Der Manfred und der Luis
-
Ex libris
Questo estratto dal libro di Manfred Zöschg fa parte del formato “Ex libris” su SALTO.
Dieser Auszug aus dem Buch von Manfred Zöschg ist Teil des Formats "Ex libris" auf SALTO.
Ich sitze an meinem Lieblingsplatz im hinteren Ultental. Die Sonne ist gerade aufgegangen, und ihre warmen Strahlen vertreiben die kühle Morgenluft. Aus meinem Blechhafele steigt der Duft von frisch gebrühtem Kaffee. Ich liebe dieses Blechgeschirr – es erinnert mich an meine Kindheit. Und wenn ich am Morgen vor der Almhütte am Katzentisch auf die Sonne warte, vor mir der Duft des Kaffees und hinter mir der Geruch der von der Sonne verbrannten Holzblöcke, dann weiß ich: Das wird ein guter Tag. Ich habe heute nichts Besonderes vor und lasse den Tag einfach auf mich zukommen. Lizette, meine Frau, schläft noch und genießt es, endlich einmal länger liegen zu bleiben. Ein perfekter Start in den Ferientag. Plötzlich höre ich ein Geräusch – ein Knattern. Ich recke den Hals und warte gespannt. Wer kommt wohl so früh ins hintere Klapfbergtal? Wahrscheinlich ein Bauer, der nach seinen Kälbern sieht, denke ich mir. Dann entdecke ich sie: eine taubenblaue Ape, die sich mühsam den Weg heraufkämpft. Eine Ape – das ist dieses typische italienische Vespa-Dreirad, gebaut für die engen Gassen italienischer Städte, mit einer Ladefläche, die erstaunlich viel Platz bietet. Das Gefährt mag schlicht sein, aber es ist praktisch. Der letzte Anstieg vor der Alm fordert alles vom kleinen 50-ccm-Motor. Die Kupplung schnalzt, die Ape quält sich nach oben – und schafft es gerade noch so. Doch sie hält nicht an, sondern biegt direkt auf den Weg zu unserer Hütte ein. Wer kann das sein?
Den kenn ich doch … Das ist – nein, das kann nicht sein – das ist der Luis?!
Kurz verschwindet das Fahrzeug hinter einer Kuppe und taucht dann langsam wie der auf. Mein Blick wandert zur Kabine. Dort sitzt jemand mit einem schief aufgesetzten Hut – hier im Tal keine Seltenheit. Dann, auf einmal, wird mir seltsam zumute. Den kenn ich doch … Das ist – nein, das kann nicht sein – das ist der Luis?! Ich reibe mir die Augen, kneife mich, nehme einen Schluck Kaffee. Ich sehe, ich spüre, ich schmecke – also träume ich nicht. Ich bin hellwach. Aber der Luis … das bin doch ich! Wie können der Luis und ich gleich zeitig am selben Ort sein? Jetzt wird es interessant. Während ich noch versuche, diesen Anblick zu begreifen, setzt sich das Geschehen fort: Die Ape bleibt ein paar Meter entfernt stehen. Das blecherne Klacken der Tür, der unverkennbare Geruch eines heiß gelaufenen Motors – das kenne ich aus der Werkstatt. Alles wirkt so real. Doch das kann nicht sein. Ich kann doch nicht gleichzeitig hier sitzen und mit einer Ape aus dem Tal herauf fahren. Der Luis steigt aus dem Dreirad. Es ist, als würde ich in einen Spiegel schauen. Ich drehe mich hastig zum Fenster – mein Spiegelbild zeigt mich, den Manfred. Doch als ich mich wieder umdrehe, steht er noch immer da.
