Genug Raum, um „man selbst“ zu sein
Anfang dieser Woche kam im italienischen Parlament ein Gesetz zur Sprache, das Italien bereits seit Anfang des 21. Jahrhunderts versucht einzuführen. Die sogenannte „legge Zan“ des Parlamentariers Alessandro Zan vom Partito Democratico (PD) soll Homo- und Transphobie bestrafen, also Diskriminierung und Gewalt aufgrund sexueller Orientierung oder – Identität. Das Mitte-rechts Lager kündigte sofort Widerstand an in Form von Änderungsanträgen, worüber in den kommenden Tagen abgestimmt wird. Wie lange sich diese Debatte hinauszögern wird, ist unklar, denn mehr als zwanzig Jahre nach dem ersten Versuch Homo- und Transsexuelle gesetzlich zu schützen, gehört Italien zu einem der letzten Länder in Europa, das kein Gesetz zum Schutz von schwulen, lesbischen, bisexuellen, transgender, queren und intersexuellen (LGBTQI+) Menschen gegen Diskriminierung und Gewalt hat.
Samuel Caldara von Centaurus, der LGBTI-Vereinigung in Südtirol, wundert sich nicht über die Schlussposition Italiens, wenn es um Rechte sexueller Minderheiten geht: „Italien steht immer noch unter großem Einfluss der katholischen Kirche. Themen wie Homosexualität gelten leider weiterhin als Tabu,“ sagt Sam. Der 23-Jährige ist transsexuell und nicht-binär. Das heißt, er möchte sich keinem Geschlecht zuordnen, jedoch in männlicher Form angesprochen werden, entgegen seinem biologisch weiblichen Geschlecht.
Menschen, die seine transsexuelle Identität nicht akzeptieren und ihn mit seinem alten Frauennamen ansprechen, trifft Sam immer wieder. Mit seiner Familie hatte er Glück, denn sie akzeptierte nach anfänglicher Befangenheit sein Coming-Out. Diese Unterstützung brachte Sam auch dazu, sich bei Centaurus zu engagieren: „Ich finde es wichtig, durch meine Teilnahme bei Centaurus jenen zu helfen, die nicht so viel Glück hatten wie ich, und um ihnen ihr Leben etwas leichter zu machen.“
Centaurus bietet Treffpunkte für die LGBTQI+ Community und setzt sich für mehr Inklusion und Rechte für diese Minderheit ein. Gleichzeitig bietet der Verein Hilfe für Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht mehr bei ihren Familien leben können oder wegen Diskriminierungs-und Gewalterfahrungen psychologische Unterstützung brauchen. Und diese homophobe Gewalt nimmt in Italien zu: Laut einer Studie der nationalen LGBTI-Vereinigung Arcigay (zu der auch Centaurus gehört) sind Aggressionen gegenüber Homo- und Transsexuellen im letzten Jahr um neun Prozent gestiegen. Von den 134 verzeichneten Fällen von Homophobie, sowohl in Form verbaler Beschimpfung als auch körperlicher Angriffe, sei der größte Teil davon im Norden des Landes zu verorten.
Der intolerante Flügel der Gesellschaft und Politik schreit leider lauter als jener Teil, der die Rechte der LGBT-Szene unterstützt
Laut Sam jedoch hat Homophobie in den letzten Jahren in Südtirol abgenommen. Auch wurde die Politik seiner Meinung nach toleranter gegenüber LGBTQI+ Menschen, wie ein Beschluss der Gemeinde Bozen von 2015 zeigt: Die Gemeinde trat dem Netzwerk der öffentlichen Verwaltung RE.A.D.Y bei, das Maßnahmen gegen Diskriminierung der LGBTQI+ Community fördert. „Nur ist es leider so, dass die intolerante Seite der Gesellschaft und Politik lauter schreit als jener Teil, der die Rechte der LGBT-Szene unterstützt“, fügt Sam hinzu. Man müsse daher stets auf der Hut sein, sagt der 23-Jährige, weil die Beschneidung der Rechte diskriminierter Minderheiten hinter jeder Ecke lauere. Eine Haltung, die oft genau jene Parteien an den Tag legten, die wenig Toleranz für Minderheiten zeigen, wenn es um die sexuelle Orientierung geht. Der Widerstand zeigte sich in Südtirol erst kürzlich, als die SVP Stadträte Luis Walcher und Stephan Konder sich bei der Abstimmung zum Vorschlag enthielten, die Treppen vor dem Bozner Jugendtreff Pippo in Regenbogenfarben, also dem Symbol der LGBTQI+ Szene, zu bemalen. Walchers Argumentation: Der Platz werde von Kindern und Familien besucht, die sich fragen würden, was die Farben symbolisierten.
