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Scheitern ist kein Makel

Wussten Sie, dass ein richtiger „Startupper“ im Schnitt vier bis sieben Startup-Unternehmen gründet?
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Dass ein Scheitern fast schon Teil des Unternehmertums ist, es aber darauf ankommt, möglichst früh und „billig“ zu scheitern, um sich sofort Neuem zuwenden zu können?

von Vicky Rabensteiner

„Wie in jeglicher Forschungsarbeit ist es am Anfang wichtig, die richtigen Fragen zu stellen“, bereitet Christian Lechner, Professor an der unibz-Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, den Boden fürs Gespräch. „Ist es beispielsweise für eine Volkswirtschaft von größerem Nutzen, 100 kleine, kaum innovative Unternehmen zu gründen, mit geringem Risiko, weil sie nur bis zu sechs Angestellte beschäftigen; oder 15 äußerst innovative Unternehmen mit jeweils 100 Mitarbeitern und einer Erfolgs- beziehungsweise Risikokurve, die stark nach oben zeigt?“ Dies sind auch Fragen, mit denen die Studierenden an der unibz konfrontiert werden, und die es auch erfordern, aus vorgegebenen Denkmustern auszubrechen. Allerdings müsse man sich auch eingestehen, so Lechner, dass in Südtirol viele Unternehmensgründungen den Begriff Startup erst gar nicht verdienen, da sie weder eine innovative Geschäftsidee beinhalten noch das Ziel verfolgen würden, möglichst schnell zu wachsen.

Es sind die sogenannten Gazellen, also die schnell wachsenden Unternehmen, die die Wirtschaft weiterbringen. Politik und Gesellschaft müssen ein Verständnis entwickeln, Champions zu fördern und ein gewisses Maß an gescheiterten Unternehmen zu akzeptieren. Die Forschungen des Wirtschaftswissenschaftlers zum Thema Regionalentwicklung zeigen auf, dass sich erfolgreiche und dynamische Regionen durch eine geringe Anzahl von Gewinnern auszeichnen. Die Verlierer sind quasi notwendig, da sie zur Entwicklung eines spezialisierten Arbeitsmarktes beitragen, der dann entweder Nährboden für eine nächste Welle von Startups wird oder von den schnell wachsenden Unternehmen genutzt wird, um den steigenden Personalbedarf zu decken.

Neun von zehn Startuppern scheitern. Wichtig ist es, schnell wieder aufzustehen und aus den Fehlern zu lernen. Ganz nach dem Motto: „If this company dies, don’t die with the company“.

Xiaofeng Wang

Prinzipiell kann sich jedes Unternehmen ein Startup nennen, unabhängig von der Branche. Symptomatisch sind derzeit jedoch die kreativen Unternehmensgründungen im Technologiesektor, im Bereich des Internets, der Luft-und Raumfahrt und des E-Commerce, mit bekannten Namen wie Google, Twitter und Facebook, aber auch Online-Dating-Portals oder Startups, die sich auf individuelle Fertigungen spezialisiert haben, wie MyMüsli oder Spreadshirt.

Was aber macht ein Startup-Unternehmen erfolgreich? Für den Wirtschaftsprofessor sind es sieben Kriterien, die zusammenspielen müssen: Leidenschaft, Kompetenzen und Ressourcen, der volle Einsatz des Teams, gekonntes Networking, hohe Margen, ein Geschäftsmodell, in dem anfänglich Fixkosten in variable Kosten umgewandelt werden und natürlich die Einzigartigkeit eines fast perfekten Konzepts.
Was aber, wenn man trotz des vermeintlich perfekten Konzepts scheitert?

In Südtirol ist unternehmerisches Scheitern immer noch mit einem Makel behaftet. „Die Forschung zeigt aber, dass kaum ein Startupper mit seiner ersten Firmengründung Erfolg hat“, stellt Lechner fest. „Es sind vielmehr im Schnitt vier bis sieben Firmen, die ein Startupper im Laufe seines Lebens realisiert – wer einmal den Weg des Unternehmertums beschritten hat, lässt sich davon nicht mehr abbringen.“

Dabei ist die Datenlage nicht ganz klar, doch die Erfolgsquote ist alles andere als beeindruckend: „Man kann davon ausgehen, dass die Quote erfolgreicher Mehrfachgründer bei etwa 60 Prozent liegt“, so Christian Lechner. Das bedeutet auch, dass Gründer anfänglich Geschäftsmodelle verfolgen sollten, die den Kapitalbedarf minimieren, um in einem nächsten Schritt durchzustarten.

Unternehmertum ist vergleichbar mit dem Surfen: Man kann nicht planen, wie die Welle kommt, sondern man muss die Welle reiten, wenn sie kommt.

