Kultur | Salto Afternoon

Filme über Filme

Gestern wurde das Programm zu der 36. Ausgabe des Filmfestivals Bozen (BFFB) vorgestellt. Es wird dokumentarischer und internationaler. Und hybrider.
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Foto: Salto.bz

Mit den Worten „Ein Dankeschön an Martin Kaufmann, begann der neue Festivalleiter Vincenzo Bugno – nach einer kurzen Einführung des Präsidenten des Filmclubs Luigi Loddi – seine Ausführungen zum BFFB-Programm 2023. 1987 als Bozner Filmtage gegründet, gelang es einer kleinen Truppe um Kaufmann über die Jahre und Jahrzehnte das kleine, feine Festival auszubauen und 35 Ausgaben durchzuführen. Nun macht das Festival erneut einen Schritt nach vorne. Wie dieser aussieht, erläuterte Bugno ausführlich und machte zunächst auf die Filme im (neuen) Wettbewerbsmodus und natürlich auf den Eröffnungsfilm aufmerksam. Mit dem bereits preisgekrönten Film Vera des preisverwöhnten Duos Tizza Covi und Rainer Frimmel – der Film läuft auch im Wettbewerb –, begibt sich das Festival offiziell am 18. April in die Startlöcher. Als Pre-Festival-Film gibt es bereits am 17.4. den musikalischen Dokumentarfilm Symphonic Alps über das Herbert Pixner Projekt von Christoph Franceschini und Mauro Podini.
 


Volks-Musik spielt auch im Wettbewerbs-Film Adentro mio estoy bailando (The Kletzmer Project) von Leandro Koch und Paloma Schachmann eine zentrale Rolle. Der Film begibt sich auf eine „ungeschriebene Reise durch Osteuropa und auf die Suche nach den letzten verbliebenen Klezmer-Melodien“. In einem abgelegenen kurdischen Dorf im Nordosten der Türkei spielt hingegen Im toten Winkel von Ayşe Polat. Er „entwirrt ein komplexes Netz aus Verschwörung, Paranoia und Generationentrauma.“ Klingt spannend. 
Der Dorfpolizist Gigi ist Hauptprotagonist im Wettbewerbsfilm Gigi la legge, in einer (Grenz-)Gegend, in der nie etwas zu passieren scheint, bis jedoch eines Tages... Regisseur Alessandro Comodin zeigt eine seltsame, provinzielle Welt „irgendwo zwischen Realität und Fantasie.“ Ganz anders ist der Film Gorgona von Antonio Tibaldi gestrickt. Er hat die Gefängnisinsel Gorgona nahe Livorno zum Schauplatz und „taucht ein in das Leben von fünf Insassen, in eine Welt, in der die Schönheit wie ein Leichentuch die Verbrechen und den Schmerz der Menschen umhüllt.“ Nah an unserer jüngsten Vergangenheit ist Le mura di Bergamo von Stefano Savona. Der Regisseur dokumentiert „in seinem sehr eindringlichen Film“ das Geschehen beim Ausbruch (und während) der Corona-Pandemie „mit schmerzhafter Genauigkeit.“ Ein Muss, vor allem für die immer noch aktive, aggressive Gruppe an Kritiker*innen und Skeptiker*innen. 
Nikolaus Geyrhalter ist mit Matter Out of Place im Rennen und bringt den Müll an den Stränden, auf den Bergen, am Meeresgrund und tief unter der Erde ins Kino. Er zeigt „den endlosen Kampf der Menschen, dieser Unmengen Abfall Herr zu werden.“ Auch Andrea Pallaoros intimes Porträt einer Frau, „die sich mit den universellen Themen Verlassenheit und Akzeptanz, Erlösung und Vergebung auseinandersetzt“ läuft unter dem Titel Monica im Wettbewerb. Ebenfalls die Annäherung an die introvertierte Geräuschemacherin Eva in Piaffe von Ann Oren. 
 


