Politik | Wählen?!

Mini Populus (Mini-Public)

"Direkte Demokratie" stößt immer noch auf Skepsis - vielleicht zu Recht. "Teilhabe" könnte auch anders - besser, umfassender, fairer - gehen.
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So. Was ich also heute und hier und auf diesem Wege an die mehr oder weniger geneigte Öffentlichkeit bringen möchte, treibt mich schon ein geraumes Weilchen um und wird, wenn alles so geht, wie ich es mir wünsche, über einen mehr oder minder ausgreifenden Bogen via „Wut-, Mut- und andere Bürger mit dem Wunsch nach Teilhabe“,  „Direkte und/oder Repräsentative Demokratie“ in Mini-Public (Mini-Populus) münden.

Ich beginne einmal mit diesem, gestern oder vorgestern bei TZ online gestellten, Video-Interview mit Frau Stirner-Brantsch, in dem sie – völlig zurecht - eine Lanze bricht für ihre Kollegin Martha Stocker, aber auch anmerkt, es sei nun doch bald genug mit "einfach-gegen-alles-sein". Und ja, es war (wäre) höchste Zeit, dass jemand mit diesem teils üblen Kesseltreiben Schluss macht. Denn natürlich steht außer Frage, dass die Bevölkerung (oh! Wie ich „das Volk“ schon bald nicht mehr aussprechen kann!) mitreden darf, mitreden kann, mitreden soll und auch mitreden muss. Aber von „mitreden“ bis nach „den gewählten Politikern den eigenen Willen zu diktieren“ ist es - hoffentlich! - doch noch ein Weilchen hin. Ich finde übrigens, Frau Stocker hat in dieser Sache echtes Standvermögen bewiesen, etwas, das ich mir just dieser Tage von so manchem Manne wünschen würde…

„Anmaßung von Wissen“

In Anbetracht all dessen liegt es nahe, dass ich den Faden, der zu Mini-Public führen soll, entlang der zurzeit (fast) alles beherrschenden und ziemlich quälenden Krankenhausdebatte weiterspinne, aber selbstverständlich kann der Gedanke auf jedes beliebige Thema, das die hiesige und die andere Menschheit zurzeit beschäftigt, umgelegt werden: Von TTIP über Pegida bis nach Mals, Bozen, zur Plose und überhaupt an jeden beliebigen Ort, an dem - im vielfachen Sinne - große Entscheidungen anstehen.

Also zurück zur Krankenhausreform und dazu, dass mir mehr angstvoll und besorgt denn froh und optimistisch zumute wird, wenn ich beobachte, wer sich wie und warum zum Thema äußert, und mit welcher Vehemenz, mit welcher Sicherheit, mit welcher Anmaßung! Woher haben all diese Leute all ihr Wissen, das ihnen erlaubt, sich so dezidiert und unverrückbar auszudrücken? Woher nehmen sie bloß ihre Kompetenz, um zu so weitreichenden Themen ihre so weitreichenden Entscheidungen zu fällen, so rasch und so unbedingt? Und woher die Informationen, die ihnen all das erlauben? Kennen sie die Hintergründe? Untergründe? Vernetzungen? Auswirkungen, klein- und großräumige? Kurz-, mittel- und langfristige? Und, gesetzt den Fall sie kennen sie, alle diese kleinen und großen Teile, die eine Entscheidung ausmachen: Sind sie in der Lage, sie zu vernetzen, zu überblicken, zu verstehen?

Haben all diese Menschen die Zeit, den Willen und die Möglichkeiten, das, worüber sie entscheiden wollen, und verlangen, dass ihr Wille geschehe, auch mit der notwendigen Aufmerksamkeit, und der gebotenen Sorgfalt zu studieren, alle Für, und alle Wider? Wohl kaum. Was aber niemanden davon abzuhalten scheint, lautstark zu fordern, „die Politik“ habe gefälligst dem Willen „des Volkes“ zu folgen. Welches Volk, eigentlich? Denn noch viel undemokratischer geht’s wohl nicht: Gewählte Volks-VertreterInnen sollen sich dem Willen einiger (weniger) und jedenfalls nicht Gewählter, vielmehr selbsternannter „Fachleute“ beugen, in Belangen, von denen vermutlich die Wenigsten eine wirkliche Ahnung haben, und die zudem nur eine relativ kleine Minderheit betreffen, sich aber auf die große Mehrheit auswirken, direkt oder indirekt. Denn ich muss gestehen: Ich, als Kastelrutherin, kann – beispielsweise - den allgemeinen Mehrwert einer Geburtenstation in Innichen nicht unmittelbar erkennen. Wie vermutlich ein Innichner den Mehrwert einer kosten- und ressourcenintensiven unterirdischen Bahnverbindung von Kastelruth nach Völs, zur Seiser Alm oder nach Bozen nicht wird unmittelbar erkennen können.

Irgendwo kommt mir, was zurzeit geschieht, so vor, als würde in einem Betrieb jede Abteilung ihr ganz und gar eigenes Süppchen kochen, und sich nur um die strengstens abgesteckten, ureigenen Belange kümmern, ohne Rücksicht oder gar Einbeziehung auf die/der Belange der anderen, und auf die Firmenzentrale schon gar nicht. So etwas kann doch gar nicht anders als über kurz oder lang in ein unüberschaubares Chaos führen.

