Kultur | Geschichte
"Fraß Schokolade und dachte an Bussis"
Foto: CC0 Creative Commons
„Ich fraß dazu Schokolade und dachte … an die vielen Bussis, die Du mir gestern gabst..“, so schrieb in den 1920ern eine Frau an ihren zukünftigen Ehemann. Nachlesen können wir das heute dank eines neuen Buchs der österreichischen Historikerinnen Ingrid Bauer und Christa Hämmerle. Die beiden waren vor Kurzem im Bozner Frauenarchiv zu Gast, um das von ihnen gemeinsam herausgegebene Buch vorzustellen: Es geht um den Liebesbrief im Wandel der Zeiten – aber nicht nur. „Liebe schreiben – Paarkorrespondenzen im Kontext des 19. und 20. Jahrhunderts“ heißt das Werk deshalb.
Nicht nur Liebesbriefe
Die Wissenschaftlerinnen haben für ihr Forschungsprojekt eine Sammlung von 70 Korrespondenzen aus dem Zeitraum 1860 bis 1980 ausgewertet: tausende Seiten an Liebesschwüren, Drohungen, Verhandlungen, aber auch ganz banalen, pragmatischen Inhalten, quer durch die Klassen und die Jahrzehnte. „Eheeinleitende Briefe waren die häufigste Kategorie.“, sagen sie. So nennen sie die Briefe, die sich Paare zum besseren Kennenlernen schickten, wenn zumindest einer der beiden durch die Korrespondenz eine Eheschließung anbahnen wollte.
Wie sich das anhörte, hat sich im Laufe der Jahrzehnte allerdings geändert. In den 1860er Jahren ergossen sich vor allem die Männer in Romantik: „Hätten Sie hineinzublicken vermocht in meine Brust, wie es da drinnen bebte und zitterte; hätten Sie dieß Herzens geheimste Tiefe erschaut die unnennbare Seligkeit gefühlt, die da auf- und niederwogte – unbegränzt, Alles überflutend, allen Schmerz, das kleinste Weh verdrängend, … Maria-Engel! Glauben Sie mir, … es sind meine wahren Gefühle, denen ich Ausdruck gab.“, schrieb da zum Beispiel einer an seine Angebetete. Die antwortete auf seine Schwärmereien um einiges kühler. Seinem romantischen Drängen setzt sie den Wunsch entgegen, er solle die Sache doch endlich seinen Eltern gestehen und um ihre Hand anhalten: „nur dan wen der Elternsegen darauf ruht, können wir glücklich sein und sagen Zwei Seelen eine Stube Zwei Herzen ein Dach.“ In diesen Zeiten war für Frauen die Ehe eben die einzige Möglichkeit, von ihren Eltern finanziell unabhängig zu werden, und den jungen Mädchen war sehr bewusst, dass sie klug vorgehen mussten. Bei der Suche nach den richtigen Worten halfen Liebes-Briefsteller: Für romantische Botschaften aber auch zur delikaten Frage „Wie löst man eine Verlobung auf?“ gaben sie Anleitungen.
Der Kampf um die Rolle der Frau
Ab der Jahrhundertwende war es eher akzeptiert, dass Frauen sich bildeten und einen Beruf erlernten – der ersten Frauenbewegung sei Dank. Dass es diese neuen Alternativen gab, war vielen Männern nicht recht. In den Briefen dieser Zeit spiegelt sich wieder, wie hart umkämpft die Rollenbilder waren. „Dass Sie sogar den Gedanken hatten, Medizin zu studieren, finde ich schön, dass Sie es nicht getan haben, finde ich schöner.“, schreibt einer seiner Zukünftigen, die sich an einer der eben für Frauen geöffneten Fakultäten einschreiben hatte wollen und sich das Studium dann doch nicht zutraute. Und weiter: „Der geeignete Platz ist für die Frau zweifellos die Ehe und erst, wenn ihr diese aus irgend welchen Gründen verschlossen ist, soll sie nach einem anderen streben.“
„Die Briefe sind sehr stark von der jeweiligen Zeit und vom kulturellen Umfeld geprägt. Mehr als ich erwartet hatte.“, sagt Prof. Hämmerle. Das Forschungsobjekt Paarkorrespondenzen ist für sie besonders interessant, weil sich hier Öffentliches und Privates vermischt: Die Schreibenden denken und schreiben einerseits natürlich individuell und authentisch. Aber was Liebe bedeutet und was von einer Beziehung erwartet wird, das unterscheidet sich weniger von Mensch zu Mensch, und viel mehr von Jahrzehnt zu Jahrzehnt.
