Kultur | Kabarett

„Ich kann Tirolerisch nur laut sprechen“

TV-Star Dirk Stermann eröffnete gestern die Carambolage-Saison mit seinem Solostück „Zusammenbraut“. SALTO hat mit ihm über Väterliches und Protestwürdiges gesprochen.
Dirk Stermann
Foto: SALTO
  • SALTO: Sie zeigen in "Zusammenbraut" ein Stück über das Vatersein im Hinblick auf die Hochzeit Ihrer Tochter. In einer früheren Aussage meinten Sie einmal: "Wählt meine Tochter Strache, enterbe ich sie." Wie stehen Sie heute zu diesem FPÖ-Sager, eine Woche nach der erfolgreichen Wahl für diese Partei?

    Dirk Stermann: Das war ein scherzhaftes Zitat. Ich würde sie natürlich nie enterben, sie ist schließlich meine Tochter. Aber sie würde ohnehin niemals FPÖ wählen. Insofern stellt sich diese Frage für mich gar nicht.

    Sie sind in Duisburg geboren und halten immer noch die Daumen für den MSV Duisburg. In der Stadt leben statistisch gesehen die meisten einsamen Menschen Deutschlands. War das der Grund, warum Sie die Gegend in jungen Jahren verlassen haben und nach Wien gezogen sind?

    Duisburg – ich war kürzlich erst wieder dort – ist tatsächlich ziemlich hässlich. Es ist eine vernachlässigte Stadt. Die Leute haben dort immer wahnsinnig hart gearbeitet, aber das Geld haben andere verdient, nicht die Duisburger. Und dann ist auch noch die Industrie weggebrochen. Jetzt haben sie noch weniger als vorher. Trotzdem habe ich eine gewisse romantische Zuneigung zu den Menschen dort. Sie sind sehr ehrlich: arm, verarscht und ehrlich.

    Pflegen Sie über den MSV Duisburg noch eine Verbindung zur Stadt?

    Ja, ich war neulich zur Beerdigung eines Freundes in Duisburg und bin danach ins Stadion gegangen. Der Verein spielt mittlerweile in der vierten Liga. Es ist also wirklich eine traurige Situation, aber die Euphorie ist riesig. Die Zuschauer sind in der vierten Liga dabei, weil der MSV plötzlich mal gewinnt. Das ist ein neues Gefühl. Sie sind derzeit Erster in der vierten Liga.

    Wie einsam fühlen Sie sich nach vielen erfolgreichen Jahren im Duo mit Christoph Grissemann bei Ihrem ersten Solo-Programm?

    Das genieße ich total. Es ist wahnsinnig schön, dass mir der Kollege nicht ständig reinquatscht und ich seine psychischen Devastiertheiten nicht aushalten muss. Mit meinen eigenen habe ich genug zu tun. Es ist sehr angenehm, fast so wie beim Romane schreiben – da bin ich auch allein, und das habe ich immer sehr genossen. Genauso ist es jetzt auch auf der Bühne.
     

    „...für Österreich war ich klug genug.“


    War es für Sie ein Hindernis, dass Sie als Duo bekannt geworden sind?

    Nein, ich habe die Zusammenarbeit mit ihm immer sehr genossen. Aber wenn man so lange zusammenarbeitet, wird es irgendwann wie eine alte Ehe. Da ist es vielleicht auch mal ganz gut, mit der Nachbarin zu reden, anstatt immer nur mit der eigenen Frau. Man muss ja nicht gleich mit der Nachbarin schlafen.

    Warum sind Sie in jungen Jahren überhaupt nach Österreich gegangen? Für viele Deutsche ist Österreich ja nicht unbedingt ein Wunschziel...

    Für mich war es das von Anfang an. Ich fand es großartig, dass Wien so nah am Ostblock lag. Dieses kleine Land hat mir gefallen, es war überschaubar und trotzdem bedeutend. Ich bin wie viele Deutsche als Numerus-Clausus-Flüchtling gekommen, weil ich in Deutschland zu doof war, um Theaterwissenschaft zu studieren. Aber für Österreich war ich klug genug.

