Flucht und Flüchtiges
-
„Quanti!“ ist eine jener Kunst-Aktionen, die von sk8project und RRUVIDO organisiert, leicht übersehen werden kann. 4 Plakatwände neben dem Radweg an der Talferbrücke, vorder- und rückseitig genutzt, werden zum Ausstellungsraum. Erfrischend, dass an diesem Ort keine Wahlwerbung hängen wird. Die Ausstellung im öffentlichen Raum besteht aus einer Vielzahl analog entwickelter Schwarz-Weiß Fotos, allesamt Portraits von Nutzer:innen des Skateparks an der Talfer. Mehr als die Zahl der plakativ eingesetzten Gesichter - ci mettono la faccia -, beeindruckt wie verschiedenartig die Menschen sind, welche hier zueinander finden, verbunden durch eine gemeinsame Leidenschaft. In schwarz-weiß aufzutreten, am Blickrand der Radfahrer und Promenadengänger:innen wirkt, wie das Plakat an der Rückseite, des seit längerem defekten Videototems vor der Talferbrücke zeigt, als wolle man nicht auffallen. Man darf und sollte. Ein einfaches Beispiel, das gerne Schule machen könnte, auch wenn einem diese Bretter nicht die Welt bedeuten.
-
Ein Schulausflug
Eine Flucht aus den Klassenzimmern wurde gestern Vormittag den Schüler:innen des Liceo Pascoli ermöglicht, welche vor ihrer Schule zusehen konnten, wie ein ehemaliger Schüler bei einer einfachen Performance zum Mitmachen animieren wollte. Vor 10 Jahren startete das Projekt „Escape“, an welchem damals auch Diego Tartarotti als Schüler teilnahm. Das Kartenhaus, das Kleber und ein frommer Wunsch aufrechterhält, steht schief. Macht nichts, zwei Schülerinnen ziehen selbst ihre Metaphern aus dem Kunstwerk: „Manchmal kippt man um und manchmal hilft einem jemand wieder auf. Ein bisschen wie im Leben.“ Kitschig? Ja, aber das ist immer dann erlaubt, wenn auch Glitter im Spiel ist.
„Escape“, das ist eine Fluchtrute, ein Turm mit Notausgang, der heuer die Flucht - aus oder nach - „Eden“ ermöglicht. Dass dieses Eden mit Nostalgie und dem Charme des Gestrigen - oder Utopischen - auftritt, zeigt sich mit einer, für Schüler:innen der neuen Generation vielleicht fremden, Beschilderung: die des Cinema Eden am Universitätsplatz, von Spuren der Zeit auch nicht gänzlich verschont.
Goldene Äpfel sind, über die vertikale Ausstellungspassage verteilt, bis in den obersten Stock vorzufinden. „Man kann nicht an ihnen hochklettern.“, stellt Ideator des Projekts Nazario Zambaldi rasch klar, bevor jemand auf die Idee hätte kommen können. Die Äpfel waren bereits 2018, bei der von Zambaldi kuratierten Ausstellungsreihe „Polis - The City is no longer, we can leave the Theater now“ als Motiv zum Einsatz gekommen. Nach gut fünf Jahren ist es ein Wiedersehen mit den vier Buchstaben „Eden“.
-
Auch in den oberen Stockwerken folgen einige Zeugnisse, die bei der Führung für die Schüler:innen und Journalisten etwas Klärung bedürfen, zumindest für die jüngeren. Ivo Corràs Werke, eine Reihe von Kussfotografien hat, mutmaßlich durch einen selbsternannten „Volksanwalt für Sitte und Moral“, der in Bozen hinlänglich bekannt sein dürfte, zensiert. Für Corrà waren die Fotografien Beiträge, die in gewisser Weise der Zeit entfliehen. Nun, durch den Eingriff von außen würden sie über etwas Anderes sprechen, über Zensur und darüber, wie Kunst anecken kann, so Corrà bei der Führung. Anecken will sicher auch, tut es jedoch kaum, die als Cartoon gestaltete Videoarbeit zu „Shitman“, einem „Super“-Helden der genau das macht, was man sich bei seinem Namen vorstellt: Er bewirft andere Cartoon-Figuren mit Scheiße, verweist, dabei auf Pop-Kultur Momente, wie den Kampf King Kongs mit Flugzeugen an der Spitze des Empire State Buildings. Laurin Paperina ist es, die fragt, ob Kunst das darf. Beim jungen Publikum begegnet ihr als Antwort dazu ein Lächeln.
