Kultur | Salto Afternoon
Mit Rücksicht auf Verluste
Foto: Tiberio Sorvillo
„The Scorched Earthly“ ist der Titel des ersten Addendums zur Etappenausstellung „Die Fliege is a fly in volo“, welche von einer internationalen - gemeint ist diesmal nicht, dass ein Mitglied hinterm Brenner wohnt - Gruppe von Künstler:innen verschiedener Positionen gemeinschaftlich ausgearbeitet wird. Das Programm zur Einleitung des zweiten Kapitels war dabei ebenso bunt wie dicht: Ab 17.30 Uhr war es ein ca. vierstündiger Kunstmarathon, der einen performativen Spaziergang/stummen Protest, ein Sit-In mit Sound-Installation, eine zeitgeschichtliche Einordnung künstlerischer Positionen Myanmars und der Protestbewegungen, sowie zwei sehr unterschiedliche Performances umfasste. Der Reihe nach.
Irritation von Stadtbewohnern und Touristen
Eine sehr leise, intensive Provokation war der Auftakt des Kunstabends. Unter dem Titel „The Missing Forest“ bahnte sich ein kurzer, performativer Spaziergang in achtsamer Langsamkeit seinen Weg von den Talferwiesen zur Ar/Ge Kunst in der Museumsstraße. Dabei geschahen zweierlei Dinge, das erste mit jenen, die sich der Gruppe von Designstudenten, welche den harten Kern der Gruppe bildeten, anschlossen, das zweite mit Passanten, welche ohne Erklärung mit den Gesten des stummen Marsches konfrontiert wurden. Der Tross hielt unterwegs immer wieder für eine geschätzte halbe Minute in einer Geste inne, welche man direkt aus zwei Protestbewegungen entlehnte: Man schlug einen Bogen von der indischen Chipko-Bewegung der 70er Jahre zum Protest „In Defence of the Native Forest“, 2017 in Córdoba, Argentinien. Entlehnt wurden kraftvolle Bewegungen, wie eine angedeutete Umarmung, erhobene Hände oder ein gemeinschaftlicher Schulterschluss, etwa.
Von außen betrachtet fehlten für diese, wie angewurzelt stehenbleibenden Menschenbäume der Kontext, beziehungsweise, um in der Metapher zu bleiben, der Wald. Mit erhobenen Händen bekam ich in der Museumsstraße ein High-Five verpasst und fühlte mich für einen sehr kurzen Moment leicht lächerlich. Vergleichbar mit dem, was Demonstranten andernorts droht ist das nicht. Beim Aushalten der Dauern und dem Ignorieren spöttischer Kommentare von Passanten kam man zu sich, fühlte ein gemeinschaftliches Element um sich herum und machte sich das eigene Privileg bewusst. Die Performance endete mit der stärksten, intensiven Geste: Eine Menschenkette vom Eingang der Ar/Ge Kunst bis in deren Innenhof verband sich, indem man die Arme auf die Schultern des oder der jeweils nächsten legte, zu einer langen Umarmung.
Stiller Protest und übertönte Geschichten
Das folgende Sit-In war ein Protest im Raum der Galerie. Wenngleich diese ja auch eine öffentliche ist, war hier der Gestus der Sitzdemonstration gänzlich der Funktion entledigt. Zur bestehenden Sound-Installation aus Plastikröhren des ersten Teils gesellten sich Erzählungen und Aufnahmen von Gesängen indigener Völker, welche vor allem einen Zweck erfüllten, der später wiederkehren sollte: Die mündliche Weitergabe von Wissen und Geschichten.
Zu zwei Sound-Schichten kam eine dritte, jene von Kuratorin Zasha Colah, welche in die Rolle einer Geschichtenerzählerin vor Ort schlüpfte. Ihr leises Englisch, bedingte - wir erinnern, am Boden sitzend - ein Zuhören aus kürzester Distanz, aber auch eine Fragmentierung des Erzählten, da man notgedrungen nur die Hälfte verstand. Es ging in der Hauptsache um koloniales Handeln und um Taktiken der verbrannten Erde, welche gegen inidigene Bevölkerungsgruppen oder Minderheiten zum Einsatz kommen.
Aber auch um den Protest der Hinterbliebenen von Opfern ging es: Ein dreigeteilter Stoffschal (entworfen von Zamthingla Ruivah, zu sehen im Titelbild) erinnert als zentrales Element im ersten Raum, in verklausulierter Form an zwei Opfer kolonialer Gewalt, das Design wird von der Kuratorin erklärt: Zusammengefügte Sound-Files etwa wurden als Profil in den Stoff eingewoben. Ferne Stimmen werden gegenständlich und manifest. Am besten ist es, sich vor Ort mit diesen Geschichten zu befassen, weshalb ich hier vage bleibe. Der mittlere Schal ist ein Symbol der Freundschaft, verwebt zwei Schicksale posthum, welche zu Lebzeiten einander nicht kannten.