  • Zusammenbraut-Bühnenbild in der Carambolage: Stermanns Tochter heiratet, und der Komiker schmeißt eine Party für sie. Aber irgendetwas stimmt nicht, und die ausgelassene Feier wird zu einer Abrechnung mit den Vaterqualitäten des Fernsehstars. Foto: SALTO

    Sie haben auch in Österreich nicht zu Ende studiert…

    Ja, weil das Studium, von dem ich dachte, es würde mir gefallen, eigentlich ziemlich langweilig war.

    Über Umwege sind Sie dann doch zur Schauspielerei gekommen. Es kommt vor, dass Sie gerne parodistisch Tiroler Dialekt sprechen...

    Ja, wahrscheinlich liegt das daran, dass ich gar nicht richtig schauspielern kann. Ich kann eigentlich immer nur mich selbst spielen, und selbst das kaum. Ich kann auch nichts parodieren, außer vielleicht ein bisschen Tirolerisch – warum, weiß ich auch nicht. Ich kann Tirolerisch nur laut sprechen, wenn ich es leise mache, klingt es für mich falsch. Ich glaube auch, dass Tiroler nie leise sprechen können. Selbst „Ich liebe dich“ wird gebrüllt, damit es die Geliebte im nächsten Tal hört.

    Ist die Herkunft Ihres Kollegen Christoph Grissemann der Grund für diese dialektalen Ausflüge?

    Ja, er ist Tiroler. Wir waren oft in Tirol für Auftritte, und irgendwann hatte ich das Gefühl, ich kann das auch. Es macht Spaß, Tirolerisch zu sprechen. Einmal habe ich einer Südtiroler Kollegin gesagt, dass ich finde, ich kann ganz gut Tirolerisch. Sie meinte aber: „Nein.“ Aber für mich reicht es, und ich finde, für einen Deutschen kann ich es ganz okay.

    Wie oft mussten Sie den Begriff „Piefke“ ertragen? Und wie geht es Ihnen dabei?

    Das stört mich überhaupt nicht mehr. Außerdem sagen das immer weniger Leute. Ich sage immer: So wie die Leute wissen, dass es bei Regen Gatsch gibt, wissen sie auch, dass ab und zu ein Deutscher im Radio oder Fernsehen auftaucht. Sie haben sich resigniert daran gewöhnt.

    Wie fühlen Sie sich als „Ausländer“ in Österreich nach dem jüngsten Wahlergebnis?

    Das ist zwiespältig. Einerseits fand ich es immer gut, Ausländer zu sein – man fühlt sich dadurch besonders. Andererseits bin ich inzwischen schon so lange in Österreich, dass ich gerne auch mitverantwortlich wäre und wählen könnte. Deshalb bin ich schon lange bei der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch aktiv und setze mich dafür ein, dass Ausländer wählen dürfen. Bei unseren symbolischen Wahlen ist das Ergebnis immer ganz anders als das offizielle, vielleicht dürfen wir deshalb nicht wählen.

    Vor ein paar Monaten hatten Sie Reinhold Messner bei "Willkommen Österreich" zu Gast und brachten ihn mit einem Witz über Klimakleber zum Lachen. Sie fragten, ob er sich an einen Felsen kleben würde…

    Ja, er hat ein paar Mal gelacht. Wir haben auch einen Scherz über seine Kette gemacht.

  • Gags, Gags, Gags: Satire-Tandem Christoph Grissemann und Dirk Stermann haben bereits 615 Sendungen "Willkommen Österreich" im Kasten. Foto: ORF

    Kommen solche Witze spontan oder von externen Witzeschreibern?

    Die entstehen im Gespräch und sind nicht gescriptet. Für den ersten Teil der Sendung haben wir Autoren, die sich etwas überlegen, aber die Gespräche mit den Gästen sind improvisiert. Sonst wäre es auch langweilig.

    In welchen Situationen fallen Ihnen die besten Witze ein?

    Beim Duschen, glaube ich.

    Wirklich?

