Kultur | Salto Afternoon

Gegenwärtige Vergangenheit

Fünf Stücke - eines als Uraufführung - beschlossen die 48. Ausgabe des Festivals Zeitgenössischer Musik Bozen. Es waren Dialoge zwischen (Bass)Klarinette und Elektronik.
Salicet - Ivo Nilson - Festival Zeitgenössischer Musik
Foto: Privat
Akteure des Abends im TreviLab waren Roberta Gottardi an beiden Instrumenten, Fabio Cifariello Ciardi an der Elektronik und Caroline Profanter mit einem akusmatischen Schlussakzent. Dazu, was man sich unter letzterem vorstellen kann später mehr.
Eröffnet wurde mit Ciardis Komposition „Elevator Pitch“ einer drastischen Verdichtung von drei Konflikten - Bergkarabach, Ukraine und Syrien - zu einem Klangbild. Die Klarinette Gottardis überlagern dabei Aufnahmen von Kinderstimmen, in der Sprache mehrheitlich unverständlich, in der Emotion erschütternd. Schritte, Tür und Fahrstuhl-Klänge bilden den Ramen des großen Klangbildes, in welches mit Wucht Geräusche von Kriegsmaschinerie und Detonationen einschlagen, welche die Stimmen und das fragil eingesetzte Soloinstrument erzittern lassen und Tiere aufschrecken. Die Dringlichkeit mit welcher die Klarinette gespielt wird gibt der komplexen Partitur eine Richtung, eine Absicht. Die Wucht des Ereignisses und der trotz einer wachsenden Kakophonie nur minimale Einsatz von Effekten bei den gesampleten Aufnahmen erzeugt eine lebendige, eindringliche Sound-Landschaft.
Es folgte Felix Nussbaumers „metalkörper i“ in der Version für Bassklarinette, ein Auftragswerk des Südtiroler Künstlerbunds, welches das Instrument als solches erforscht, mit zur Hilfename von elektronischen Elementen. Beim Spiel und im Mix einen besonderen Fokus auf nebenbei erzeugte Geräusche wie den Atem oder jenen der Klappen legenden, kommt im Spiel von aufsteigenden Motiven und abrupten Abfallen der Charakter des Instruments selbst zum Vorschein. Die Elektronik hat dabei sowohl, verfremdende Funktion als auch begleitende, welche im Fortschreiten des kurzen Stücks an Form gewinnt und Motive des Instruments fortführt. Bemerkenswert auch das Finale in welchem sich die Elektronik zu raumgreifendem weißem Rauschen aufschaukelt und schließlich vom Geräusch stummen Atems in der Bassklarinette abgelöst wird, welchem die Form eines Tons verwehrt bleibt und somit maximalistischen digitalen Noise durch minimalen analogen ablöst.
 