Myanmar im Kontext
Einen kurzen geschichtlichen Abriss zur konfliktreichen Geschichte Myanmars gab Franz Xaver Augustin, welcher während der zehn Jahre einer annähernden demokratischen Öffnung Myanmars (2011-21) für die Jahre ’14 bis '19 das Goethe-Institut in Yangon leitete. In einer Kolonialvilla von 1910, welche ab 1945 Aung San als Residenz und Büro diente, in welchem auf die Unabhängigkeit Birmas hingearbeitet wurde, die er jedoch nicht mehr erleben sollte. 1947, ein Jahr vor der Unabhängigkeit, wurde Aung San ermordet. Bis heute hat das Goethe-Institut dabei nicht nur in der lokalen Kulturwelt eine Sonderstellung, da in seiner Bibliothek ein freier Zugang zum Internet möglich ist. Die Geschichte des Landes war in Folge, trotz großem Reichtum an Bodenschätzen, vor allem durch Bürgerkriegskonflikte zwischen der Mehrheits-Ethnie der Bamar mit den zahlreichen Minderheiten im Land geprägt.
Durch die wechselreiche Geschichte des 20. Jahrhunderts herauf kam man mit Schlaglicht auf die religiöse, sprachliche und ethnische Vielfalt des Landes ins 21., in welchem Augustin in den zehn Jahren der Öffnung für demokratische Werte die „wohl glücklichste Zeit des Landes“ erkannte. Rosarote Brille hatte er auch in diesen Jahren keine auf und sparte nicht mit Kritik an der, spätestens seit ihrer Rechtfertigung der Massaker und Vertreibung der mehrheitlich muslimischen Bevölkerungsgruppe der Rohingya vor der UN, auch international ambivalent gesehenen Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, wie auch an deren Darstellung in westlichen Medien.
Augustin schloss seine Ausführungen mit einer kurzen Kontextualisierung zweier Künstler, mittels im Goethe-Institut organisierter Ausstellungen. Zuerst Htein Lin, der sechseinhalb Jahre seines Lebens politischer Gefangener war und in dieser Zeit Werke auf dem Stoff von Häftlingsuniformen realisierte, welche ausgestellt sind. Auch eine Vorstellung mit seinem Langzeitprojekt „A Show of Hands“ (Wortspiel, welches auf das Aufzeigen im Unterricht verweist, Anm. d. Red.) von 2013. In diesem, aus zahllosen Gipsabdrücken von gemeinsam mit Htein Lin inhaftierten Gefangenen sowie anderer politischer Häftlinge, sah Augustin das bislang größte Werk des Künstlers: „Es sind offene Hände, auch wenn sie allen Grund hätten, zur Faust geballt zu sein. Die Geste steht für einen Dialog.“ Htein Lins Aufarbeitung seiner traumatischen Erfahrung ist dabei nicht anklagend, sondern persönlich und direkt, etwa wenn es um Foltererfahrung mit Elektroschocks geht.
In das Werk der am Abend, gemeinsam mit Ko Latt aktiven Performance-Künstlerin im Exil, Yadanar Win führte Augustin mit Augenmerk auf die Proteste von 2021 ein. Yadanar Win war aktiv und künstlerisch an diesen beteiligt und es wurde wertvoller Kontext für das geboten, was unmittelbar folgte. Der multimediale Querschnitt verdeutlichte, warum ihre Angst vor der Militärjunta begründet war, die sie bewog die vom Goethe-Institut ermöglichte Gelegenheit zur Flucht im April 2021 zu nutzen.
Farbe der Liebe und Farbe von Blut
Mit „Crimson Conquest“ von Yadanar Win und Ko Latt warf die Performance den Abend auf die stille Intensität seines Auftakts zurück, mit klarem, in widersprüchlicher Spannung aufgeladenen Farben. Mit roten Stöckelschuhen, Cocktailkleid und Lippenstift betrat Yadanar Win den Raum, legte erst eine Reihe von Gedichten ab, welche den Held:innen des Frühlings und deren Angehörigen gewidmet sind, dann einen Bund weißer Rosen. Auf gleiche Weise betritt Ko Latt den Raum, seine Aneignung weiblicher Kleidung hat ihre Wurzel ebenfalls im Protest: Weibliche Kleidung zu berühren ist für die mehrheitlich buddhistisch geprägten Bamar Männer ein Tabu, auch die Wäsche wird nach Geschlecht getrennt gewaschen. Es ist dies ein Umstand, welchen sich die Demonstrant:innen der Frühlings-Demonstrationen 2021 zu Nutze machten um ihre Barrikaden mit Frauen(unter)wäsche zu verstärken. Auch Ko Latt legte Blumen ab und in Folge umkreisen sich die Beiden, still und intensiv Blickkontakt haltend, auf mittlerer Distanz. Ihre Blicke sind vorwurfsvoll und voller Trauer, zu hören ist lediglich das Klacken der hohen Schuhe am Boden.