„Wenn ich die Nachrichten lese, zweifle ich an der repräsentativen Demokratie. Wenn ich dann die Beiträge in den Foren darunter lese, glaube ich wieder daran.“ (Unbekannt)

Ja, ich glaube, zu wissen: Was „im Volke“, dem heimischen aber nicht nur, zurzeit vor sich geht, hat mit Direkter Demokratie wenig bis gar nichts zu tun. Und doch: Auch in der „Direkten Demokratie“ wird von *allen* erwartet, dass sie sich zu – teils hochkomplexen - Themen ihre Meinung bilden – wie und wo auch immer –, um anschließend darüber befinden, und zu entscheiden. Und, was in meinem Augen auch schwer wiegt und nicht wirklich für die Direkte Demokratie spricht: Auch dort bilden sich – im Grunde genau wie bei ihrer großen Schwester, der repräsentativen Demokratie auch, – dieselben Muster heraus, funktioniert sie nach demselben Schema, wenn auch „basischer“: Es kann nur ein „Ja“ oder ein „Nein“ geben – für alles, was dazwischen liegt oder liegen könnte, ist kein Platz; zwei Gruppen – Befürworter und Gegner – stehen sich gegenüber und *agieren* gegeneinander; auch diese beiden „Pole“ werden von MeinungsführerInnen „beherrscht“ und auch diese MeinungsführerInnen wachsen gewissermaßen auf dem Boden, auf dem auch die aus ihren Parteien heraus „gewählten“ VertreterInnen wachsen, und ernähren sich vom selben Dünger; es „wählen“ auch hier keineswegs alle, und – last but not least – auch hier werden, wie dort, Mehrheiten benötigt. Dass Mehrheiten selten bis überhaupt nicht auf den besten aller Wege zustande kommen, dürfte Konsens sein, und lastet vermutlich als schwere Hypothek auf beiden Systemen, auf dem der DD vielleicht gar besonders schwer. Letztlich unterscheiden sich also scheinbar die beiden Systeme grundlegend „nur“ darin, dass in der Direkten Demokratie (offiziell) keine Menschen, sondern nur Themen gewählt werden - und also, meine Vermutung (Befürchtung), auch niemand zur Verantwortung gezogen wird  (werden kann), wenn’s mal schiefläuft.

Und überhaupt fürchte ich, ist „Direkte Demokratie“ womöglich schon nicht mehr wirklich kompatibel mit der heutigen, modernen, hyperkomplexen und aufs engste verbandelten Welt, die schon längst nicht mehr klein und schon gar nicht überschaubar ist, dafür aber unheimlich kompliziert (by the way: Ich glaube, ich kann verstehen, dass/warum so viele und alleweil mehr Menschen sich einfache Antworten und schlichte Losungen wünschen).

Darin nun sehe ich den eigentlichen Vorteil gewählter VertreterInnen gegenüber den Stimmen aus der Bevölkerung, dass nämlich bei ersteren eine gewisse Entscheidungs-Kompetenz fast zwingend vorhanden ist – wozu sonst die mächtigen Berater-Apparturen?! -, leider aber auch nicht unbeträchtliche Allmachts-Ansprüche, eine gewisse Starr- und vermutlich „Betriebsblindheit“ und natürlich Ein- sowie Beschränkungen der verschiedensten Sorten, als da wären – zum Beispiel – Parteilinien, Parteivorgaben und Parteiinteressen, persönliche Ambitionen, Vorgaben und der Wille mächtiger Lobbies  undsoweiterundsofort. Ehrliche, freie, unabhängige Ergebnisse sind mithin fast unmöglich.

Dagegen wäre, zugegeben, das handfeste Mitspracherecht der Bevölkerung ein ausgezeichnetes Gegenmittel, wäre da nicht „das Problem“ der keineswegs gesicherten Sachkompetenz derer aus dem Volke, die entscheiden sollen/wollen.

Womit ich auch bei meinem eigentlichen Anliegen angekommen wäre, von dem ich wirklich nicht verstehe, warum ich bis vor kurzem noch nie davon gehört habe. Aus dieser letzteren Tatsache schließe ich – leider -, dass diese Sache, die mich auf Anhieb begeistert hat, irgendwo einen mächtigen Haken haben muss, den ich vermutlich außerstande bin, zu erkennen, denn mir  scheint die Idee von „Mini Publics“ oder auch: Mini-Populus die Quadratur des Kreises zu sein, vereint sie doch das Beste aus beiden Welten – der der repräsentativen und der direkten Demokratie – und versteht es, die Schwächen der jeweils Anderen auszugleichen, zu nivellieren.

Es soll also nach der Idee von Mini-Public nicht jede und jedeR mitentscheiden können (denn das ist ein gravierender Unterschied, der m. E. viel zu wenig beachtet wird: Mit-Reden muss jedeR können, und kann auch jedeR, dafür braucht’s nur eine Meinung, und die ist, bei Bedarf, schnell  gebastelt; um mit-entscheiden zu können, muss aber schon ein bisschen mehr gegeben sein als *nur* eine Meinung), sondern, nach Art von Projektgruppen, eine kleinere Gruppe, deren Mitgliedinnen per Los (!) aus der gesamten, wahlberechtigten Bevölkerung ermittelt werden, und sich anschließend sehr intensiv, sehr umfassend und mit der gebotenen Sorgfalt mit  dem Thema der Stunde, dessen Für und dessen Wider, zu beschäftigen, völlig frei, unvoreingenommen und unbelastet.

Am Ende der Beratungen steht eine gemeinsame Entscheidung, und die Gruppe zerstreut sich wieder.

Danach wäre nur noch zu schauen, wie gesichert werden kann, dass die Entscheidung des „Mini Populus“ von den „Mächtigen“ auch anerkannt wird. Auch dieses Problem könnte vermutlich noch einmal mithilfe des unparteiischen Loses ermittelt werden, und sich – jetzt – die Fachleute aus beiden Gruppen noch einmal zu einem letzten und bindenden Konsens zusammenraufen müssen.

Warum nicht?