Fundgrube Facebook

Die sozialen Medien sind eine wahre Fundgrube. Nicht nur für Journalisten, die immer wieder Meldungen aus Netzwerken wie Facebook oder Twitter zu Nachrichten verarbeiten, sondern auch für Wissenschaftler. Der Sprachforscher Aivars Glaznieks von der Europäischen Akademie EURAC hat sich daran gemacht, die Facebook-Einträge eines gesamten Jahres von 109 deutschsprachigen Südtirolern zu analysieren. Er wollte wissen, welche Sprache die User verwenden, wenn sie Einträge oder Kommentare verfassen. Sein Fazit: Ob in sozialen Netzwerken Dialekt oder Standarddeutsch benutzt wird, hängt stark vom Alter ab.
Alles in allem hätten die untersuchten Beiträge ein “wunderbar kreatives Spiel mit den eigenen sprachlichen Kompetenzen” offenbart, so Glaznieks: “Manche sind nur verständlich, wenn man sowohl Dialekt als auch Italienisch kann.” Er zählt einige seiner Lieblingsposts auf: “Morgen andiamo wiederamol a kraxelare”, “Des isch poko ma sikkuro” oder “yeah, geile story, bro, konn magari schun a pocettino friar kemmen”.
Dialekt ist Sache der Jungen
Der EURAC-Mitarbeiter hat in seinen Analysen zwei klare Tendenzen ausgemacht: Von den jüngsten Teilnehmern, die zwischen 14 und 19 Jahre alt waren, schrieben etwa zwei Drittel ihrer Beiträge im Dialekt. Die ältesten waren über 60 Jahre alt und hatten den geringsten Dialektanteil, etwa 8 Prozent. Der Sprachwissenschaftler erklärt: “Die schriftliche Verwendung von Dialekt hängt klar mit den neuen Medien zusammen. Facebook ist zu einem großen Teil Alltagskommunikation – und die findet in Südtirol im Dialekt statt: früher nur mündlich, seit SMS, Facebook & Co. eben auch in schriftlicher Form.” So gesehen ist für ihn der Dialektgebrauch “völlig normal”: Junge Leute schreiben in sozialen Netzwerken ganz selbstverständlich so, wie sie auch reden, wenn es sich um die gleiche Art von Konversation handelt.”
Im Gegensatz dazu verbänden ältere Menschen, die nicht mit diesen Medien aufgewachsen sind, Schriftlichkeit sehr stark mit Standardsprache, meint Glaznieks. “Die Haltung ist erst einmal: ‘Dialekt schreibt man nicht’. Aber die anfängliche Hemmung wird mit der Zeit überwunden”, erklärt er. Das beweist die Tatsache, dass auch die analyisierten Einträge der 50-60-Jährigen etwa zu einem Viertel im Dialekt verfasst waren.
Soziale Realität im Spiegelbild
Interessante Beobachtungen machten die Forscher der Studie auch in Bezug der Verwendung von anderen Sprachen. So stand Englisch mit knapp über 10 Prozent der geschriebenen Texte bei den jüngsten Teilnehmern nach dem Dialekt an zweiter Stelle. Italienisch kam hingegen so gut wie gar nicht vor. Nicht weiter verwunderlich für Glaznieks: “Soziale Medien spiegeln die soziale Realität”, betont er: “Bei den Jüngsten sind soziale Kontakte stark von der Schule geprägt – und das Schulsystem trennt in Südtirol die Sprachgruppen.” In der Altersgruppe von 20 bis 30 Jahren steige der Anteil an italienischen Einträgen allerdings, “wahrscheinlich bedingt durch neue Kontakte in Studium und Beruf”, vermutet der Sprachforscher.
Und die Politiker?
Über den Umstand, dass auch immer mehr Personen des öffentlichen Lebens, darunter in erster Linie Politiker, soziale Medien zur Kommunikation nutzen, hat salto.bz kürzlich mit dem Politikwissenschaftler Hermann Atz gesprochen. Bestes Beispiel waren in den vergangenen Monaten die Bürgermeister von Meran und Bozen. Paul Rösch setzt auf zweisprachige Videobotschaften, Luigi Spagnolli vertraute seinen intimsten politischen Gedanken im Wahlkampf und später dann in den Koalitionsverhandlungen einem Facebook-Tagebuch an. Und während Liliana Di Fede sich gar einige Male weigerte, am Telefon Interviews zu geben, konnte man nicht wenig oft kurze Zeit später eine Stellungnahme ihrerseits auf Facebook lesen.
Dass die Kommunikation gern und viel über soziale Medien abgewickelt wird, liegt für Atz “in der Natur der Sache”. “Durch die technische Entwicklung ist jeder sein eigener Journalist. Waren die Politiker früher auf die Journalisten angewiesen, um ihre Nachrichten an den Mann und die Frau zu bringen, geht es jetzt auch so”, so seine Analyse. Journalisten werden also nicht mehr unbedingt gebraucht? “Wenn Politiker in der Position sind, dass die Leute bemerken, was sie in den sozialen Netzwerken kommunizieren, haben sie genau das erreicht, was sie eigentlich wollen.” Und das wäre? “Dass sie genau steuern können, was wie wann gesagt wird”, meint der Politikwissenschaftler. Niemand, kein Journalist, könne das Gesagte beziehungsweise Geschrieben verdrehen oder, kaum ist ein Interview gemacht, groß rausposaunen, erklärt er.
Atz kann der Entwicklung durchaus etwas abgewinnen: “Ich kann das sehr gut verstehen und finde es auch positiv. Es ist ja so bei den Politikern: Je erfahrener sie sind, desto weniger sagen sie. Und so sagen sie zumindest irgendetwas.” Allerdings dürfe man das, was in sozialen Netzwerken und über die Medien allgemein kommuniziert wird, nicht überbewerten. “Es ist zwar interessant zu sehen, wie einige Dinge typischerweise über die Medien und nicht innerhalb der Parteigremien abgewickelt werden. Aber vielleicht tut sich gerade dort zur Zeit viel mehr, als nach außen dringt.”
N.B. Am 10. November wird EURAC-Sprachwissenschaflter Aivars Glaznieks übrigens in der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann über “Jung und Alt – Schreiben in Zeiten von Facebook” diskutieren. Mit dabei sind Eva Cescutti (Bereich für Innovation und Beratung des Deutschen Schulamtes), Anne-Bärbel Köhle (Redakteurin und Journalismus-Dozentin und Carla Thuile (Studentin und Autorin). Der Diskussionsabend in der Armando-Diaz-Straße 8 in Bozen beginnt um 20 Uhr. Eintritt ist frei.