 
An dieser Stelle wich der Abend, durch eine Verzögerung der Ankunft von Komponist Ivo Nilsson, von der vorgesehenen Reihung ab, was sich in zweifacher Hinsicht als Glücksfall für das Programm erwies: Ivo Nilsons „Salicet“ tauschte Position mit Robert Davidsons „World War Two Suite“. Grund dafür? Auf der Bahnstrecke von Rom nach Bozen war es durch die Entschärfung einer Phosphorbombe aus dem 2. Weltkrieg zu Umleitungen und Verspätungen gekommen. Neben einer Vergegenwärtigung der Geschichte, die so in den Abend eingriff, wurde das Stück Nilsons anschließend in den unmittelbaren, reizvollen Kontrast mit Profanters Performance geschoben.
Die „World War Two Suite“ von Robert Davidson griff, wie Nussbaumers Stück zuvor auf die Bassklarinette zurück, teilte ihr aber eine gänzlich andere Aufgabe zu: Anachronistisch angeordnete Nachrichtenstimmen aus Funk und Fernsehen, von Bildern begleitet, sollte sie nachsprechen, beginnend mit den Worten „Hitler is dead“ um sich sukzessive zum Kriegsbeginn zurückzuarbeiten. Der Effekt des Stückes erst mitreißend, dann befremdlich, da man sich mit synchron auf Bild- und Tonebene gesetzten Schnitten am Rande zu einem Musikvideo bewegte. Die Fähigkeit von Instrument und Interpretin die menschliche Stimme nachzuahmen überzeugte mehr als es die Gegenüberstellung von Instrumentalstimme und elektronischem Bombast, der immer wieder Anklänge - doch nicht mehr - nationaler Hymnen heraufbeschwor. Der retro-futuristische Klang wollte bis auf das exakte Timing wenig zur Bildebene passen, verpasste etwa die Gelegenheit bei den einzigen Aufnahmen jüngeren Datums von Krematorien sich akustisch ein Stück weit zurück zu nehmen.
Es folgte „Salicet“, des mittlerweile aus Oslo eingetroffenen Ivo Nilsson. Im Stück kam wieder die kleine Schwester der Bassklarinette zum Einsatz, durch eine montierte Lampe und eine von unten ins Schallstück blickende Go-Pro Kamera, welche Live-Bilder lieferte, erweitert. Die Vision die sich dabei dem Publikum bot war, trotz kurzer Bildaussetzer organisch und erinnerte an eine Endoskopie, auch mit einzelnen Tropfen kondensierten Atems oder Speichels, auf welche Töne einwirkten und ihren der Schwerkraft folgenden Weg zu beschleunigen schienen. Das seitlich eindringende Licht setzte dabei, je nach Tonhöhe ferne Lichtakzente oder blendende, das Bild fast auflösende Überlagerungen. Die wiederkehrende Tremoli des Stückes sorgten im Bild für ein Flimmern. Der Blick ins Instrument verfremdete es, lenkte den Blick von der am Rande agierenden Gottardi auf die Projektion, den wechselnden Lichtring.
 
 
Auf die intime Vision aus dem Inneren eines Instruments folgte nach einem Umbau 20 Minuten akusmatische Musik Caroline Profanters. Akusmatik meint - auf die neuen Schüler Pythagoras zurückblickend, die seinen Vorträgen nur hinter einem Vorhang lauschen durften - einen Klang dessen Erzeugung nicht sichtbar wird, das Publikum auf das bloße Hören zurückwirft. Dieses Hören wurde von Profanter über nicht weniger als sechs unabhängige Lautsprecher bedient: Zwei vorne seitlich, zwei kleine „Solisten“ am Boden mittig, sowie zwei hinter dem Publikum, welche den Klangraum abschlossen.
Die Musik entstand anteilsmäßig live, zum anderen setzte sie sich aus Feldaufnahmen sowohl aus dem urbanen Raum, wie auch aus der Natur zusammen. Im live erzeugten Klang suchte Profanter Rückkopellungs-Geräusche, nur bedingt steuerbar elektronische Störungen, welche die Lautsprecher von Wiedergabegeräten zu den Instrumenten der Performance selbst machen. Das Set hatte mit seinem Aufbrausen und Abebben, im Wechselspiel von gezielter Überladung und Reduktion auf einzelne Störfrequenzen meditativen Charakter, der auch durch Zitate aus spirituellem Gesang und Gong-Schläge unterstrichen wurde. Die verschiedenen, nicht auszumachenden Alltagsstimmen, die wie aus großer Distanz, durch einen Schleier klanglicher Verzerrungen ans Publikum drangen, gaben dem Werk einen universellen Charakter, besonders im Ausklingen, in welchem sie fast allein standen, der über sie gelegte Geräuschschleier dünner wird, bevor er ein letztes Mal Solist ist, bevor er zurückgebaut wird. Ein bewusstes, geschärftes Hörerlebnis, das hoffentlich auch für eine zukünftige Offenheit des Festivals Zeitgenössischer Musik für andersartige Ausdrucksformen der Musik spricht.