„Bilaterale Abkommen absolut vermeiden“
„Tag für Tag wächst in Brüssel der Druck, Lösungen zu finden.“ So beschreibt der Südtiroler Europaparlamentarier Herbert Dorfmann in einem Online-Gespräch zum Thema Tourismus und wie die Branche die Herausforderungen des Lockdowns auf nationaler und europäischer Ebene meistern kann, die Stimmung in der EU. Zwar gebe es im Moment in der EU noch kein Gesetz zu Grenzöffnungen, um den Tourismus in der Sommersaison garantieren zu können. Die EU-Kommission arbeite aber an einer Tourismusstrategie, die bis zum 14. Juni stehen soll, so Dorfmann. „Wir von der EVP wollen mit einem Dokument der Kommissionsstrategie einen Input geben.“ In welche Richtung dieser Input geht, wird aus Dorfmanns Aussagen klar: „Es reicht nicht, über Hilfsgelder für den Tourismussektor zu sprechen. Diese sind zwar wichtig, aber was wir wirklich brauchen, ist die Wiederaufnahme des Tourismus in Europa“.
Mit dabei im Gespräch des Beratungsunternehmens TT Consulting war am Dienstag Vormittag auch der Senator und Vizepräsident der Autonomiefraktion Dieter Steger. Auch er unterstreicht die Wichtigkeit des Tourismus für die italienische Wirtschaft: „Italien hat ein riesiges wirtschaftliches Potential! Dafür muss es aber die Ressourcen in jenen Bereichen nutzen, die unser Land besitzt, und das betrifft insbesondere den Tourismus als größten Arbeitgeber des Landes. Nur so können wir die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen“. Grundlage dafür sei ein freier Personenverkehr. Denn ohne Touristen hätte es keinen Sinn, Gastbetriebe wieder zu öffnen. Die EU, die ihre Schengengrenzen im Moment noch geschlossen hält, solle man aber nicht als Feind sehen, fügt Steger hinzu. Sie habe zwar Fehler gemacht, aber ohne Tourismus könne auch die Union wirtschaftlich nicht wieder anspringen. „Wenn Italien verliert, verliert auch die EU“, so der Senator.
Außereuropäischen Tourismus wird es in dieser Saison noch nicht geben. Das betrifft insbesondere unsere Hauptmärkte Russland, China, Japan und die USA.
Auch EU-Parlamentarier Dorfmann betont die Wichtigkeit des Tourismus für die gesamteuropäische Ebene: „10-11 Prozent des europäischen BIPs kommen aus der Tourismusbranche, 12 Prozent der europäischen Arbeitsplätze gehen ebenfalls auf den Tourismus zurück.“ Aus diesem Grund wolle die EU natürlich einen Zusammenbruch der Branche vermeiden. Die Folgen davon beträfen insbesondere wirtschaftliche schwache Länder, wie etwa Griechenland, das aus der Wirtschaftskrise nur mithilfe des Tourismus gekommen sei: „Für Griechenland ist die Situation besonders schwer, denn für sie gibt es keinen Wintertourismus. Wenn die Sommersaison in diesen Ländern nicht läuft, dann riskieren wir, neue Armutszonen in Europa zu schaffen“, gibt Dorfmann zu bedenken.
Allerdings sei mit einer kompletten Öffnung des Schengenraums wie vor dem Ausbruch des Coronavirus noch nicht zu rechnen. Und auch Hoffnungen auf internationalen Tourismus will Dorfmann noch nicht schüren: „Außereuropäischen Tourismus wird es in dieser Saison noch nicht geben. Das betrifft insbesondere unsere Hauptmärkte Russland, China, Japan und die USA.“ Umso wichtiger sei es deshalb, Möglichkeiten für die innereuropäische Mobilität zu schaffen. Man setze besonders auf die Strategie für den 14. Juni. Diese müsse konkrete Maßnahmen enthalten, wie man die Grenzen in der EU so schnell wie möglich wieder öffnen könne, um den betroffenen Betrieben Sicherheiten zu garantieren. „Sollte das nicht der Fall sein, dann werden wir auf bilaterale Abkommen setzen müssen.“
Wir setzen auf die EU-Strategie für den 14. Juni. Diese muss konkrete Maßnahmen enthalten, ansonsten werden wir auf bilaterale Abkommen setzen müssen. Und das sollten wir unbedingt vermeiden
Solche bilateralen Abkommen zwischen den EU Mitgliedsstaaten seien aber auf alle Fälle zu vermeiden. Auch Steger sieht ein großes Risiko darin: „Wir müssen bedenken, dass wir immer noch im Wettbewerb zu anderen Staaten stehen“,so der Senator. „Es wäre eine Katastrophe, wenn etwa Österreich und Deutschland ein Abkommen finden würde, ihre Grenzen zu öffnen, und Italien dabei außen vor bliebe“. Auch der EU wären solche bilateralen Abkommen ein Dorn im Auge, erklärt Dorfmann: „Wenn keine europäische Lösung gefunden wird, dann werden alle Staaten versuchen, mit den Hauptmärkten wie etwa die Niederlande oder Deutschland Abkommen zu suchen. Das muss unbedingt vermieden werden!“ Ein solcher Kampf um die Hauptmärkte berge das Risiko der Untermauerung europäischer Freiheiten und ein Wiederaufflammen des nationalen Protektionismus, fügt Dorfmann hinzu.