Doch genau solche Fragen und Antworten sind nötig, betont Sam: „Es muss sich eine Kultur rund um das Thema LGBTQI entwickeln. Solange die Gesellschaft nicht Bescheid weiß über den Kampf dieser Minderheit für ihre Rechte, diese nicht wirklich kennt, sondern nur die üblichen negativen Stereotype, kann sich keine Gesellschaft oder Politik entwickeln, die für mehr Inklusion eintritt.“ Man müsse Menschen, auch Vereinen und Experten mehr Raum geben, um über die Allgemeinheit über dieses Thema aufzuklären. Besonderes Augenmerk sollte man jedoch auf die Erziehung an Schulen legen: „Gerade in der Schule sind die Menschen in einem Alter, in dem sie ihre Sexualität entdecken. Hier braucht es Aufklärung, damit junge Leute nicht an den Rand gedrängt werden und offener aufwachsen können.“
Die Toleranz wächst: Filme und TV-Serien befassen sich häufiger mit sexuellen Minderheiten. Soziale Medien, die sich für Rechte von Homosexuellen einsetzen, unterstützten auch heterosexuelle Menschen.
In dieser Hinsicht ist die Welt bereits einen Schritt weiter, freut sich Sam, denn eine neue Pop-Kultur und der virtuelle Raum ermöglichten die Sensibilisierung: „Man braucht sich nur viele neue Filme und TV-Serien anschauen, die sexuelle Minderheiten häufiger zum Thema machen, oder auch Seiten in sozialen Medien, die sich für Rechte von Homosexuellen einsetzen. Mittlerweile unterstützten diese auch heterosexuelle Menschen.“
Physischer Raum ist für die LGBTQI+ Minderheit in Südtirol noch eher schwer zu finden, auch wenn die Situation heute besser ist als vor einigen Jahren: „In Bozen gibt es Orte, die LGBT Menschen willkommen heißen, wie etwa das Pippo und natürlich Centaurus,“ erzählt Sam. Er selbst lebt in einer Beziehung, durch seine bisexuelle Orientierung hatte er nie Schwierigkeiten in der trans-und homosexuellen Dating-Welt in Südtirol. Doch aus Erfahrung weiß er, dass besonders homosexuelle Männer sich in der Provinz schwertun: „Ich glaube, das liegt daran, dass in Südtirol die Schwulen-Gemeinschaft relativ unsichtbar ist, weil sich viele homosexuelle Männer nicht outen, sondern ihre sexuelle Orientierung im Geheimen ausleben.“ Ein Großteil des Austausches bleibt somit im virtuellen Raum verborgen, beschränkt sich auf Dating Apps für Homo- und Transsexuelle.
Daher gilt es, diese Haltung und auch die Scham durch Aufklärung und politische Maßnahmen abzubauen. Denn, wie Sam es ausdrückt: „Genug Raum für LGBTI Menschen wird es erst geben, wenn sie überall auf der Welt sie selbst sein können, ohne dafür diskriminiert zu werden.“ Und wer könnte mehr Verständnis dafür aufbringen, als Südtirol, das selbst kämpfen musste, um sich als Minderheit genug Raum zu schaffen, „es selbst“ sein zu können.