Christian Lechner

Auch einzigartige Ideen seien eine Utopie, weiß Xiaofeng Wang, ebenfalls Professorin an der unibz-Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Gemeinsam mit ihren Studierenden organisiert sie alljährlich Start-up-Events: „Es gibt für jede Innovation eine Ideengemeinschaft, die - bekannt oder versteckt - ähnliche Ideen entwickelt, und sie auch in ähnlicher Form auf den Markt bringt.“ Veranschaulichende Beispiele lassen sich dafür auch in der Film- und Medienwelt finden: Als Harry Potter erschien, wurden wahrscheinlich 50 ähnliche Werke auf den Markt geworfen, aber nur dieses eine erzeugte einen Hype. Es geht also um die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Marketing. Erfolg ist damit nicht planbar. Auch der große Filmemacher Martin Scorsese sagte in einem Interview, dass er, wenn eines seiner Drehbücher nicht angenommen werde, nicht einfach aufgebe; im Gegenteil, er suche eine neue Produktionsfirma. Und wenn ein Film an den Kassen nicht der Verkaufsschlager wird, höre er nicht auf, Regisseur zu sein. Nein, er wende sich dem nächsten Projekt zu. Und so müsse man sich ein Startup vorstellen. Als steter Suchender nach dem perfekten innovativen Startup-Modell.

Ein Südtiroler Beispiel dafür ist der unibz-Absolvent Daniel Kaneider. Der 27-Jährige hat bereits vor zwei Jahren sein erstes Startup „Wams Fashion Srls“ mit seinem Freund und Partner Robert Larcher gegründet. Nun, zwei Jahre später, ist er bereits am nächsten Startup beteiligt: Mit Vitamin ist Südtirols erster Co-working-Space in Steinmannwald entstanden, den er mit zwei Partnern gegründet hat. Vitamin wird von Jungunternehmern geführt und richtet sich an Jungunternehmer. Wenn man Kaneider aufs Scheitern anspricht, so kommt er kurz ins Grübeln: „Mit einem Startup bin ich bisher noch nicht gescheitert, mit Startup-Ideen aber sehr wohl, und dies bereits öfters. Ich habe während meines Studiums an verschiedenen Ideen gearbeitet und recherchiert, habe dann aber den entscheidenden Schritt nicht gesetzt.“ Es gelte demnach aus jedem Entschluss, nicht zu starten oder aber zu scheitern, zu lernen und die daraus gezogenen Erkenntnisse in die nächste Idee mit einzubringen. Generell sieht Daniel Kaneider die Idee des Scheiterns sehr kalkuliert: „Das Scheitern gehört zum Unternehmertum dazu. Jeder kennt die Statistiken die besagen, dass nur ein geringer Anteil der Startups längerfristig überleben.“

Vielleicht ist es die Angst vor dem Scheitern – Fakt ist, die Innovation nimmt, laut neuesten Daten aus dem Wirtschaftsblatt Il sole24ore (18. Mai 2015), zwar in der Peripherie zu, Südtirol bewegt sich zahlenmäßig aber im italienischen Mittelfeld. Südtirols innovative Startups, die zu diesem Zeitpunkt in das nationale Register eingetragen waren, fanden sich lediglich in der Gruppe 21-40. Dagegen konnten die Ballungsgebiete rund um Mailand und Rom in der Gruppe über 321 Patente (bezogen auf das Jahr 2013) punkten. Der sole24ore führt die Zahlen auch auf einen wichtigen Umstand zurück: Je mehr Universitätsabsolventen eine Region in technischen wie in naturwissenschaftlichen Fächern aufweist, desto höher ist die Anzahl der registrierten Patente. Und ausschlaggebend für diese Zahl ist auch noch ein weiterer Fakt: die Fähigkeit, ins Ausland zu exportieren. Hier führt der sole24ore die Gebiete rund um Turin, Mailand und auch Rom als führend auf.
Für Xiaofeng Wang wie für Christian Lechner ist eines klar: „Nur wer sich in Startups wagt und sich von einem anfänglichen Scheitern nicht beirren lässt, der wird mit wirklich innovativen Ideen erfolgreich werden. Und damit zu einem Mehrwert für die gesamte Region.“

Zum Nachlesen

Christian Lechner and Florian Kirschenhofer (2012), Performance drivers of serial entrepreneurs: Entrepreneurial and team experience, Journal of Entrepreneurial Behaviour & Research, 18 (3).
Christian Lechner and Christophe Leyronas (2012), The competitive advantage of cluster firms: the priority of regional network position over extra-regional networks – a study of a French high-tech cluster, Entrepreneurship & Regional Development, 24 (5-6).

 

Die ganze Ausgabe kann hier online nachgelesen werden:

Academia #70 – Endlich raus | Tutti in campo | Hit the Hills

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