken, für Paukenschläge und Überraschungen. Angetreten waren ganze acht Kandidaten. Aber der natürliche Favorit, der eher dem rechten Parteiflügel zugerechnete Premierminister Hollandes, Manuel Valls, scheiterte kläglich. Stattdessen hoben die Sozialisten den linken Benoit Hamon auf den Schild. Hamon hatte als ehemaliger Bildungsminister Hollandes Kurs kritisiert und die Regierung verlassen. Jetzt tritt er für ein bedingungsloses Grundeinkommen, für höhere Besteuerung von Superprofiten und mehr Sozialleistungen für Familien ein.
Die Mehrheit der Parteibasis sehnte sich nach den Hollande-Jahren offenbar nach einer Rückkehr zu echt sozialdemokratischer Politik – nur der „Schulz-Effekt“ à la francaise blieb aus. Das liegt sicher an der Person, aber auch daran, dass neben Hamon zwei Vertreter der trotzkistischen Linken und der redegewandte und seit Jahren erfahrene Volkstribun Jean-Luc Mélonchon für die Linkspartei und die Kommunisten sowie das liberale Mitte-Links-Wunderkind der französischen Politik Emmanuel Macron antreten. Laut Umfragen kommen sämtliche linken Kandidaten gemeinsam auf rund 50 Prozent der Stimmen. Aber Aussicht auf die Stichwahl hat lediglich einer, Macron.
Emmanuel Macron – das Wunderkind
In Frankreich und international bekannt wurde der 39-jährige und gut aussehende Macron nicht durch die Bekanntgabe seiner Kandidatur, sondern durch seine 24 Jahre ältere Ehefrau Brigitte. Eine romantische und durchaus ungewöhnliche story. Jahrelang hatte Macron um seine ex-Lehrerin gekämpft, bis die Mutter dreier erwachsener Töchter vor zehn Jahren ihren ersten Mann für ihn verlassen hat. Jetzt ist sie auch seine engste Ratgeberin.
Gar nicht ungewöhnlich, sondern klassisch ist der Werdegang des als „Wunderkind der Politik“ gepriesenen Lieblings der Medien Emmanuel Macron. Sohn eines Ärztepaares, Jesuiten-Privatschule, Elitegymnasium in Paris und dann – wie die große Mehrheit der französischen Politiker – die extrem selektive und elitäre Kaderschmiede ENA, die alle Türen öffnet. Macron kletterte schnell auf einen Direktorenposten im Finanzministerium und wechselte dann als Investmentbanker zu Rothschild, wo er mit Anfang 30 vom Angestellten zum Partner avancierte.
Dann kam der Schritt in die Politik. Der soeben gewählte Präsident Hollande holte ihn als Berater, beförderte ihn zum Generalsekretär des Präsidialamtes und schließlich zum Wirtschaftsminister. Proteste gegen seine liberale Arbeitsmarktreform, Rivalitätskämpfe mit Premier Valls und Spannungen mit Hollande führten zum Bruch. Macron gründete seine eigene politische Bewegung „En Marche!“ („In Bewegung!“), verließ die Regierung und kündigte im Herbst seine Kandidatur als Unabhängiger zur Präsidentschaftswahl an.
Dann kam der Schritt in die Politik. Der soeben gewählte Präsident Hollande holte ihn als Berater, beförderte ihn zum Generalsekretär des Präsidialamtes und schließlich zum Wirtschaftsminister. Proteste gegen seine liberale Arbeitsmarktreform, Rivalitätskämpfe mit Premier Valls und Spannungen mit Hollande führten zum Bruch. Macron gründete seine eigene politische Bewegung „En Marche!“ („In Bewegung!“), verließ die Regierung und kündigte im Herbst seine Kandidatur als Unabhängiger zur Präsidentschaftswahl an.
Nicht links, nicht rechts – vorwärts!
Nach den überraschenden Siegen der Außenseiter bei den Vorwahlen der traditionellen Parteien, der zentrifugalen Zersplitterung der Linken und den Korruptionserdbeben (Fillon) präsentiert sich Macron als der Mann der Stunde: jung, neu, erfolgreich, selbstbewusst und optimistisch. Er ist der einzige Kandidat, bei dessen Wahlkampfveranstaltungen neben der Trikolore auch die blauen EU-Fahnen geschwenkt werden und er wird nicht müde, die Vorteile der Union zu preisen: 70 Jahre Frieden und Wohlstand, offene Grenzen, kultureller Austausch und dominante Wirtschaftsmacht der Welt, fast gleichauf mit den USA. Das Funktionieren der EU müsse verbessert, der grassierende Rückfall in den Nationalismus bekämpft werden, lautet sein Mantra.