    Ja, weil ich gerne lange und heiß dusche. Ich bin also ein klassischer Warmduscher. Da hat man Zeit zum Nachdenken, und es ist angenehm – da fallen mir dann oft Witze ein.
     

    „Das kam bei mir durch die Literatur, vor allem durch Walter Kempowski. Mein Vater hatte ihn mir empfohlen, und ich fand ihn total lustig.“


    Gab es Witze, für die Sie sich im Nachhinein entschuldigen mussten?

    Klar. Das Problem bei Bühnenberufen ist, man redet einfach viel zu viel. Wenn man so viel redet, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass mal ein Blödsinn dabei ist. Aber dann entschuldige ich mich auch gerne, wenn ich finde, dass ich zu weit gegangen bin.

    Wer ist der „Vater“ Ihres persönlichen Humor-Empfindens?

    Das kam bei mir durch die Literatur, vor allem durch Walter Kempowski. Mein Vater hatte ihn mir empfohlen, und ich fand ihn total lustig. Das war später auch das Schöne bei Christoph und mir: Wir mochten beide dasselbe und fanden beide dasselbe schlecht. Wir haben uns eigentlich über das definiert, was wir schlecht fanden.

  • Zemmler und Stermann: Die kritische Musikveranstaltung wurde erstmals am 12. Februar 2004 anlässlich des 70. Jahrestages der 12.-Februar-Unruhen im Rabenhoftheater Wien ausgetragen wurde. Foto: Protestsongcontest 2006

    Sie waren lange Moderator des Protestsongcontests. Erinnern Sie sich noch an den Südtiroler Gewinner 2006, Jörg Zemmler?

    Wir sind die Kleinen“ – klar erinnere ich mich. Ich fand das super. Die Idee eines Protestsongcontests fand ich immer gut. Als ich das letzte Mal moderiert habe, traten syrische Flüchtlinge auf, die einen Hungerstreik in einer Kirche machten. Nach ihrem Auftritt meinte ein bekannter österreichischer Hip-Hopper in der Jury: „Ihr hättet schon ein bisschen mehr üben können.“ Und von der Bühne kam: „Tut uns leid, wir sind seit zwei Wochen im Hungerstreik, das ist gar nicht so leicht ohne Essen.“ Da dachte ich mir: Das ist jetzt ein guter Moment, um aufzuhören. Mehr Protest geht kaum.

    Das war vor zehn Jahren. Ist politisches Kabarett auch eine Form von Protest?

    Wenn es Protest ist, erreicht man immer nur die, die ohnehin schon auf derselben Seite stehen. Dass man mit Kabarett etwas verändern kann, glaube ich nicht. Vor den letzten Wahlen habe ich in einem österreichischen Magazin, in der „Zeit“ und in einer großen deutschen Humorsendung sehr explizit Stellung bezogen. Ich habe viele Rückmeldungen bekommen, aber nur von Leuten, die das gut fanden. Die Wahlen gingen dann trotzdem so aus, wie sie ausgingen. Es hat also gar keinen Einfluss.

    Bekommen Sie auch Hetze von rechts?

    Ja, natürlich.

    Und lässt man das links liegen?

    Ja, das muss man. Wenn man das ernst nähme, müsste man sich entweder freiwillig in die Psychiatrie einweisen, aufhören zu arbeiten oder das Land verlassen. Da ich nichts davon gemacht habe, habe ich es offensichtlich links liegen lassen.

  • Für „Zusammengebraut“ wurde Dirk Stermann mit dem renommierten Radio-Preis für deutschsprachiges Kabarett, dem Salzburger Stier 2024, ausgezeichnet.
    (c) Dirk Stermann

  • Ausverkauft und Vorverkauf

    Dirk Stermann ist am Samstag, 5. Oktober, ein erneutes Mal in der Carambolage in Bozen zu erleben. Die Veranstaltung ist bereits ausverkauft. Mit kommender Woche ist auf Bozens Kleinkunstbühne das elektronische Musical über Liebe und Wohnen "Der Traam" zu sehen. Info und Tickets.