Und tatsächlich erschließt sich in den Briefen die komplexe Geschichte des 20sten Jahrhunderts: Zwei Weltkriege, das sich Herausbilden einer neuen Weltordnung, die sozialen Bewegungen, ein sich rasch wandelndes Frauenbild: All diese Dinge haben Lebensrealitäten direkt beeinflusst.
Erst eine gewisse Unabhängigkeit versetzte beispielsweise Frauen in die Position, schnippisch und ironisch sein zu können und einen Platz auf Augenhöhe für sich einzufordern: Die „Kameradschaft“ wurde nach dem ersten Weltkrieg zum Ideal der Beziehung. Allerdings gab es große Unterschiede zwischen den Schichten. So schreibt eine Dienstmagd, die eine Liebesbeziehung mit dem Sohn des Herren eingegangen ist und hofft, ihn zu heiraten, von ihrer „großen Sehnsucht nach einem eignen Herd“.
Im zweiten Weltkrieg hielt dann die Naziideologie Einzug in die Briefe der Mehrheitsgesellschaft: Die Ehe wurde als kleinste Einheit des Volkes gefeiert, die Frau als Mutter idealisiert, und manche Nachricht von der Front klang nach Propaganda: „Die Deutschen machen trotz unmenschlicher Strapazen einen frischen und fröhlichen Eindruck“, schrieb einer an seine Frau.
Die Folgen von '68
In den 50er Jahren kehrten dann wieder alte Rollenbilder zurück. Auf diesen Rückschritt folgten schließlich die Studentenproteste der 68er.
Statt geordneten Schriften auf schönem Papier sind aus die Zeit Briefe erhalten, die auf die Rückseite irgendwelcher Zettel geschrieben wurden – und nicht eine schöne Handschrift war wichtig, sondern eine möglichst individuelle. Sexualität wurde viel direkter thematisiert: In den Briefen des beginnenden 20sten Jahrhunderts findet man Andeutungen wie: „Ich werde dich küssen, ich werde … (Ich darf's nicht sagen).“ In den 1920ern wird der Ton schon etwas neckischer. Eine Frau schrieb: „Ich fraß dazu Schokolade und dachte … an die vielen Bussis, die Du mir gestern gabst, wobei ich die „stürmischen“ nicht vergaß. Gelt, das war schön? Ich glaube, wenn wir verheiratet sind, werden wir viele „stürmische“ konsumieren.“ Und ab den1970ern sprechen die SchreiberInnen ziemlich offen und unverblümt über ihre Fantasien, manchmal auch über ihre Unsicherheiten beim Thema Sex.
Foucault hat beschrieben, wie gesellschaftliche Diskurse unser Denken und Handeln bis ins Innerste hinein bestimmen. Die Paarkorrespondenzen, die im Band „Liebe schreiben“ untersucht werden, zeigen das. Sie machen Geschichte lebendig. Als LeserIn fühlt man sich den Schreibenden nahe, andererseits sind sie von heute aus gesehen auf zum Teil erschreckende Weise Kinder ihrer Zeit.
Was mag man einst von uns denken, fragt man sich unvermittelt. Die HistorikerInnen der Zukunft werden wohl unendliche Datenvolumina an Nachrichten in verschiedenen Apps samt Emojis auswerten müssen.
Wer aber den HistorikerInnen der Jetzt-Zeit helfen mag, der ist herzlich dazu eingeladen, alte Korrespondenzen an Archive abzugeben, zum Beispiel ans Frauenarchiv in Bozen. Denn nur die Hilfe von Privatpersonen macht Forschungsprojekte wie dieses möglich.
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