Kultur | Salto Afternoon
„Von Italo Calvino bis Reinhold Messner“
Foto: Luca Guadagnini/Museion
In der zeitgenössischen Kunst ist es immer häufiger so, dass intellektuelle Aspekte und Überlegungen, Probleme von Aktualität und die Ausrichtung der Werke auf eine zunehmend kleinere Elite Wissender kennzeichnend werden. Bei Shimabuku ist es ein grundlegendes, allen vertrautes Phänomen, welches seinen Werken zu Grunde liegt, für das jede und jeder Vorkenntnisse mitbringt. Es geht um unvoreingenommene Begegnungen mit Dingen und Mitlebewesen und man braucht sich in seine Werke eigentlich gar nicht einzulesen, sondern kann sich in sie einfühlen.
Mit (großen) Gefühlen begann auch die Pressepreview in Gegenwart des 1969 in Kobe, Japan geborenen Künstlers. Es ist auf zwei Etagen des Museion - im zweiten und dritten Stock - die größte Einzelausstellung Shimabukus in Europa geworden und, für den Künstler emotional, seine erste in Italien, wo er zu Studienzeiten Erinnerungen gesammelt hat. „Es entsteht ein Bild der Menschheit, welches nicht durch das Ego bestimmt wird, sondern durch eine grundlegende Affinität der Menschen zu ihrer Umgebung. Es ist ein Bild, welches die Notwendigkeit unterstreicht sein Gegenüber zu spiegeln, um sich wirklich selbst zu spiegeln.“, so Museiondirektor und Kurator Bart van der Heide. Und weiter: „Shimabuku versteht seine Arbeiten als ein Liebeslied. Durch die Dokumentation in Fotographien, Videos und Objekten wird aus diesen ein öffentliches Liebeslied.“ Als das Mikrophon an den Künstler ging, hatte er, nach den Worten zur Einordnung van der Heides, keine mehr übrig, außer Wertschätzung für das Land, welche er mit einigen Sätzen in Italienisch zum Ausdruck brachte. Die Stimme versagte zwischendurch. „Ich bin sehr gerührt.“ Aus Italien kämen großartige Menschen: „von Italo Calvino“, dann noch einmal eine lange Pause „bis Reinhold Messner“.
Auch von relationaler Ästhetik und partezipativer Kunst muss man nichts wissen, um die Dokumentationen aus rund 30 Jahren künstlerischen Schaffens interpretieren zu können. Shimabukus umfangreiche Retrospektive beginnt mit einer Videoarbeit, durch welche exemplarisch die Einfachheit und das Staunen an diesen Begegnungen, welche Shimabuku konstruiert, anschaulich werden. „Flying Me“ zeigt einen Drachen aus dünnem Papier, ein Ganzkörperabbild des Künstlers, welches er in Barcelona steigen ließ. Mühelos scheint es, mit seinen Beinen, welche dünner sind als der Rest des Körpers, durch die Luft zu laufen, hat dabei etwas kindlich verspieltes und albernes.
Es folgen im nächsten Raum weitere Beispiele aus dem Frühwerk Shimabukus in Fotoform, begleitet durch den in einfacher Sprache (Deutsch, Italienisch und Englisch) ausformulierten Gedanken des Künstlers, welche die offenkundige Ironie dieser Begegnungen, auf welche ja auch der Titel hinweist: Muhammad Ali soll bei einer Rede vor Harward-Studenten auf die Forderung nach einem Gedicht mit „Me, We“ (Interpunktion in Schriftform variiert) einen Kandidaten für das kürzeste Gedicht aller Zeiten in den Ring geschickt haben. Es solle einen Übergang vom Individuum zum Kollektiv darstellen, erklärte van der Heide, wieviel davon im Text steht und was hineingelesen wird, ist diskutabel.
Jedenfalls sind Shimabukus Werke in ihrer Einfachheit klarer: Eines der ersten Werke zeigt ihn, wie er sich auf einer Europareise eine seiner Augenbrauen im Zug abrasierte und auch so, durch Verwunderung, kann es zu Begegnungen kommen. Dabei ist etwas, das berührt, auch die Unvoreingenommenheit dieser Begegnungen, welche gerade in seinen Werken mit Tieren (vertreten durch Oktopusse und texanische Japanmakaken) beobachtet werden kann. Für diese organisierte er Kunstausstellungen, auf der Suche nach der Lieblingsfarbe der Meeresbewohner und konfrontierte die in verschneiten Gebieten lebenden Affen mit Schnee. Er wollte dabei sehen, wie die Affen in der Wüste auf das ihnen als Individuen fremde, ihrer Art vertraute Element reagieren. Aus einem Aufenthalt in Großbritannien brachte er eine ungewöhnliche Wertschätzung für „Fish & Chips“ mit, welche als große Leuchtreklame in einen Raum einlädt, wo Fische Unterwasser auf Kartoffeln treffen. Für Shimabuku ist dieses Treffen entfernter Elemente eine Art Poesie, welche den Alltag durchdringt. Die naive Art (im ursprünlichen Sinn: unverdorben, frei von erworbenem Zynismus) des Künstlers macht diese sichtbar.
