Schwierige Liebe, schwieriger Bürgermeister
Rom ist die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Ich liebe Rom und es gibt Momente, da weiß ich einfach (auch wenn ich nur wenig in der Welt herumgekommen bin): Es ist die schönste Stadt der Welt. Die „grande bellezza“. Dann gibt es wieder Momente, da denke ich: Es ist die schrecklichste Stadt der Welt. Die „grande schifezza“. Wenn ich in Rom bin, schwanke ich ständig zwischen diesen zwei Gemütszuständen. Hier einige Gründe für meinen Gemütszustand Nr. zwei.
Römische Alpträume
Frage ich jemanden, wie ich am besten zu ihm komme, und die Antwort lautet: „Nimm am besten die Metro!“, bricht mir der kalte Schweiß aus. Endlose unterirdische Katakomben, mit aus der Decke frei hängenden Kabeln, undefinierbaren Gerüchen, sich auf unzähligen Rolltreppen schiebenden Menschenmassen. Kommt dann die U-Bahn, heißt es „Attacke!“: wieder Geschiebe und Gedränge, bis ich irgendwie drin bin in den maroden Wagen. Da sehne ich mich nach der ollen Linie 9 in Hannover, als wäre sie eine Luxuslimousine.
Heißt aber die Antwort: „Nimm den Bus Nr. so und so“, geht es mir nicht besser. Die erste Frage ist, ob er überhaupt kommt. Wer überdies den Fahrstil der römischen Busfahrer am eigenen Leib erlebte, weiß, wovon ich rede. Meiner Schwester hat er innerhalb eines Jahres ein Schulterbruch und einen gebrochenen Wirbel beschert. Von der Fahrtdauer durch die ständig verstopfte Stadt ganz zu schweigen.
So viel zu den öffentlichen Verkehrsmitteln, die eine solche Bezeichnung eigentlich kaum verdienen. Dazu kommen Autos, die reihenweise in „seconda fila“ oder auf (meist kaputten) Bürgersteigen parken; stinkende, überquellende Müllcontainer; ewiges Schlangenstehen in Banken und Ämtern. Und massenhaft Ramsch- und Fressbuden vor den prächtigsten Denkmälern und auf den schönsten Plätzen der Welt.
International am Pranger
Das alles ist (leider) nicht neu, die meisten Römer ertragen es – anders als ich – mit erstaunlicher Gelassenheit. Doch inzwischen reißt auch ihnen der Geduldsfaden: Erst die Enthüllungen über „Mafia capitale“, die einen Sumpf von Korruption, Betrügereien und mafioser Beziehungen in Parteien und Verwaltung ans Licht brachten. Dann die Zuspitzung der Müllproblems, besonders nachdem Bürgermeister Marino die größte Deponie wegen gravierender Mängel und Gesetzesverstöße schließen ließ. Und die weitere Verschlechterung des öffentlichen Nahverkehrs, mit zunehmendem Ausfall der Busse (40% stehen wegen technischer Defekte in den Depots) und nicht endenden Bauarbeiten auf der „Problem“-U-Bahn B (deren „Ausbau“ schon lief, als ich ein kleines Kind war – und das ist ein Weilchen her).
Die Lage ist inzwischen so desolat, dass sie sogar die internationale Presse aufs Korn nahm: Von der New York Times und der Financial Times bis zu Le Monde wurden die Zustände in der ewigen Stadt an den Pranger gestellt. Und das wenige Monate vor dem Jubiläum, das Papst Franziskus ausgerufen hat und bei dem Millionen von Pilgern und Touristen erwartet werden.
Bürgermeister in Not
Bürgermeister Marino, von seiner Partei PD ungeliebt und ohnehin unter Dauerbeschuss der Opposition, kommt aus der Krise nicht heraus. Einige Dezernenten seiner Gemeinderegierung haben von sich aus das schwankende Schiff verlassen, andere (u.a. den Verkehrsdezernenten, einen Vertrauten
Renzis) hat er selbst rausgeschmissen. Seine neue Mannschaft präsentierte Marino vor einigen Tagen. Man munkelt, sie sei ihm vom PD-Vorsitzenden Orfini, den Renzi als Sonderkommissar für Rom beauftragte, diktiert worden. Der bisherige Koalitionspartner, die linke SEL, die den Posten des stellvertretenden Bürgermeisters für sich reklamierte, ist leer ausgegangen und hat die Koalition verlassen. Nach außen hin wutentbrannt, aber insgeheim wohl froh, sich aus der Regierungsverantwortung befreit zu haben.
Marino selbst präsentiert sich als Fels in der Brandung und deutet die Angriffe seiner Kritiker als Reaktion darauf, dass er den Versuch wagt, über Parteigrenzen hinweg Seilschaften aufzulösen und den römischen Sumpf auszutrocknen. Er sei kein Mann der Kaste, betont er, und das passe vielen nicht – auch innerhalb seiner eigenen Partei.
Schwach und naiv?
Dass der Bürgermeister nicht in die Korruptionsaffären involviert ist und im Gegenteil versuchte, Klientelismus und Betrügereien zu bekämpfen, attestieren ihm auch seine Kritiker. Die Vorwürfe sind dennoch massiv. Sie reichen von völliger Unfähigkeit bis hin zu politischer Naivität und mangelndem Willen zur Kooperation. Lieber habe er sich mit ein paar „netten „Projekten“ (wie die Verkehrsberuhigung zwischen Colosseum und Foro Romano) beschäftigt als mit den schweren Problemen, die den Römern das Leben zur Hölle machen.
Eine Kritik, die nur zum Teil berechtigt ist. Denn die Auflösung der Malagrotta-Deponie sowie der hartnäckige – und letztlich erfolgreiche – Kampf gegen mafiose Familien, die das Geschäft mit den rollenden (illegalen) Verkaufsbuden in Rom beherrschten, waren durchaus „schwere Brocken“. Wahr ist dennoch, dass er und seine Mannschaft es bisher versäumten, ein effizientes und umweltverträgliches Müllentsorgungssystem in der Hauptstadt aufzubauen und das marode Nahverkehrssystem zu verbessern.
Allerdings sind die Widerstände gegen solche Vorhaben enorm. Nach jahrzehntelangem „eine Hand wäscht die andere“ auf Kosten des Gemeinwesens sind viele Parteienvertreter, Beamte, Lobbys, mafiose Interessengruppen und Gewerkschaften nicht bereit, eine wirkliche Wende mitzutragen. Oder boykottieren sie sogar.
Jedenfalls allein
Vielleicht trifft es zu, dass Marino schwach, unerfahren und auch naiv ist. Tatsache ist aber auch, dass er weitgehend allein gelassen wurde. Renzi ging zu ihm demonstrativ auf Distanz; mit Sätzen wie „Ob er das kann, wird sich zeigen“ stärkte er ihm nicht gerade den Rücken. Auch die Unterstützung durch die PD hält sich in Grenzen. Mühsam versucht ihr Vorsitzender Orfini den Spagat zwischen der offenen Skepsis des Regierungschefs und dem pflichtgemäßen Bekenntnis zum Bürgermeister Roms, der immerhin aus den eigenen Reihen kommt.
Vorzeitige Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. Nur die Furcht, dass dann Grillos 5-Sterne-Bewegung das Rennen machen könnte, bremst die Neigung der PD zu einem solchen Schritt. Eine Basis für ein wirkungsvolles Regieren ist das nicht. Marino muss es gelingen, in ein paar zentralen Problembereichen in kurzer Zeit sichtbare Fortschritte zu erzielen. Eine gewaltige Herausforderung.