Politik | Volksabstimmung

Landschaftsschutz oder Stromautarkie?

Am kommenden Sonntag gehen nicht nur die EU-Bürger an die Urne, sondern auch das Schweizer Stimmvolk, um in einer Volksabstimmung u.a. zu entscheiden: darf die erneuerbare Stromversorgung der Zukunft zu Lasten von Natur und Landschaft gehen?
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  • Mit dem „Stromgesetz“ (Mantelerlass) vom September 2023 hatte das Parlament in Bern eine zukunftsweisende Reform auf den Weg gebracht: die erneuerbare Energieproduktion soll bis 2035 massiv ausgebaut werden, damit bei gleichzeitigem Atomausstieg die quasi-autarke Energieversorgung der Schweiz gesichert wird. Um dieses Ziel zu erreichen, erleichtert das Schweizer Stromgesetz u.a. den Bau großer Windkraft-, Wasserkraft- und PV-Anlagen, und schwächt dafür den Natur- und Landschaftsschutz etwas ab. Wie Südtirol ist die Schweiz vor allem in den Wintermonaten von Stromimporten aus dem Ausland abhängig, will aber vom Ausland unabhängig werden. Deshalb will man 16 neue Wasserkraftwerke bauen, die Stromerzeugung aus der PV verfünffachen und Windparks in die Landschaft stellen. Darüber wird am abgestimmt.

    Derartige Vorschläge gibt es auch in Südtirol, wenn auch der Klimaplan 2040 dem Ausbau der Solarenergie Priorität einräumt und die Wasserkraft für nahezu ausgeschöpft einstuft. Deshalb will das Land vor allem die Solarenergie ausbauen und bei der Speichertechnologie in Pumpspeicherkraftwerke investieren. Doch wird der Ausbau der Photovoltaik von heute rund 300 MW installierter Leistung auf mindestens 1500 MW Leistung zu Lasten des Landschaftsschutzes gehen? Wie wird bei uns das neue staatliche Verbot der Freiflächen-Photovoltaik umgesetzt? Kehren neue Wasserkraftwerke doch wieder auf die Tagesordnung zurück wie in Nordtirol?

    Aufgerüttelt von dieser Gefahr haben kleinere Natur- und Landschaftsschutzorganisationen der Schweiz gegen das Stromgesetz des Parlaments das Referendum ergriffen. Am 9. Juni 2024 wird darüber in der Schweiz abgestimmt. Den Initiatoren geht es vor allem darum, die Schweizer Berg- und Mittelgebirgslandschaft vor riesigen Freiflächen-PV-Anlagen, neuen Speicherbecken und Windrädern zu bewahren. Sekundiert werden sie dabei von den Rechtskonservativen der SVP, die eine andere Absicht im Blick haben. Sie möchten den schon beschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft kippen und langfristig beim heutigen Strommix bleiben, der sich zu mehr als einem Drittel aus AKWs speist. 

    Die Regierung in Bern will hingegen am jetzigen Kurs festhalten: die Versorgungssicherheit beim Strom können mittelfristig nur durch den Ausbau der Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen ausgebaut werden. Mehr Unabhängigkeit von außen habe eben seinen Preis. Die breite Front der Befürworter des Gesetzes versprechen sich mehr erneuerbaren Strom aus dem Inland vor allem im Winter. Sie gehen davon aus, dass alles umweltverträglich und Voraussetzung für Klimaneutralität sei. Nicht nur die SP, Liberalen und Grünen treten dafür ein, auch maßgebliche Umweltverbände sehen keine Alternative für das vom Parlament beschlossene Stromgesetz. Tatsächlich geht es um eine Güterabwägung mit Blick auf den unumgänglichen Klimaschutz: wenn bis 2050 Klimaneutralität erreicht werden soll, muss die Schweiz Eingriffe in die Landschaft hinnehmen, um sich selbst mit Strom zu versorgen.

    Für Südtirol zeichnet sich in den kommenden Jahren eine ähnliche Konfliktszenario ab. Wenn der wachsende Strombedarf im Zuge der Energiewende vor allem durch Solarenergie gedeckt werden soll, müssen laut Klimaclub Südtirol mindestens 1500 MW installierte Kapazität dazu gebaut werden. Das geht zum Teil auf Dächer und versiegelten Nutzflächen, zum Teil in Obstwiesen als Agri-PV. Wird es bei uns auch PV-Freiflächenanlagen (PV-FFA) geben wie in anderen Regionen, die eine landwirtschaftliche Nutzung ausschließen? In Südtirols Tälern und Hanglagen würden PV-FFA genauso wie Windparks das Landschaftsbild ganz erheblich beeinträchtigen. Deshalb sind die neuen staatlichen Schranken für die Freiflächenanlagen zu begrüßen. Auch die Agri-PV wird auf Landesebene so geregelt werden müssen, dass die Kultur- und Naturlandschaft von einem Übermaß an Energieinfrastruktur bewahrt wird.

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Peter Gasser Sa., 08.06.2024 - 07:50

Zitat: “Für Südtirol zeichnet sich in den kommenden Jahren eine ähnliche Konfliktszenario ab. Wenn der wachsende Strombedarf im Zuge der Energiewende vor allem durch Solarenergie gedeckt werden soll...”:

ist es nicht so, dass Südtirol schon längst mehr Strom erzeugt, als es verbraucht (aber trotzdem noch immer Gas importiert und verbrennt, für 500 Millionen Euro im Jahr)?

Sa., 08.06.2024 - 07:50 Permalink