Wirtschaft und Soziales will Macron tiefgreifend reformieren, unternehmens-freundlich, aber sozial abgefedert. Senkung der Körperschaftssteuer auf 25 Prozent, weniger Sozialabgaben für Unternehmen, Abschaffung der Wohnungssteuer, aber Bekämpfung der Steuerhinterziehung, mehr Lehrer, mehr Autonomie für Schulen und Universitäten, Erasmus für alle, Digitalisierung vorantreiben, Bio-Produkte und Ökologie fördern, aber auch Liberalisierung und längere Öffnungszeiten im Dienstleistungssektor. Überraschend dabei: 40 Prozent der Programmpunkte Macrons sind so gut wie deckungsgleich mit dem Programm, mit dem Francois Hollande 2012 zum Präsidenten wurde. Kein Wunder, Macron gehörte damals schon zu dessen Beraterkreis.
Das könnte jedoch auch zum Handicap für den Mitte-Links-Liberalen werden. Seine Gegner bezeichnen ihn jetzt schon als „rosa Abziehbild Hollandes“. Ebenso zwiespältig sind die in den letzten Wochen erfolgten öffentlichen Unterstützungserklärungen Dutzender prominenter Politiker der Konservativen, der Zentristen und der Sozialisten, sowie zahlreicher Wirtschaftskapitäne. Macron bedankte sich höflich, betonte aber unmittelbar, dass er auf neue Gesichter setzen wird. So soll die Hälfte seiner Kandidaten für die gleich nach der Präsidentschaftswahl stattfindenden Parlamentswahlen aus neuen, nicht arrivierten Leuten bestehen – ein Schuss Grillo sozusagen.
Das Leid mit den Umfragen
Für den 1. Wahldurchgang prognostizieren die Umfragen, dass Le Pen und Macron mit einem Ergebnis zwischen 24 und 26 Prozent in die Stichwahl kommen werden. Im 2. Wahlgang würde dann Macron Le Pen mit ca. 60 zu 40 Prozent schlagen. Soweit derzeit. Die übervorsichtig gewordenen Umfrageexperten- und Institute, dass diese Prognosen noch erhebliche Ungewissheiten beinhalten.
Ein Hauptgrund: ein Drittel der Befragten ist noch unentschieden, für wen sie stimmen werden. Zweitens: wie groß werden die Wahlbeteiligung und die Zahl der Nichtwähler sein? Drittens: wie viele konservative Wähler werden für den noch sehr jungen ehemaligen, zwar parteiunabhängigen, aber doch Sozialisten-Minister zur Urne schreiten? Und wie viele von ihnen könnten in Ermangelung eines eigenen Kandidaten für Le Pen stimmen? Das gilt, viertens, natürlich spiegelbildlich für die Anhänger der Linken, die Macron nicht zu Unrecht einen wirtschaftsneoliberalen Kurs á la Tony Blair oder Gerhard Schröder vorwerfen.
Fazit
Marine Le Pen und ihr Front National werden bei diesen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sicher das beste Ergebnis ihrer Geschichte einfahren. Die traditionellen Parteien, Republikaner und Sozialisten, befinden sich in einer schweren Existenzkrise. Doch dass sich eine Mehrheit der Franzosen und Französinnen für eine Marine Presidente entscheiden halte ich persönlich für ausgeschlossen. Zu sehr sind sie durch das Mehrheitswahlrecht daran gewöhnt, im zweiten Durchgang für den Kandidaten des kleineren Übels zu stimmen, wenn auch mit kräftig zugehaltener Nase.
Der Bozner Journalist Lorenz Gallmetzer abeitete von 1981 bis 2011 für den Österreichischen Rundfunk (ORF), unter anderem war er viele Jahre als Auslandskorrespondent in Paris und Washington tätig. Gallmetzer wird für Salto.bz die Präsidentenwahl in Frankreich mit mehreren Beiträgen begleiten. Im vergangenen Jahre landet der in Wien wohnhafte Gallmetzer mit dem Buch „Süchtig - Vom Alkohol bis Glückspiel Abhängige erzählen“ einen Bestseller.
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