Braindrain stoppen: jetzt!

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SALTO: Frau Oberrauch, wie beurteilen Sie die Südtiroler Wohnbaureform?
Katja Oberrauch: Ich beurteile die Bemühungen als sehr positiv. Wir haben als Südtiroler Jugendring für die Reform in der Arbeitsgruppe „Junges Wohnen“ eng mit der Landesregierung zusammengearbeitet. Und ich denke, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Logischerweise ist es sicherlich nicht das Allheilmittel.
Ist nach wie vor das Eigenheim der Traum von jungen Menschen?
Sicherlich wünschen sich das viele, aber ich glaube tatsächlich, dass es nicht nur Eigentums-, sondern auch Mietwohnungen braucht. Wir leben nicht mehr in einer Zeit wie vor 20 oder 30 Jahren, als man sich nach der Ausbildung ein Dorf oder eine Stadt gesucht hat, um sich dort vielleicht mit einem Partner niederzulassen, eine Familie zu gründen und ein Leben lang dort zu bleiben. Heute ist das Leben flexibler.
„Der Immobilienmarkt könnte die Zielgruppe wieder mehr auf die eigene Bevölkerung lenken.“
Inwiefern?
Man kommt vielleicht nach dem Studium zurück, arbeitet hier eine Zeitlang und dann ergibt sich eine Möglichkeit im Ausland. In diesem Fall ist der Mietmarkt viel interessanter. Denn, wer während des Studiums schon einen eigenen Haushalt geführt hat, der wird langfristig nicht wieder zuhause bei den Eltern einziehen wollen. Auf der anderen Seite hat er aber vermutlich auch nicht das Vermögen, sich jetzt ein Eigenheim leisten zu können.
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Zur Person
Katja Oberrauch ist die neue Vorsitzende des Südtiroler Jugendrings, sie wurde Anfang Juli einstimmig gewählt. Die 24-Jährige aus Bozen studiert in Graz Wirtschaftswissenschaften, ist im Vorstand der Südtiroler HochschülerInnenschaft und war früher Jungscharleiterin.
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Wieso ist es für junge Südtirolerinnen und Südtiroler so schwer, sich etwas aufzubauen?
Das hängt sicher mit mehreren Gründen zusammen. Die Baukosten sind hoch und es gibt genug Statistiken dafür, dass die Lebenshaltungskosten in Südtirol im Verhältnis zu anderen Orten relativ hoch sind. Dazu kommt dann das italienische Lohnniveau, das uns auch nicht in die Karten spielt. So wird es für junge Menschen schwer, sich etwas aufzubauen, wenn schon ein Großteil des Gehalts für die Lebenshaltungskosten gebraucht wird.
Ein Bozner Immobilienmakler hat letzte Woche gegenüber SALTO erklärt, dass die Wohnungsnot von den Medien hochgespielt werde…
Ich empfinde das nicht so. Sicherlich wird manchmal ein Schuldiger gesucht, manchmal ist es die Politik, ein anderes Mal die Touristiker. Das Thema ist aber so komplex, dass es nicht einen bestimmten Hebel gibt, der alleine ausreichen würde, um das Wohnungsproblem zu lösen. Es braucht ein Umdenken, aber nicht nur beim Immobilienmarkt, der zum Beispiel darauf verzichten könnte, Immobilien als optimale Ferienwohnung zu bewerben, und die Zielgruppe wieder mehr auf die eigene Bevölkerung lenkt. Es braucht aber auch die Kompromissbereitschaft von jungen Menschen, die bei vielen auch da ist.
„Wenn die Kinder im Ausland sind, dann sind sie auch nicht da, um sich um pflegebedürftige Eltern zu kümmern.“
Ist der Braindrain nicht nur Symptom der Wohnungsnot, sondern auch einer falschen Bildungspolitik?
Das kann ich persönlich nicht so unterschreiben. Es gibt nicht nur Arbeitsplätze für Handwerker, sondern auch für junge Akademiker. Unternehmen und Institutionen wie die Handelskammer versuchen hier aufzuklären und Kontakte zu schaffen. Nichtsdestotrotz muss man dazu sagen, dass es Bereiche gibt, in denen Südtiroler Unternehmen konkurrenzfähiger werden müssen. Dazu gehört auch, junge Menschen ohne mehrjährige Berufserfahrung einzustellen.
„Die Abwanderung stellt für unser Sozial- und Gesundheitssystem eine extreme Belastung dar.“
Natürlich muss auch so früh wie möglich ein Berührungspunkt zwischen Jugendlichen und Wirtschaft geschaffen werden, sei es durch Messen, Schulbesuche oder Praktika. Auch die duale Ausbildung geht in diese Richtung und hat den Vorteil, das erlernte theoretische Wissen direkt umzusetzen. Die Schweiz und Deutschland sind dafür gute Beispiele, wo es viele duale Ausbildungen auf universitärer Ebene gibt. Wenn wir jetzt verpassen, die einzelnen Faktoren des Braindrain anzugehen, hat das nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen, sondern verschärft auch die Folgen des demografischen Wandels.
Inwiefern?
Der demografische Wandel hat nicht nur Auswirkungen auf unsere Rente, sondern auch auf die Pflege im Alter. Wenn die Kinder im Ausland sind, dann sind sie auch nicht da, um sich um ihre Eltern zu kümmern, sollten sie pflegebedürftig werden. Die Abwanderung stellt für unser Sozial- und Gesundheitssystem eine extreme Belastung dar.
Mit Kindern meinen Sie Frauen?
Es stimmt, dass die Care-Arbeit zu sehr großen Teilen von Frauen übernommen wird. Auch das ist ähnlich wie das Wohnen ein komplexes Thema. Denn es muss nicht nur ein Faktor geändert werden, um das Problem zu lösen. Auch muss nicht gleich die Politik in die Verantwortung genommen werden, sondern wirklich die Gesellschaft, weil strukturelles Umdenken stattfinden muss.
Also sollen Männer mehr Care-Arbeit übernehmen?
Genau, es braucht aber auch das Entgegenkommen der Privatwirtschaft, zum Beispiel mit flexiblen Arbeitszeiten, Homeoffice oder unternehmensinternen Kitas. Es ist ein laufender Prozess, der weitergeführt und unterstützt werden muss.
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