-
Comedian und Buchautor: Manfred Zöschg, Jahrgang 1959, ist vieles in einer Person: gelernter KFZ-Meister, vierfacher Familienvater, Südafrika-Liebhaber, leidenschaftlicher Tüftler – und seit über zwei Jahrzehnten bekannt als Luis aus Südtirol, ein Bergbauer mit scharfem Blick auf die Welt. Foto: Martina Jaider„Griaßdi“, sagt der Luis. „Griaßdi“, erwidere ich mit zittriger Stimme. Mir wird unheimlich. Der Luis grinst und setzt sich, ohne zu fragen, zu mir auf die Bank. Er greift nach meinem Blechhafele, nimmt einen tiefen Schluck und schmatzt genüsslich. „Guat ist er, der Kaffee. Höchste Zeit, dass wir uns mal richtig unterhalten, oder?“ Ich starre ihn an. Mein eigenes Alter Ego sitzt neben mir, trinkt meinen Kaffee und tut, als wäre dies das Normalste auf der Welt. Vielleicht ist es das ja auch. „Und worüber willst du reden?“, frage ich vor sichtig. Der Luis lehnt sich entspannt zurück: „Na ja, ich denk, es wird Zeit, dass wir uns gegenseitig erzählen, wie’s so ist – du als der Manni, ich als der Luis. Schließlich hast du mich entdeckt. Also kennst du mich, aber ich kenn dich nicht wirklich. Weißt du, dich gibt’s ja viel länger als mich, obwohl wir gleich alt sind. Kannst dich erinnern, wie wir uns kennengelernt haben? Das war genau da, bei dem Stein dort.“ Er zeigt auf einen flachen, ca. zwei Meter langen Felsen im Garten vor der Hütte: „Und ob ich mich erinnern kann. War schon schräg. Ohne die geliehene Videokamera hätte ich dich nicht gefunden – oder erschaffen.“ „Entdeckt“, wirft der Luis ein. „Du hast mich entdeckt. Ich war ja schon da, halt in dir. Entdecken tut man etwas, was da ist, was es gibt.“ Das ist jetzt sehr schräg. Der Luis, der eigentlich nur „in mir“ existiert, sitzt nun neben mir und schlürft meinen Kaffee.
Der Luis. Der mit seiner derben Bergbauernromantik regelmäßig ins emotionale Fettnäpfchen stapft. Foto: Manfred ZöschgIch rufe nach Lizette, aber sie reagiert nicht. Wahrscheinlich schläft sie noch. Verständlich – sie hatte ja viel um die Ohren, und in den Ferien soll sie sich doch ausruhen. „Erzähl mir doch, wie das war. Wie hast du mich denn entdeckt?“ „Na ja, ich hab da diese Videokamera aufgestellt und verschiedene Charaktere ausprobiert. Auf Video konnte ich sie dann selber betrachten. Ich suchte Persönlichkeiten für meine Show. Da waren der Wiener Strizzi, der schüchterne Tulpensammler Poldi, und ein Deutscher, der ins Ultental ausgewandert ist und sich schon als Einheimischer bezeichnete. Er spricht zwar immer noch nach der Schrift, ist aber felsenfest überzeugt, dass er den Ultner Dialekt so gut beherrscht, dass die Einheimischen gar nicht bemerken, dass er Deutscher ist. Dann setzte ich mir einen Hut auf, steckte mir diese Plastik-Faschingszähne in den Mund und lugte in die Kamera. Und genau in diesem Moment war ich nicht mehr der Manni. Als ob im Kopf eine neue Festplatte aktiviert worden wäre.“ Der Luis wirft ein: „Eben, dann war ich da. Ich schaute in die Kamera und wunderte mich, ob das so ein Apparat fürs Fernsehen sei und ich, wo ich schon im Fernsehen war, ja meine Verwandten in der Schweiz grüßen könnte. Ich war begeistert und nutzte die Sendezeit, um über Frauen zu philosophieren. Und Manni, du musst zugeben, dass ich dich schon inspiriert habe.“ „Das war ja das Komische. Auf einmal war ich nicht mehr alleine. Und dank dir ist dann auch eine schöne Idee entstanden.“
Autofahrer verhalten sich in ihrem Blechterritorium sowieso äußerst komisch. Sobald sie hinterm Steuer sitzen, mutieren sie zu einer seltsamen Mischung aus Verkehrsrichter, Straßenpolizist und Kabarettist. Verwenden ein Vokabular, welches sie niemals benutzen würden ohne den Schutz des 0,3 mm starken Blechs ihres motorisierten Habitats. Foto: Manfred ZöschgIn diesem Buch lässt Manfred Zöschg beide Welten ineinanderfließen: Die reale Biografie eines Handwerkers, Familienmenschen und Komödianten und die fiktive, aber lebensnahe Geschichte seines Bühnen-Ichs. Es ist eine humorvolle, tief persönliche und zugleich universelle Erzählung über Identität, Kindheit, Kreativität – und darüber, wie man mit einem Augenzwinkern durchs Leben kommt.
Das Buch „ Die Entdeckung des Luis-Zwischen Bühne und Leben“ von Manfred Zöschg ist in der Edition Reatia erschienen.
Weitere Artikel zum Thema
Kultur | Ex LibrisWie die Adria zu mir kam
Kultur | Ex LibrisIm Bike-Rausch
Kultur | Ex LibrisGemischte Prosa
Stimme zu, um die Kommentare zu lesen - oder auch selbst zu kommentieren. Du kannst Deine Zustimmung jederzeit wieder zurücknehmen.