Kleines Rädchen im großen Getriebe
Der im Bau befindliche Brenner Basistunnel (BBT) ist nicht nur für Österreich und Italien ein wichtiger Schritt für die Verbesserung der Reise- und Transportmöglichkeiten, sondern er ist Teil des von der Europäischen Union (EU) kofinanzierten Projekts „Scandinavian-Mediterranean Rail Freight Corridor“ (ScanMed RFC). Hinter dem 7.527 kilometerlangen, geplanten Güterverkehrskorridor zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer steht die Vision, bessere Eisenbahndienstleistungen für den Warentransport in Europa anbieten zu können.
Die Umsetzungsphase von ScanMed RFC startete im November 2015 und spielt auch beim Green Deal der EU eine wichtige Rolle: Der Verkehr ist eines der acht Bereiche, die als Tätigkeitsfelder des Green Deals ins Auge gefasst werden, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Als Ziel dieses Tätigkeitsfeldes nennt die EU-Kommission in einer Mitteilung von Dezember 2019 die „raschere Umstellung auf eine nachhaltige und intelligente Mobilität“.
Effizientes Verkehrsnetz entwickeln
Die für Transport zuständige EU-Kommissarin Adina Vălean führt auf der Website der EU aus: „Wir wollen das Reisen in der EU effizienter – und sicherer – machen, für Fahrerinnen, Fahrgäste und Unternehmen gleichermaßen. Die durch die EU-Infrastruktur verbundenen Städte sind unsere wirtschaftlichen Kraftzentren, aber sie müssen auch schlanke Städte sein – für Einwohner und Pendlerinnen.“
Die Aufgabenstellung ist komplex und erfordert die Zusammenarbeit der Infrastrukturbetreiber wie „Rete Ferroviaria Italiana“ (RFI), Eisenbahnverkehrsunternehmen, Verkehrsministerien und Regionen. Im Fall des ScanMed RFC kann das Projekt ausgehend von der Lage der Handelsbeziehungen zwischen den durchquerten Ländern in zwei große Abschnitte unterteilt werden: den nördlichen, der die skandinavischen Länder mit Deutschland und den wichtigsten Märkten Mitteleuropas verbindet, und den südlichen, der Italien über den Brennerpass mit Deutschland verbindet;
Nach den Daten von ScanMed RFC beläuft sich das Gesamtvolumen der auf dem Korridor beförderten Güter auf etwa 58 Millionen Tonnen pro Jahr, mit einem geschätzten Wachstum von 25 Prozent über die nächsten 10 Jahre. Italien hat einen Anteil von 23 Prozent und liegt damit an zweiter Stelle hinter Deutschland (48 Prozent), gefolgt von Österreich (18 Prozent).
Mehr Güter auf Schiene bringen
Laut RFI ist der Skandinavien-Mittelmeer-Korridor „eine äußerst wichtige Infrastruktur für die Handelsbeziehungen zwischen Asien/Nordafrika und Mitteleuropa“. Der Korridor schließt neun der 14 italienischen Häfen, die zum europäischen Kernnetz der Transeuropäischen Netze (TEN) für Verkehr, Energie und Telekommunikation gehören, mit ein. Deshalb würde das Projekt ein großes Potential für Handelsströme aus dem Suezkanal in Ägypten bieten, denn die Güter könnten so über die Schiene nach Kontinentaleuropa weiter transportiert werden.
In den letzten Jahren habe die Bahn in Europa laut der Einschätzung von Helmut Adelsberger, Ingenieur und Geschäftsführer von InfraConsultA, sogar an Marktanteilen verloren. Der Sachverständige analysierte in einem Artikel des Magazins TerritoriALL (Ausgabe „EURegionsWeek 2021) die Rolle des Brenner Korridors bei der Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene.
