Politik | Wohnen

Die Kleinen leben lassen

Mit 18 Ja und 16 Enthaltungen wurde vergangene Woche das neue Wohnbauförderungsgesetz genehmigt. Landesrätin Deeg über Wohnungsnot und notwendige Grundsatzdiskussionen.
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Foto: LPA
Salto.bz: Der Weg zum neuen Wohnbauförderungsgesetz war ein etwas holpriger. Wie lautet Ihr Fazit? Zufrieden?
 
Waltraud Deeg: Ich bin ein Mensch, der selten zufrieden ist. Ich bin froh, dass wir einen Bereich abschließen konnten, nun folgen aber gleich wieder die nächsten Baustellen – und davon gibt es etliche.
 
Die Oppositionsparteien bemängeln, dass der große Wurf damit nicht gelungen ist.
 
Wohnen ist ein hochkomplexes Thema und wie ich bereits im Rahmen der Landtagsdebatte erklärt habe, haben wir analysiert, wo Südtirol im internationalen Vergleich steht. Aus diesem Vergleich haben sich in den vergangenen vier Jahren ganz klar bestimmte Punkte herauskristallisiert, bei denen man ansetzen kann und muss. Im Wesentlichen handelt es sich um das 12-Punkte Programm für leistbares Wohnen.
 
Ich habe den Eindruck, dass viel spekulatives Kapital in Südtirol unterwegs ist.
 
Das Problem ist, dass in Südtirol eine extrem hohe Nachfrage nach Wohnraum – auch aus dem Ausland – besteht. Ich habe den Eindruck, dass viel spekulatives Kapital in Südtirol unterwegs ist, das die Preise extrem in die Höhe treibt. Südtirol ist begehrt und die Nachfrage hoch, gleichzeitig ist das Angebot sehr überschaubar, weil uns nur ein gewisser Prozentsatz an bebaubarer Fläche zur Verfügung steht bzw. weil in den vergangenen Jahren die Ausweisung von Flächen für den geförderten und sozialen Wohnbau stagnierte. Dies hat zu einer Situation geführt, wie man sie auch in Kitzbühel, Schladming oder anderen begehrten Destinationen vorfindet, wo die Preise gerade in den letzten Jahren massiv nach oben geschnellt sind.
 
 
 
Wie entschärft man dieses Problem?
 
Wir mussten anfangen, gegenzusteuern. Wir müssen uns bewusst werden, dass ohne Wohnraumentwicklung – und ich spreche immer von einem qualitativ guten Wohnraum – auch keine Wirtschaftsentwicklung mehr möglich ist. Leistbarer Wohnraum hängt unmittelbar mit den Fragen zusammen, wie viel Tourismus und wieviele zusätzliche Betriebe wir benötigen, um den Wohlstand zu sichern. Die Beschäftigten müssen schließlich auch hier leben und wohnen – und sie sollen gut wohnen. Ich habe keine Freude mit Vorschlägen und Ideen, Arbeitnehmer in Gewerbegebieten unterzubringen. Warum muss man ein Gewerbegebiet in Wohnraum umwidmen? Entweder hat man zuviel Fläche in den Gewerbezonen ausgewiesen oder wir spüren noch die Nachwirkungen der Entscheidungen von Giulio Tremonti, seinerzeit Wirtschaftsminister unter der Regierung Berlusconi
 
Sie sehen diesen Vorschlag negativ?
 
Meine Mutter hat in der Nähe des heutigen Brunecker Gewerbegebietes eine Wohnung gekauft. Dann wurde der Nordring gebaut und weitere Betriebe haben sich angesiedelt. Wohnen im Gewerbegebiet ist kein gutes Wohnen. Als Übergangslösung sehe ich diesen Vorschlag aber durchaus positiv, sprich wenn Fachkräfte von auswärts, die sich nur für eine begrenzte Zeit in Südtirol aufhalten, eine Wohnmöglichkeit erhalten. Mittlerweile haben wir eine Kompromisslösung gefunden, wobei sich mir immer noch die Frage stellt, weshalb man Grünflächen in Gewerbegebiete umwandelt, wenn man anschließend darin wohnen will. In der Industriezone von Bozen beispielsweise werden nicht alle Gewerbeimmobilien genutzt.
 
Wenn ungenutzte Gewerbekubatur in Wohnkubatur umgewandelt wird, entsteht eine massive Wertsteigerung der Immobilie.
 
Wenn ungenutzte Gewerbekubatur in Wohnkubatur umgewandelt wird, entsteht eine massive Wertsteigerung der Immobilie. Das kann nicht die Perspektive für ein anständiges gutes Wohnen sein.
Einem Bericht des Alto Adige zufolge, in welchem eine Studie aus dem Jahr 2019 zitiert wird, fehlen in Bozen über 3.000 Wohnungen. Eigentlich müsste man sich die Frage stellen, wie man volkswirtschaftlich gesehen am effizientesten die Nachfrage drückt. Die Antwort darauf lautet, mehr Angebot zu schaffen, so wie es beispielsweise in Wien gemacht wird. Dort entstehen derzeit riesige Wohn-Areale
 
Kritiker würden einwenden, dass uns dafür die nötigen Flächen fehlen.
 
Dann müssen wir aber eine Debatte über die gesamte volkswirtschaftliche Entwicklung führen. Wir können nicht immer mehr Betten bauen und weiterhin große Betriebe ansiedeln, wenn wir wissen, dass die Arbeitskräfte dafür fehlen bzw. nach Südtirol geholt werden müssen. Wenn man auf Wachstum setzt, muss auch ein guter Wohnraum zur Verfügung gestellt werden und man muss für gesellschaftliche Entwicklungen offen sein. Bei einer hohen Nachfrage, kein Angebot zur Verfügung zu stellen, führt zwangsweise zu einer Preisexplosion.
 