Vergänglich sind auch die fragilen Beiträge von Michelangelo Pistoletto, der 2018, 3 Tupfer Farbe an der Wand hinterließ und dessen Dreifachschlaufe - das Symbol für das „3. Paradies“, ein Konzept, das eine Art utopische Symbiose zwischen Mensch und Natur, einen Idealzustand, der in gewisser Hinsicht nicht unähnlich zu Eden ist, symbolisiert.
Ums Eck, eine weitere Arbeit, die bereits seit langem zur „Galerie“ gehört. Das „Sigillo“ des Künstlerduos Cuoghi und Corsello besticht ebenfalls durch Einfachheit - in FIAT-Blau - nimmt Bezug auf eine Reihe ähnlicher Werke, welche anlässlich des Emilia-Erdbebens in Zusammenarbeit mit Schulen aus der Region gestaltet wurden.
Dem Dreieck Eden - Escape - und Spiel (Let’s play! Ist das diesjährige Motto der BAW) entziehen sich die Kunstwerke im Pascoli dabei nicht und es sind die Begriff ohnehin durch ein mögliches Verwandtschaftsverhältnis verbunden. Die Frage stellt sich, ob diese Werke, die auf eine andere Zeit verweisen, hier an der Schule, die sich in 5-Jahreszyklen erinnert, am rechten Platz sind oder ob das hier der falsche Ort ist. Vielleicht gibt es dieses Eden auch nur in weitergereichter, nicht selbst erlebter Erinnerung: Ein Schülerprojekt mach diese Deutung denkbar: Vier Szenen, die in Interviews von einstiegen Schüler:innen überliefert wurden, werden in „Reenactments“ an Originalschauplätzen nachgestellt. Die Vergangenheit geistert in die Gegenwart hinein, ergreift von verjüngten Körpern Besitz.
Filmschauen in der Aula MagnaAm nahbarsten ist da sicherlich - deutlich näher als Nazario Zambaldis Filmrecherche zum Filmschaffen des Studios „Monte Olimpino“ - die direkte Begegnung mit lebenden und wirkenden Künstlern. Drei Filme mit anschließender Möglichkeit zur Diskussion: Zum einen waren da eine mit Einaudi etwas verschnittene Montage aus Erinnerungsaufnahmen zum Besuch Michelangelo Pistolettos, der allerdings kaum zu Wort kommt. Stattdessen hören wir die - schöne - darüber montierte Klaviermusik von Ludovico Einaudi.
Zum anderen, in Präsenz anwesend, die jungen Performance Künstler Giulio Boccardi und Leonardo Panizza, welcher den bis auf eine enge, hautfarbene Unterhose nackten Boccardi für 24 Stunden ins Glashaus des Muse in Trient begleitet hat. Im künstlichen Dschungel treffen überraschte Besucher auf den halbnackten Mann, der durch seine Präsenz darauf hinweisen möchte, dass das Zusammenleben mit der Natur nur mehr im geregelten, künstlichen Umfeld möglich ist.
Letzter Film und für die Schüler:innen wahrscheinlich wichtigster, ist ein Atelierbesuch bei Aron Demetz, den die Schüler:innen - einige Gesichter erkennt man im Saal wieder - vor nicht allzu langer Zeit mit Fragen löchern konnten. Das Interesse war naturgemäß ein ausgeprägtes, der Umgang mit der Technik leider nicht. Immer wieder kracht und knistert das Mikrophon des Künstlers überlaut, was auch zu Lachen und Freude im Saal führt. Wie beim windschiefen Kartenhaus sehen wir: Auch Fehler gehören gefeiert und gehören zur Kunst dazu.
BAW noch bis zum 8. OktoberDas Programm der Bolzano Art Weeks finden Sie hier. Morgen folgt auf SALTO noch ein Lokalaugenschein zu den fünf "Gewinnerwerken" der diesjährigen BAW.