Eine realistische Perspektive für den Tourismus in den kommenden Monaten sind sogenannte Tourismuskorridore
Eine realistische Perspektive für den Tourismus in den kommenden Monaten seien laut Dorfmann sogenannte Tourismuskorridore. Das heißt: „Für jene, die reisen möchten, sollten die Grenzen geöffnet werden. Dafür müssen spezifische Kriterien pro Land oder sogar pro Region geschaffen werden, die erläutern, wie und wo solche Korridore funktionieren können.“ Erst danach könne man über eine komplette Öffnung sprechen.
Ein Grund zur Hoffnung, dass die Strategie der EU diese Form annehmen könnte, ist laut dem EU-Parlamentarier Kroatien, das die Ratspräsidentschaft der Union innehat: „Das Land gehört zu den Mitgliedern, die am meisten von der Grenzschließung betroffen ist. Ich habe daher die Hoffnung, dass Kroatien in diese Richtung drängen wird.“
Dieter Steger setzt besonders auf die Vernunft der Regierung in Rom: „Die Regierung genoss zwar großen Konsens in der Phase I des Lockdowns, doch jetzt merkt sie, dass dieser langsam bröckelt“. Ministerpräsident Conte müsse daher von dem starken Zentralismus abrücken und hingegen den jeweiligen Präsidenten der Regionen und Bürgermeistern Verantwortung delegieren: „Je mehr Köpfe denken, desto besser“, meint der Senator. Das gelte auch für die Covid-19 Task Force der Regierung, die zu einseitig aus Virologen, Medizinern und Technikern bestehe: „Das sind zwar alles wichtige Experten. Doch wo bleiben die Vertreter der Unternehmen und des Tourismus?“ Es wurde daher vereinbart, der Regierung einen Plan mit zehn Makrothemen vorzulegen, bei dem auch der Tourismus einen Themenblock abdecken wird. Welche Maßnahmen getroffen werden und welche Formen die Sommersaison 2020 annehmen wird, bleibt also noch recht vage. Bedenken gibt es viele, jedoch auch große Hoffnung. Eine Grundvoraussetzung für den Start in eine zumindest nicht ganz so schlimme Tourismussaison 2020 bleibt allerdings immer dieselbe, und sie wird auch von Senator Steger betont: „Die Verantwortung der Bürger, sich an die Sicherheitsregeln für die eigene Gesundheit und die der anderen zu halten ist essentiell“.
Ein bisschen viel
Ein bisschen viel
"sollten", könnten", müssten", und das beste "Ich habe die Hoffnung".
Eben typisch Politiker, viel reden und nichts, aber schon gar nichts sagen.
"Außereuropäischen Tourismus
"Außereuropäischen Tourismus wird es in dieser Saison noch nicht geben. Das betrifft insbesondere unsere Hauptmärkte Russland,...." Russland ist meines Wissens ein Europäisches Land. Ich finde es eine Untugend, die EU mit Europa gleich zu setzen, genauso wie es Amerika für die USA Usus ist!
Die Hoffnung stirbt zuletzt .
Die Hoffnung stirbt zuletzt .... Allerdings sollte man vielleicht auch einfach nicht allzu große Hoffnungen für diesen Sommer wecken. Wir stehen gerade mal am Beginn der Phase 2, es ist nach wie vor nicht erlaubt, sich ohne Notwendigkeit in Südtirol frei herum zubewegen. Wäre es z.B. erlaubt, in den Nachbarort zu fahren, um mit Freunden Essen zu gehen? Wohl nicht. Wir sind leider noch meilenweit von einer Normalisierung entfernt, geschweige denn vom Tourismus, wie wir ihn bisher kannten. Leider wird Tourismus unweigerlich auch eher mit Spreading des Virus verbunden als mit Containment. Ein kaum auflösbarer Widerspruch.