Kultur | Salto Afternoon

Menschtier und Tiermensch

Die Ausstellung „Humanimal“ hatte bei mir andere Erwartungen geweckt, als sie es bei den meisten Leuten tun würde. Eine Rezension zur Schau um Mensch und Tier.
„Humanimal“: Incontro, Acryl auf Leinwand, 2019
Foto: Foto courtesy of Sjel Gallery
Vorab verspüre ich das Bedürfnis mich als langjähriger Vegetarier und - in der Vergangenheit - einjähriger Veganer zu outen. Ich bin nicht jemand, der darüber bei jeder sich bietenden Gelegenheit sprechen möchte, aber hier scheint es mir nützlich, um dem Leser zu erlauben meine Perspektive einzuordnen. Auch dachte ich beim Kofferwort „Humanimal“, welches den Titel stellt an das junge interdisziplinäre Forschungsfeld der Human Animal Studies (häufig als HAS abgekürzt), zu welchem etwa an der Uni Innsbruck im Zweijahres-Rhythmus eine Ringvorlesung stattfindet, nächstes mal im kommenden Wintersemester. Während die Ausstellung im Bozner Centro Trevi einen Hand- und (Hunde-)Pfotenabdruck als Hauptgrafik verwendet, war diese Position in Innsbruck von einem Hand-Hundepfoten-„Handschlag“ besetzt.
Diese, wie mir von der Kuratorin und Grafikerin Laura Benaglia Nones versichert wurde zufällige Überschneidung, sagt auch schon etwas über unser Verhältnis zu Tieren aus: Unsere Empathie zu Tieren ist nicht bedingungslos, sondern speziezistisch, hängt von der Art des Tieres ab. In deutscher Sprache haben wir etwa die nützlichen, aus Sicht der HAS problematischen Kategorien von Haus- und Nutztier, denen man, zur Übung von Empathie die Begriffsdualität von menschlichen und nicht-menschlichen Tieren entgegen setzt.
 
 
„Humanimal“ geht das Thema ohne ein intellektuelles Instrumentarium (oder, abhängig davon wen man fragt: Ballast) an und hat Positionen von 14 Künstlern vereint. Man kommt dabei ohne Schockbilder aus Tierfabriken und Schlachthöfen aus, so viel sei vorab versprochen. Die Werke sind dabei ausgesprochen divers in Art und Sujet. Die einzige Fotoarbeit der Ausstellung ist gleich Eingangs zu sehen: Bruno Corso lichtete 2017 Bauern in Myanmar bei der Feldarbeit mit vor den Pflug gespannten Ochsen ab und tauft das Schwarz-Weiß-Bild „Collaborazione“. Jedem Bild sind zweisprachige Erklärungen der Künstler zur Seite gestellt, man sieht, hier wird in anderen Kategorien gedacht als in den HAS.
Beliebt durch die Ausstellung hinweg auch die Auslegung von „Humanimal“ als Mischwesen, als eine Zwischenstufe: Zweimal als Person mit Flügeln (General Lanzo und Daniela Taddei), als Sphinx (Nadia Odeh), Meerjungfrau (Laura Benaglia Nones), Donald Duck (Marco Arduini) und, biologisch gesehen, Affen (Thomas Parise).
Von diesen sind besonders die Werke von Odeh und Parise bemerkenswert: Beide steuern eine Dreiergruppe von Werken bei. Odehs Acrylbilder schaffen in sanftem Gold einen abstrahierten Begnungs- und Spiegelraum, der zum extrem treibt was wir alle kennen: „Dissenso“ treibt die Anpassung von Haustierhalter an Haustier zum mythologischen Extrem und eine Frau wird zur Katze. Parise schafft in Mischtechnik ein Triptychon „Evoluzione - l’inizio - adesso - il futuro“: am Anfang die Affen mit einem einzelnen Atribut, dem Apfel; im Jetzt mit Konsumgütern und Statussymbolen, Zigaretten und Handfeuerwaffe; in der Zukunft sind nur noch zivilisatorische Hinterlassenschaften als Müll zu sehen, eine einzelne Patronenhülse und ein Ast an dem ein neuer Apfel hängt.
Parise ist nicht der einzige, der sich Hobbes Kulturpessimismus anschließt, Matteo Bona nimmt sogar direkt Bezug auf die bekannte Maxime aus dem „Leviathan“: Homo Homini Lupus. in seinen digitalen Kunstwerken werden die Menschen durchlässig, zum Blickfenster hinter welchem sich ein Herbstwald oder Poe’s Rabe freigeben.
 
 
Luis Elser setzt sich in einer seiner Arbeiten, dem Bild „Jagdtrophäe“ auseinander mit der Geschichte der Jagd, schafft in Höhlenmalerei Details den Fingerzeig auf die frühe Menschheitsgeschichte und bedient sich bei der Grundstruktur des Bildes einer archaisch-kubistischen Abstraktion des Geweihs.
Die einzige Skulptur der Ausstellung und eine mit Blick auf die Zukunft optimistische Geste steuert Alessandra Aita bei. Aus Holz und Eisen realisiert sie „Verso il Meglio“, eine hohle menschliche Silhouette aus der Friedenstauben ausbrechen.
Den Preis für die moralisierendsten - und einzigen solchen - Werke der Ausstellung erhält Ivo Compagnoni zwei Faux-Zeitungscollagen mit dem Motiv eines Hundes im Zwinger auf der einen, auf der anderen Seite mit einer Pinguinfamilie überlagert. Auf letzterer wird die „Musterfamilie“ aus dem Tierreich Schlagzeilen von Morden und einer Mord- und Suizidstatistik und Abtreibungsstatistik für Italien zur Seite gestellt. Hier hätte es zumindest eine stärkere Kontextualisierung und einer Quelle für die Zahlen bedurft.
Eine Schau mit punktuellem Tiefgang, aber auch mit einigen kitschigen Untiefen ist „Humanimal“ geworden, was irgendwie passend ist: Die Beziehung zwischen den Spezies ist - von großen Gesellschaftlichen Trends und Traditionen abgesehen - auch eine persönlich ausgehandelte.