Sie befürworten eine Einschränkung des Wirtschaftswachstums bzw. eine nachhaltigere Wirtschaft?
 
Nein, ich befürworte, dass wir gemeinsam nach einer Lösung suchen. Über nachhaltige Wirtschaftssysteme wird man aber eine Debatte führen müssen.
 
 
Über nachhaltige Wirtschaftssysteme wird man aber eine Debatte führen müssen.
 
 
Nicht nur wohlhabende Ausländer machen es sich in Südtirol gemütlich, auch Betriebe, wie beispielsweise aus dem Tourismussektor, wurden durch den 110 Prozent Steuerbonus quasi „gezwungen“, in Baugrund zu investieren.
 
Warum gezwungen?
 
Weil ihnen damit unterm Strich mehr Geld übrig blieb.
 
Ist Steuern zahlen falsch? 78 Prozent der Steuereinnahmen werden von den unselbstständig und selbstständig Erwerbstätigen beigesteuert. Ich gebe Ihnen Recht, dass man die Steuerpolitik ändern muss. Aber wenn man möchte, dass die soziale Marktwirtschaft auch in Zukunft funktioniert, werden auch weiterhin Steuern gezahlt werden müssen. Das ist die Voraussetzung dafür, damit die sozialen Systeme und das Gesundheitssystem funktionieren können. Wir haben bereits damit begonnen, diese Debatte zu führen und beispielsweise das Bettenstoppgesetz eingeführt. Ein weiteres Themenfeld kreist um die Nutzung von aufgelassenen Beherbergungsbetrieben für Wohnraum. Wie soll ich einem Häuslebauer, der Schwierigkeiten hat, seinen Traum vom Eigenheim zu finanzieren, das erklären?
 
Ist Steuern zahlen falsch?
 
Was wäre Ihr Vorschlag? Was soll mit den leerstehenden Gasthäusern in den Dörfern passieren?
 
Ich habe den Eindruck, dass wir gerade den Umbau von Wirtschaftssystemen erleben. Wir sehen, dass die Kleineren aussterben. Während kleine Gastbetriebe nur unter Schwierigkeiten erweitern können, kaufen die Großen die Bettenbestände auf …
 
… weil sie Personalhäuser brauchen …
 
Ich glaube, dass diese Entwicklung nicht gut ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir eine gesunde Mischung brauchen. Natürlich ist es wichtig, dass wir auch hochqualitative Angebote haben, aber die Großen müssen die Kleinen leben lassen.
 
 
 
 
Sie erwarten von den Wölfen, dass sie die Schafe nicht auffressen.
 
Ich erwarte mir, dass wir das gesellschaftliche Leben gemeinsam denken. Südtirol war mit seinen breit aufgestellten Wirtschaftssektoren in der Vergangenheit sehr krisenresistent. Wenn wir nun eine andere Richtung einschlagen würden, dann machen wir denselben Fehler, den andere bereits vor uns begangen haben. Ich bezweifle, dass ein solcher Richtungswechsel das Land voran bringt. Wenn man eine andere Entwicklung will, dann muss man klar darüber sprechen, wohin wir wollen.
 
Wenn man eine andere Entwicklung will, dann muss man klar darüber sprechen, wohin wir wollen.
 
Bestandskubatur wie beispielsweise alte Pfarrhäuser würde ich für Mehrgenerationenhäuser nutzen, was im neuen Wohnbauförderungsgesetz auch so vorgesehen ist. Es gibt bereits einige konkrete Projekte, wie derartige Bestandskubaturen genutzt werden können, beispielsweise das Seniorenwohnheim im ex Jesuheim, das derzeit in Mühlbach gebaut wird, in Truden gibt es ein weiteres Projekt, das betreutes und kombiniertes Wohnen vorsieht. Das Cohousing an sich ist keine neue Idee, sondern wurde bereits in der letzten Legislaturperiode von Landesrat Christian Tommasini eingeführt: 153 Euro pro Monat für eine schöne Kleinwohnung und niemand wollte sie haben.
 
Wie kann das sein?
 
Im Rahmen des Projektes Cohousing Rosenbach in Oberau-Haslach wurden rund 20 Wohnungen errichtet, die insbesondere für junge Leute und Studenten gedacht waren. Über das italienische Kulturinstitut wurde das Tutoring organisiert sowie soziale Dienstleistungen im Quartier vermittelt. An das vergünstigte Wohnen war nämliche auch eine soziale Tätigkeit gekoppelt. Aber absolut im Rahmen und machbar, wie beispielsweise einmal in der Woche für einen älteren Menschen einkaufen gehen. Wir haben das irgendwann eingestellt, weil keine Nachfrage da war. Auch die Mittelstandswohnungen in Leifers, die nach den alten Wobi-Kriterien errichtet wurden, werden nicht angenommen. Da ist guter und verfügbarer Wohnraum und die Leute möchten da nicht hinein.
 
Da ist guter und verfügbarer Wohnraum und die Leute möchten da nicht hinein.
 
Da beschleicht einen das Gefühl, dass wir eher zuviele Wohnungen haben als zuwenige …
 
Ich rate davon ab, andere Wohnmöglichkeiten abzuschaffen, und die Wohnungssuchenden in solche Angebot hineinzuzwingen. Ich bin der Meinung, dass die Bereitschaft vorhanden sein muss, um sich auf solche Modelle einzulassen. Wir starten aber einen neuen Versuch und werden es immer wieder probieren.