Vorbei an sprechenden Kartonen, welche augenzwinkernd an die animistischen Religionen Japans erinnern und Zweckentfremdungen von Apple-Produkten geht es in das oberste Stockwerk. Diese werden einerseits in der Paarung iPhone und Faustkeil als „neueste und älteste Werkzeuge der Menschheit“ präsentiert, auf der anderen Seite wird das Display eines Macbook Airs am Schleifstein zur Klinge gewetzt, mit der sich ein Apfel schneiden lässt. Ein Spiel.
Im oberen Stockwerk eine raumgreifende Site-Specific Arbeit auf der einen, junge und adaptierte Werke im Dialog auf der anderen Seite. Im Dialog stehen hier, in Zusammenarbeit mit Mutina realisierte Keramikarbeiten, welche den Mond und eine Kartoffel nebeneinanderstellen. Die Keramik ist dabei kein Gewinn für das ursprünglich als Fotographie gestaltete Distichon, da sie die Ähnlichkeiten in den Oberflächenstrukturen eher aufhebt als unterstreicht. In direkter Nachbarschaft finden sich im Wassertank mit leichter Strömung kreisförmig tanzende Limetten, welche an einfache Sonnensysteme erinnern und sieben Zwiebeln, welche die sieben prominentesten Sterne der Konstellation Orion markieren. Ein Wortspiel mit dem englischen Wort „Onion“. Auf der anderen Seite des Raumes greifen Bauelemente des Grieser Mauracher-Hofes aus dem 13. Jahrhundert und des ehemaligen Solland Silicon Werke in Sinich in den Raum, so dass man zwischen den einzelnen Elementen hindurchgeht. Auch hier lässt sich, da beiden Gebäuden eine Restrukturierung (zum modernen Hotel), oder ein teilweiser Abbruch bevor steht, ein dokumentarischer Anspruch erkennen. Shimabuku bewahrt, was im Begriff des Verschwindens ist und bringt zusammen, was eigentlich nicht zusammen zu passen scheint. Es passt. Aber wie passen Messner und Calvino zusammen? Das wollten wir unter anderem vom Künstler wissen.
Salto.bz: Shimabuku, wer die Ausstellung durchquert kommt auch an „When Sky was Sea“ vorbei, einer Arbeit, welche Drachen in Form von Meeresbewohnern in den Himmel steigen lässt. Die Arbeit erinnert an die geologische Geschichte der Gebirge. Sie haben in Folge dieser Aktion auch Kontakt mit Reinhold Messner gehabt. Wie kam es dazu?
Shimabuku: Ja, ich habe mit Personen gesprochen, die bei diesem Museum arbeiten und gesagt, dass ich ihn treffen möchte. Ich habe ihn in seinem Schloss getroffen. Das war sehr kurz… Aber ich war für lange Zeit ein großer Fan von ihm. Ich sehe ihn als Künstler, weil er an „normalen“ Dingen zweifelt. Die Leute dachten, es würde Sauerstoff brauchen um im Himalaya auf Berge zu klettern. Er zweifelte das an und glaubte, er könne es ohne schaffen. Er hat es geschafft und einige Leute auch nach ihm. Er hat die Welt damit etwas offener gemacht und das ist Kunst für mich.
Ihre Werke bestehen häufig aus Begegnungen verschiedener Dinge. Hat das für Sie etwas Poetisches?
Ich staune immer, wenn sich zwei Dinge begegnen. Ich möchte dieses Gefühl des Staunens, welches ich habe, mit den Menschen teilen. Das ist meine Kunst.
Es ist eine sehr positive Ausstellung, was zur Abwechslung sehr schön ist, da Künstler viel Zeit damit verbringen, über verschiedene Probleme nachzudenken…
Ja, in der zeitgenössischen Kunst geht es mir etwas zu sehr um das Gehirn, um Intellektuelles. Ich fordere mich selbst heraus, meine konzeptuelle Kunst mit dem Herzen zu gestalten, das ist meine Einstellung und ich hoffe, die Besucher sehen das ähnlich wie ich, nicht nur mit dem Kopf.
Mehrere Arbeiten im unteren Stock thematisieren explizit die Beziehung zu Tieren: Sie stammen aus dem Zeitraum zwischen 1992 und 2019. Hat sich in dieser Zeit Ihre Beziehung zum Tier verändert und wie?
Nun ja, ich habe immer noch Interesse an Oktopussen und Affen, weil sie in gewisser Weise meine Nachbarn sind… und es interessiert mich natürlich, wie es meinen Nachbarn geht.
Sie haben neben Messner auch Italo Calvino erwähnt. Welche Beziehung haben Sie zu seinen Werken?
Italo Calvino war ein Schriftsteller, der immer wieder auf der Suche nach neuen Wegen in seiner Literatur war, gleichzeitig aber keine Scheu davor hatte zu Folklore und Märchen zurückzukehren. Diese sind einige meiner liebsten Werke von ihm. Er war für alles offen und auch bei dem Versuch etwas Neues zu schaffen, blickte er zurück. Von dieser Einstellung habe ich viel gelernt.
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