Ein Wettbewerbs-Film mit Südtiroler Produktionsbeteiligung ist Sisters von Linda Olte. Er erzählt die Geschichte der Schwestern Anastasia und Diana, die in einem kleinen lettischen Waisenhaus leben und eines Tages erfahren, dass eine amerikanische Familie sie adoptieren möchte. Gleichzeitig erhalten sie auch die Nachricht, dass ihre entfremdete, aber leibliche Mutter Alla aus dem Gefängnis entlassen wird. Wahnsinnig sportlich wird es hingegen im Dokumentarfilm Stams von Bernhard Braunstein. Der Film blickte ein Jahr lang hinter den Kulissen des Elite-Internates, „einem Ort voller Hoffnungen und Rückschläge.“ Auch der Film The Hamlet-Syndrom von Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski – ein kraftvolles Porträt „einer jungen ukrainischen Generation“ –, ist in der BFFB-Premier League zu sehen. Haben er und die anderen Chancen gegen die Frühlings-Favoritin (Prima-Vera)? Die Jury (Zsuzsanna Kiràly, Beatrice Fiorentino, Bernhard Karl, Anke Leweke und Cyril Schäublin) wird am Ende aus den genannten Spielfilmen, den hybriden Formen und strammen Dokumentarfilmen, die Sieger für die beste künstlerische Leistung in den Kategorien Regie, Drehbuch, Kamera, Sound, Schauspiel, Editing, Musik ermitteln. Vergeben werden neben den Hauptpreisen, auch der Publikumspreis der Stadt Bozen, der IDM Award, der Spezialpreis Dolomiten UNESCO Welterbe, sowie die Ehrenpreise für eine herausragende Filmkarriere (an Christine A. Maier und Jacopo Quadri). Nicht mehr vergeben wird der Golden Walther Award
 

Le mura di Bergamo (Trailer)​​: Einer der insgesamt 12 Wettbewerbsfilme / Quelle: BFFB


Weitere Dokumentarfilme schmücken das schmucke, sehr dokumentarische, Festivalprogramm. Mit Il cerchio von Sophie Chiarello, She Chef von Melanie Liebheit und Gereon Wetzel, The Homes We Carry von Brenda Akele Jorde, ist auch der bereits am vergangenen Mittwoch bei docu.emme in Meran gezeigte Trieste è bella di notte von Matteo Calore, Stefano Collizzolli und Andrea Segre zu sehen. Außerdem der Dokumentarfilm Umberto Eco - La biblioteca del mondo über den 2016 verstorbenen Autor. Regie dieses liebevollen Büchernarr-Films führte ein alter Bekannter des Festivals: Davide Ferrario. 2004 gewann er mit Dopo mezzanotte (über den Nachwächter Martino im Turiner Filmmuseum) den Preis für den besten Film bei den Bozner Filmtagen
 

Umberto Eco - La biblioteca del mondo (Trailer): Ein besonderer Höhepunkt ist der Dokumentarfilm über den bekannten Autor.


Die beliebte Reihe Focus Europe widmet sich dem „neuen galicischen Kino“. In nur wenigen Jahren entwickelte sich in der spanischen Provinz ein anspruchsvolles Kino, „das sich auf neue Erzählungen einstellte, indem es zunächst auf Dokumentarfilme setzte und sich nach und nach der Fiktion zuwandte.“ Mit Eles transportatan a morte von Helena Girón und Samuel M. Delgado, Longa Noite von Eloy Enciso, Lúa vermella von Lois Patiño, O que adre von Oliver Laxe, Trinta Lumes von Diana Toucedo, Trote von Xacio Baño gibt es ältere und jüngere Produktionen des Gastlandes zu sehen. Ein Geheimtipp nach dem anderen.
Die Reihe Kleinsprachen DOC ist zum dritten Mal beim Festival dabei, und bringt 2023 die (Minderheiten-)Filme Speak in a Whisper, Yonaguni, Hitzak - Les Mots, Carraco, Forgetting, groß auf die Leinwand. Wer auf Kurzfilme steht, sollte sich die Blockveranstaltung Midnight Shorts nicht entgehen lassen. Sieben Filme in 110 Minuten!
 

Carraco | Trailer 


Die sogenannten Local Heroes zeigen in dieser Ausgabe folgende Produktionen: Alessio Vasarin (Agosto), Lucrezia Dal Toso (Mel), Martin Prinoth und Martina Mahlknecht (Reports from the Void), Thomas Hanifle (Max Valier – Der Raketenmann), Christoph Waldboth (Jenseits des Weges), Federico Scienza und Manuela Boezio (Dodici di noi), Wolfgang Moser (Michael Gaismayr), Kyrylo Naumko (Dear Odesa), Chiara Capo (Dedalo) und Cecilia Bozza Wolf (Rispet). Ist in diesem Aufgebot schon ein zukünftiger Preisträger, oder eine zukünftige Preisträgerin, zu suchen? 
Daneben wird es natürlich wieder viele Extras (Feste, Gäste, BFFB Labs, Workshops, Little Lights, Konzerte, Animationsfilme, Talks, die Konferenz Crossovers: Films as Tools for Social Research) geben. Und natürlich Preise und Preisträger*innen. Und hoffentlich auch einen Besucher*innen-Ansturm.
Ab ins Kino! Das BFFB bringt (in einer derart geballten Ladung) nur für wenige Tage die große, weite Welt in die kleine Streitergasse.