Drei Akte der Gewalt, mit zunehmender Eskalation führen die Interaktion der beiden vom Leisen ins Laute: Erst ist da die still, wenngleich widerwillig angenommene Übermalung des Gesichts des jeweils anderen durch mit den Händen aufgetragener schwarzer Farbe, eine Geste der Auslöschung oder Angleichung der im Land so vielfältigen Identitäten. Es folgt der wechselnde Vortrag der burmesischen Gedichte, nicht mit stillem Fokus, wie man das von Lyrik vielleicht kennt, sondern im Schreiwettkampf. Es ist, von außen betrachtet, ein Ringen um Deutungshoheit über das Schicksal der Verstorbenen und Inhaftierten.
Dann werden die Blumen erst stückchenweise an den Kopf des jeweils anderen geworfen, bis man sie sich mit aller Wucht an die Körper schlägt. Eine Performance, die zumindest augenblicklich, Spuren in der Galerie hinterlässt und deren intensiver Ausgang zumindest momentan sprachlos macht. Zur Sprache führt einen dann Valeen Jules zurück.
Fischleder, Queerness und Poesie
Sie habe sich das Gerben von Fischleder, aus Lachshäuten, selbst beigebracht, erklärt Valeen Jules, die damit auf ein altes Handwerk ihrer Vorfahren, den Nuu-chah-nulth und Kwakwaka’wakw Nations zurückgreift. Hintergedanke ist die vollständige Verwendung dessen, was aus der Natur entnommen wird. Es ist die erste Ausstellung der jungen Künstlerin aus Kanada (die Ausstellung in Bozen wird vom Projekt 221A aus Vancouver unterstützt) und man merkt es an einer gewissen nicht zu leugnenden Nervosität in ihrem Auftritt. Dabei bringt Jules zusammen, was in ihren Augen schon immer zusammengehörte: ihre eigene Queerness und die Traditionen ihrer Ahnen.
Aus den Stücken Fischleder, welche neben einem Messer aus Walfischkiefer ihr permanenter Beitrag zur Schau sind, hat sie Sätze und Parolen geschnitten, welche eine Schnittmenge darstellen. Während ihres Vortrags werden sie vorsichtig von Hand zu Hand gereicht, betastet und - ja, auch auf Einladung der Künstlerin - beschnuppert. Das Lachsleder riecht dabei ganz nach uns vertrauteren Sorten. Unter anderem steht im Leder „Your emotions are the truth“, was sie mit „Your feelings are valid“ paraphrasierte („Deine Gefühle sind die Wahrheit“, bzw. „Deine Gefühle haben Gültigkeit“). Damit bringt sie einen traditionellen Ausdruck der Empathie mit dem Bedürfnis junger Generationen für ein bewusstes politisches Handeln zusammen. Auch wenn sich die Ansicht hartnäckig hält: Achtsamkeit wurde nicht von weißen Europäern erfunden. Oder aber ein philosophisch, animistisches Konzept steht da eingeschrieben: Von zwei Seelen, welche derselben Sache innewohnen. „Die Berge und das Meer von denen ich komme sind queer.“, bekannte sich Valeen Jules stolz.
In den beiden in englischer Sprache vorgetragenen Gedichten „Landacknowledgement“ (Anerkennung oder Würdigung des Landes) und „How to make a traditional snare“ (Wie man eine traditionelle Falle baut) geht es auch um achtsamen, bewussten Umgang mit der eigenen Umwelt und den in ihr lebenden Menschen und Mitwesen. Dabei streut sie in die „Sprache des Kolonialisators“ auch vereinzelt etwas ihrer Muttersprache ein, lässt nachsprechen und setzt damit den auf Mündlichkeit basierenden Wissenstransfer über Generationen und Generationen in neuer Form in die Zukunft fort. Nur, und vielleicht bin ich da etwas altmodisch, vom Smartphone hätte man die Gedichte nicht ablesen müssen.
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