Der Brenner Korridor von München bis Verona weise die höchsten Straßen- und Gesamtverkehrsströme über die Alpen auf. Im Jahr 2019 wurden dort lediglich 27 Prozent der Güter auf der Schiene transportiert, verglichen mit 73 Prozent, die von mehr als 2,5 Millionen Lkw befördert wurden. Der Bau des Brenner Basistunnels, der um 2030 eröffnet werden soll, wird die Verkehrsströme nicht von selbst auf die Schiene verlagern, so Adelsberger. Die neue Infrastruktur werde laut ihm nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn sie von einer Reihe von politischen und organisatorischen Maßnahmen zur Beseitigung von technischen und bürokratischen Hindernissen begleitet wird, die insbesondere den grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr noch immer behindern.
Die nächsten Schritte für den Brenner Korridor
Das scheint auch Mobilitätslandesrat Daniel Alfreider klar zu sein. Im Gespräch mit der Tageszeitung „Dolomiten“ betont Alfreider, dass die Infrastruktur der Bahn hierzulande „im Wesentlichen aus dem 19. Jahrhundert stammt“. Zudem müsse der Bau der Zulaufstrecken zum Brenner Basistunnel rasch angegangen und die Bestandsstrecke modernisiert werden, „damit sie für den lokalen Personenverkehr nutzbar ist“, so Alfreider. Letzte Woche gab es ein Treffen des Landeshauptmanns Arno Kompatscher mit seinem Trentiner Amtskollegen Maurizio Fugatti und den Aufsichtsräten der Projektgesellschaft des Brenner Basistunnels.
„Wir sehen jetzt eine Möglichkeit, dass RFI auch die Planungen im Unterland angeht, vor allem, weil die Arbeiten für das Baulos 1 der BBT-Zulaufstrecken zwischen Franzensfeste und Waidbruck in Kürze beginnen; die Planung der Bahnumfahrung Bozen läuft und der Bau der Umfahrung Trient vor der Genehmigung steht, und zwar inklusive Finanzierung über den Wiederaufbaufonds PNRR", sagt Kompatscher laut einer Mitteilung des Presseamtes der Provinz.
Deshalb werde der Austausch mit dem Trentino verstärkt, damit man beim Infrastrukturministerium in Rom und beim italienischen Schienennetzbetreiber RFI gemeinsam für die Zulaufstrecke eintreten könne, so Kompatscher. Auch die kürzlich erschienenen Ergebnisse der Studien der Brenner Corridor Platform (BCP) zeigen, dass in Bezug auf die Schienenkapazität ein Ausbau der Bahnlinie dringend notwendig ist. Diese prognostizieren für die nächsten Jahre einen starken Anstieg des Güterverkehrs im Brennerkorridor und damit ebenfalls den notwendigen viergleisigen Ausbau zwischen München und Verona.
Die Brennerbahnlinie hat nach
Die Brennerbahnlinie hat nach der Gründerzeit den Personen- und Güterverkehr, für rund 50 Jahre recht ordentlich gelöst. Die staatlichen Eisenbahnverwaltungen haben danach die Zukunft leider verschlafen. Den Wünschen der Kunden wurden mit der hintergründigen Ansicht begegnet: "Vorsicht, das könnte Mehrarbeit bedeuten."
Statt zügig auf den Ausbau 4spuriger Geleise hinzuarbeiten, für den schnelleren Personen- und für den aus technischen Gründen langsamer fahrenden Güterverkehr, wurde mit 2spurigen Lösungen am Schienenetz geflickt und die Schaffung von mindestens 1 Containerbahnhof für Südtirol verträumt. Auch die Umrüstung auf Container, die in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts im Schiffsverkehr, nur ein paar Jahre gebraucht hat, wurde verschlafen.
Der Güterverkehr wurde "bis auf die nicht vermeidbaren Ausnahmen," der Brennerautobahn aufgezwungen, die deswegen ihre Kapazitätsgrenze bereits überschritten hat.
Mit der Eisenbahn können 2 Lokomotivführer über 500 Tonnen Nutzlast bewegen. Beim LKW Sattelzug sind es maximal 25 Tonnen und trotzdem schafft er es, die Ware verlässlicher pünktlicher und kostengünstiger abzuliefern. Obwohl er mit verschleißenden Gummirädern, Dieseltreibstoff auf steileren Strecken unterwegs ist.